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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Eindrucks im Ausland entschieden vorzuziehen gewesen wäre, nicht wirklich gleich
einmalig und endgültig formuliert wurden. All diese Fragen, und noch einige
mehr werden einmal gestellt und -- beantwortet werden müssen, nur nicht im
Augenblick, da wieder der Feind an den Grenzen steht und da wir für Anklagen
und Verbitterung, sei es gegen wen es auch sei, keine Zeit und keine seelischen
Kräfte übrig haben oder doch nicht übrig haben sollten. Die Stimmung des
Kleinmutes, des Mißtrauens, der urdeutschen Leidenschaft, den Landsmann zu
verdächtigen, die, Gefühle der anderen zu Provozieren und rücksichtslos und lieb¬
los zu verletzen, haben uns schon gerade genug gekostet. Ahnt jemand von den
vielen kleinen superkluger Leitartikler- und Parteihalbgötzen, welchen Eindruck im
Ausland die Stellung gemacht hat, die die deutsche Tagespresse beim ersten Be¬
kanntwerden der deutschen Gegenvorschläge einnahm? Mochte man mit Auf¬
machung, Fassung oder Sache unzufrieden sein, für den Augenblick kam es darauf
an, nicht seine eigene schlaue Meinung zu sagen, sondern der deutschen Aktion
Einheitlichkeit nach außen zu verleihen. Ich sage nicht, daß man sich selbst hätte
verleugnen sollen. Aber man konnte so stilisieren, daß für das Ausland der
richtige Eindruck zustande kam. Aber stilisieren! Du lieber Gott! Ahnt das
deutsche Volk, daß die Schreiber, die über die Fehler der deutschen Diplomaten
nicht genug Tinte verspritzen können, es selbst bei jeder Gelegenheit an den
elementarsten Geboten der Diplomatie fehlen lassen? Am Abend freilich, da war
so manchem ein Licht aufgegangen. Aber da waren auch die Stimmen der
Morgenpresse bereits in alle vier Winde telegraphiert und es hieß draußen:
Mißbilligung der deutschen Gegenvorschläge im eigenen Lande. Ebenso kata¬
strophal war die Wirkung der Reichstagssitzung. Wahrscheinlich sind sich die
Volksvertreter dabei als überaus aktive Politiker vorgekommen, wahrten sie doch
die heiligen Rechte des Parlamentarismus, und das war natürlich wichtiger als
die Außenpolitik! Diese Sitzung mußte entweder von einem gescheiten Regisseur
bis aufs kleinste geregelt werden, wobei keine Partei von ihrem Standpunkt
hätte abzugehen brauchen, oder sie mußte unter allen Umständen verhindert
werden. In jedem anderen Lande wäre Herr Fehrenbach nach diesem neuen
Beweis seiner Unfähigkeit politisch endgültig erledigt gewesen, aber Parteibonzen
sind ja anscheinend noch immer heiliger als Vaterlandsinteresfen, und ehe so ein
Parteiheld (das gilt wahrhaftig nicht für Herrn Fehrenbach oder gar seine
Partei allein) -- und hätte er Krieg, Waffenstillstand, Frieden und alle Konferenz-
fchlachten zusammen verloren -- "sich ausschalten" läßt, eher mag das letzte
bißchen Volksvertrauen, mögen Land, Reich, Volk und die Partei selbst zugrunde
gehen. Diese Reichstagssitzung hat samt allem, was mehr oder weniger Ein¬
geweihte orakelten, eine sehr schlechte Wirkung getan: es hieß im Ausland,
Simons würde zurücktreten, Simons sei durchaus unter dem Einfluß der deutschen
Reaktionäre oder Großindustriellen, die Deutschen würden noch hinaufgehen mit
ihrem Angebot, und so bluffte man sich, zumal in Frankreich, in eine immer
stärkere Entschlossenheit hinein.

Natürlich soll damit nicht gesagt werden, daß diese Vorgänge im Inneren
die Ursache des Scheiterns der Verhandlungen gewesen sind. Die waren, nach¬
dem man es einmal zu den Pariser Beschlüssen hatte kommen lassen, zum Scheitern
verurteilt, sobald man deutscherseits nicht zum Nachgeben entschlossen war. Und
wenn bei der taktischen Auswirkung dieses Scheiterns Lloyd George unzweifelhaft
im Vorteil gewesen ist, so ist doch noch die Frage, ob infolge des Abbaues der
Verhandlungen, der im jetzigen Stadium der Angelegenheit immer nur ein vor¬
läufiger sein kann, die Lage für Deutschland ungünstiger steht. Die wirtschaft¬
lichen "Sanktionen", das heißt die Schutzzölle für die Industrie, wollen die
Engländer erst nach einigem Abwarten angewandt wissen, die Franzosen aber
sind an die militärischen Gewaltmaßregeln nur mit großem Widerstreben heran¬
gegangen. Nicht daß es in Frankreich an erhitzten Gemütern fehlte, die das
letzte Heil in der Anwendung von Gewalt sehen, die von Kontributionen und
Repressalien faseln. Aber man braucht nur. zu lesen, mit welchem Eifer die


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Eindrucks im Ausland entschieden vorzuziehen gewesen wäre, nicht wirklich gleich
einmalig und endgültig formuliert wurden. All diese Fragen, und noch einige
mehr werden einmal gestellt und — beantwortet werden müssen, nur nicht im
Augenblick, da wieder der Feind an den Grenzen steht und da wir für Anklagen
und Verbitterung, sei es gegen wen es auch sei, keine Zeit und keine seelischen
Kräfte übrig haben oder doch nicht übrig haben sollten. Die Stimmung des
Kleinmutes, des Mißtrauens, der urdeutschen Leidenschaft, den Landsmann zu
verdächtigen, die, Gefühle der anderen zu Provozieren und rücksichtslos und lieb¬
los zu verletzen, haben uns schon gerade genug gekostet. Ahnt jemand von den
vielen kleinen superkluger Leitartikler- und Parteihalbgötzen, welchen Eindruck im
Ausland die Stellung gemacht hat, die die deutsche Tagespresse beim ersten Be¬
kanntwerden der deutschen Gegenvorschläge einnahm? Mochte man mit Auf¬
machung, Fassung oder Sache unzufrieden sein, für den Augenblick kam es darauf
an, nicht seine eigene schlaue Meinung zu sagen, sondern der deutschen Aktion
Einheitlichkeit nach außen zu verleihen. Ich sage nicht, daß man sich selbst hätte
verleugnen sollen. Aber man konnte so stilisieren, daß für das Ausland der
richtige Eindruck zustande kam. Aber stilisieren! Du lieber Gott! Ahnt das
deutsche Volk, daß die Schreiber, die über die Fehler der deutschen Diplomaten
nicht genug Tinte verspritzen können, es selbst bei jeder Gelegenheit an den
elementarsten Geboten der Diplomatie fehlen lassen? Am Abend freilich, da war
so manchem ein Licht aufgegangen. Aber da waren auch die Stimmen der
Morgenpresse bereits in alle vier Winde telegraphiert und es hieß draußen:
Mißbilligung der deutschen Gegenvorschläge im eigenen Lande. Ebenso kata¬
strophal war die Wirkung der Reichstagssitzung. Wahrscheinlich sind sich die
Volksvertreter dabei als überaus aktive Politiker vorgekommen, wahrten sie doch
die heiligen Rechte des Parlamentarismus, und das war natürlich wichtiger als
die Außenpolitik! Diese Sitzung mußte entweder von einem gescheiten Regisseur
bis aufs kleinste geregelt werden, wobei keine Partei von ihrem Standpunkt
hätte abzugehen brauchen, oder sie mußte unter allen Umständen verhindert
werden. In jedem anderen Lande wäre Herr Fehrenbach nach diesem neuen
Beweis seiner Unfähigkeit politisch endgültig erledigt gewesen, aber Parteibonzen
sind ja anscheinend noch immer heiliger als Vaterlandsinteresfen, und ehe so ein
Parteiheld (das gilt wahrhaftig nicht für Herrn Fehrenbach oder gar seine
Partei allein) — und hätte er Krieg, Waffenstillstand, Frieden und alle Konferenz-
fchlachten zusammen verloren — „sich ausschalten" läßt, eher mag das letzte
bißchen Volksvertrauen, mögen Land, Reich, Volk und die Partei selbst zugrunde
gehen. Diese Reichstagssitzung hat samt allem, was mehr oder weniger Ein¬
geweihte orakelten, eine sehr schlechte Wirkung getan: es hieß im Ausland,
Simons würde zurücktreten, Simons sei durchaus unter dem Einfluß der deutschen
Reaktionäre oder Großindustriellen, die Deutschen würden noch hinaufgehen mit
ihrem Angebot, und so bluffte man sich, zumal in Frankreich, in eine immer
stärkere Entschlossenheit hinein.

Natürlich soll damit nicht gesagt werden, daß diese Vorgänge im Inneren
die Ursache des Scheiterns der Verhandlungen gewesen sind. Die waren, nach¬
dem man es einmal zu den Pariser Beschlüssen hatte kommen lassen, zum Scheitern
verurteilt, sobald man deutscherseits nicht zum Nachgeben entschlossen war. Und
wenn bei der taktischen Auswirkung dieses Scheiterns Lloyd George unzweifelhaft
im Vorteil gewesen ist, so ist doch noch die Frage, ob infolge des Abbaues der
Verhandlungen, der im jetzigen Stadium der Angelegenheit immer nur ein vor¬
läufiger sein kann, die Lage für Deutschland ungünstiger steht. Die wirtschaft¬
lichen „Sanktionen", das heißt die Schutzzölle für die Industrie, wollen die
Engländer erst nach einigem Abwarten angewandt wissen, die Franzosen aber
sind an die militärischen Gewaltmaßregeln nur mit großem Widerstreben heran¬
gegangen. Nicht daß es in Frankreich an erhitzten Gemütern fehlte, die das
letzte Heil in der Anwendung von Gewalt sehen, die von Kontributionen und
Repressalien faseln. Aber man braucht nur. zu lesen, mit welchem Eifer die


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[0324] weltspicgel Eindrucks im Ausland entschieden vorzuziehen gewesen wäre, nicht wirklich gleich einmalig und endgültig formuliert wurden. All diese Fragen, und noch einige mehr werden einmal gestellt und — beantwortet werden müssen, nur nicht im Augenblick, da wieder der Feind an den Grenzen steht und da wir für Anklagen und Verbitterung, sei es gegen wen es auch sei, keine Zeit und keine seelischen Kräfte übrig haben oder doch nicht übrig haben sollten. Die Stimmung des Kleinmutes, des Mißtrauens, der urdeutschen Leidenschaft, den Landsmann zu verdächtigen, die, Gefühle der anderen zu Provozieren und rücksichtslos und lieb¬ los zu verletzen, haben uns schon gerade genug gekostet. Ahnt jemand von den vielen kleinen superkluger Leitartikler- und Parteihalbgötzen, welchen Eindruck im Ausland die Stellung gemacht hat, die die deutsche Tagespresse beim ersten Be¬ kanntwerden der deutschen Gegenvorschläge einnahm? Mochte man mit Auf¬ machung, Fassung oder Sache unzufrieden sein, für den Augenblick kam es darauf an, nicht seine eigene schlaue Meinung zu sagen, sondern der deutschen Aktion Einheitlichkeit nach außen zu verleihen. Ich sage nicht, daß man sich selbst hätte verleugnen sollen. Aber man konnte so stilisieren, daß für das Ausland der richtige Eindruck zustande kam. Aber stilisieren! Du lieber Gott! Ahnt das deutsche Volk, daß die Schreiber, die über die Fehler der deutschen Diplomaten nicht genug Tinte verspritzen können, es selbst bei jeder Gelegenheit an den elementarsten Geboten der Diplomatie fehlen lassen? Am Abend freilich, da war so manchem ein Licht aufgegangen. Aber da waren auch die Stimmen der Morgenpresse bereits in alle vier Winde telegraphiert und es hieß draußen: Mißbilligung der deutschen Gegenvorschläge im eigenen Lande. Ebenso kata¬ strophal war die Wirkung der Reichstagssitzung. Wahrscheinlich sind sich die Volksvertreter dabei als überaus aktive Politiker vorgekommen, wahrten sie doch die heiligen Rechte des Parlamentarismus, und das war natürlich wichtiger als die Außenpolitik! Diese Sitzung mußte entweder von einem gescheiten Regisseur bis aufs kleinste geregelt werden, wobei keine Partei von ihrem Standpunkt hätte abzugehen brauchen, oder sie mußte unter allen Umständen verhindert werden. In jedem anderen Lande wäre Herr Fehrenbach nach diesem neuen Beweis seiner Unfähigkeit politisch endgültig erledigt gewesen, aber Parteibonzen sind ja anscheinend noch immer heiliger als Vaterlandsinteresfen, und ehe so ein Parteiheld (das gilt wahrhaftig nicht für Herrn Fehrenbach oder gar seine Partei allein) — und hätte er Krieg, Waffenstillstand, Frieden und alle Konferenz- fchlachten zusammen verloren — „sich ausschalten" läßt, eher mag das letzte bißchen Volksvertrauen, mögen Land, Reich, Volk und die Partei selbst zugrunde gehen. Diese Reichstagssitzung hat samt allem, was mehr oder weniger Ein¬ geweihte orakelten, eine sehr schlechte Wirkung getan: es hieß im Ausland, Simons würde zurücktreten, Simons sei durchaus unter dem Einfluß der deutschen Reaktionäre oder Großindustriellen, die Deutschen würden noch hinaufgehen mit ihrem Angebot, und so bluffte man sich, zumal in Frankreich, in eine immer stärkere Entschlossenheit hinein. Natürlich soll damit nicht gesagt werden, daß diese Vorgänge im Inneren die Ursache des Scheiterns der Verhandlungen gewesen sind. Die waren, nach¬ dem man es einmal zu den Pariser Beschlüssen hatte kommen lassen, zum Scheitern verurteilt, sobald man deutscherseits nicht zum Nachgeben entschlossen war. Und wenn bei der taktischen Auswirkung dieses Scheiterns Lloyd George unzweifelhaft im Vorteil gewesen ist, so ist doch noch die Frage, ob infolge des Abbaues der Verhandlungen, der im jetzigen Stadium der Angelegenheit immer nur ein vor¬ läufiger sein kann, die Lage für Deutschland ungünstiger steht. Die wirtschaft¬ lichen „Sanktionen", das heißt die Schutzzölle für die Industrie, wollen die Engländer erst nach einigem Abwarten angewandt wissen, die Franzosen aber sind an die militärischen Gewaltmaßregeln nur mit großem Widerstreben heran¬ gegangen. Nicht daß es in Frankreich an erhitzten Gemütern fehlte, die das letzte Heil in der Anwendung von Gewalt sehen, die von Kontributionen und Repressalien faseln. Aber man braucht nur. zu lesen, mit welchem Eifer die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/324>, abgerufen am 29.12.2024.