Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.Die Behandlung des versailler Friedens als "Fetzen Papier" usw. War, daß ein katastrophaler Sturz der Frachtraten und alsbald auch der Schisfs- Mit einem gewissen grimmig-humoristischen Behagen mögen wir Deutschen Die Behandlung des versailler Friedens als „Fetzen Papier" usw. War, daß ein katastrophaler Sturz der Frachtraten und alsbald auch der Schisfs- Mit einem gewissen grimmig-humoristischen Behagen mögen wir Deutschen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0224" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338657"/> <fw type="header" place="top"> Die Behandlung des versailler Friedens als „Fetzen Papier" usw.</fw><lb/> <p xml:id="ID_754" prev="#ID_753"> War, daß ein katastrophaler Sturz der Frachtraten und alsbald auch der Schisfs-<lb/> Preise eintrat, während die Materialpreise für den Bau neuer Schiffe immer mehr<lb/> in die Höhe gingen. Infolgedessen flössen in allen Ländern der Erde den Werften<lb/> kaum noch neue Bestellungen zu, die vorhandenen wurden großenteils annulliert,<lb/> ja selbst für die gestohlenen deutschen Schiffe finden die Engländer seit langer<lb/> Zeit keine .Käufer mehr, und somit ist der wirtschaftliche Wahnsinn zu verzeichnen,<lb/> daß dieselben deutschen Fahrzeuge, die uns für den Wiederaufbau des deutschen<lb/> Wirtschaftslebens trefflichste Dienste leisten könnten, vollkommen untätig und<lb/> zwecklos seit langer Zeit in den englischen Häfen herumliegen und daselbst Platz<lb/> wegnehmen! Für das erste Schiffslieferjahr (lO. April 1920 bis 9. April 1921)<lb/> hatte die Kommission für Wiedergutmachungen statt der im Friedensverträge vor¬<lb/> gesehenen Maximalmenge von 200 000 Vruttvrcgistertonncn den deutschen Werften<lb/> schon nur eine Ablieferung bis zu 75 000 Bruttvregistertonnen vorgeschrieben,<lb/> aber — bemerkenswerterweise ist nicht eine einzige Schiffsbestellung wirklich ein¬<lb/> gegangen: die deutschen Werften konnten 1920 ganz und gar für deutsche und<lb/> neutrale Reedereien im freien Markt arbeiten. Daß die Dinge auch 1921<lb/> und vermutlich in den nachfolgenden Jahren ebenso sich nicht viel anders gestalten<lb/> werden, dafür bürgt allein schon die pikante Tatsache, daß die notleidenden<lb/> englischen und französischen Werftbesitzer erklärt haben, sie würden sich einer<lb/> Durchführung des § 5 der Anlage III, d. h. einer Erteilung von Zwangs-<lb/> banaufträgcn an deutsche Wersten,mit allen Mittel» widersetzen! — Liegt hier<lb/> auch keine Verletzung des Versailler Vertrags durch die Entente vor, so ist doch<lb/> auch der genannte Paragraph wieder einmal ein Beweis dafür, daß manche<lb/> Bestimmungen des FriedcnsvertragS eben praktisch undurchführbar, revisions¬<lb/> bedürftig und von nationalökonomischen Dilettantismus eingegeben sind. —</p><lb/> <p xml:id="ID_755" next="#ID_756"> Mit einem gewissen grimmig-humoristischen Behagen mögen wir Deutschen<lb/> ferner die praktischen Konsequenzen beobachten, zu denen die Festsetzungen der<lb/> Anlage VII zum Kapitel „Wiedergutmachungen" geführt haben. Sie legten<lb/> Deutschland den schmerzlichen Verzicht auf seine 15 großen Seekadet auf.<lb/> Es war von vornherein auffällig, daß im Versailler Frieden nicht bestimmt<lb/> wurde, zu wessen Gunsten Deutschland in jedem einzelnen Falle verzichten sollte,<lb/> — es war nur ganz unbestimmt gesagt „zugunsten der hauptsächlichen alliierten<lb/> und assoziierten Mächte". Heute wissen wir den Grund dieser bedenklich unklaren<lb/> Neuregelung: „Die hauptsächlichen alliierten und assoziierten Mächte" haben sich<lb/> in Versailles über die Verteilung des Raubes nicht einigen können! Den Beweis<lb/> lieferte die internationale Kabelkvnfercnz, die im Spätherbst 1920 in Washington<lb/> stattfand und die u. a. auch über die Neuregelung des Besitzes der ehemals deut¬<lb/> schen Kabel entscheiden sollte. Es ist dabei zwischen „den alliierten und assoziierten<lb/> Mächten" zu Gegensätzen von nicht gewöhnlicher Schärfe gekommen. England<lb/> wollte die deutschen Kabel im Atlantic möglichst allein kontrollieren) den Ameri¬<lb/> kanern aber lag gar nicht daran, das unerträgliche Joch des englischen Kabel¬<lb/> monopols zu verewigen, das sie im Kriege so überaus schmerzlich verspürt hatten:<lb/> sie forderten daher, die Kabel sollten — an Deutschland zurückgegeben werden!<lb/> Eine Einigung war nicht zu erzielen: die Konferenz ist resultatlos auseinander-<lb/> gegangen! Ebenso gönnten die Vereinigten Staaten den Japanern nicht den<lb/> Besitz der von ihnen zunächst in Verwaltung genommenen deutschen Kabel in der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0224]
Die Behandlung des versailler Friedens als „Fetzen Papier" usw.
War, daß ein katastrophaler Sturz der Frachtraten und alsbald auch der Schisfs-
Preise eintrat, während die Materialpreise für den Bau neuer Schiffe immer mehr
in die Höhe gingen. Infolgedessen flössen in allen Ländern der Erde den Werften
kaum noch neue Bestellungen zu, die vorhandenen wurden großenteils annulliert,
ja selbst für die gestohlenen deutschen Schiffe finden die Engländer seit langer
Zeit keine .Käufer mehr, und somit ist der wirtschaftliche Wahnsinn zu verzeichnen,
daß dieselben deutschen Fahrzeuge, die uns für den Wiederaufbau des deutschen
Wirtschaftslebens trefflichste Dienste leisten könnten, vollkommen untätig und
zwecklos seit langer Zeit in den englischen Häfen herumliegen und daselbst Platz
wegnehmen! Für das erste Schiffslieferjahr (lO. April 1920 bis 9. April 1921)
hatte die Kommission für Wiedergutmachungen statt der im Friedensverträge vor¬
gesehenen Maximalmenge von 200 000 Vruttvrcgistertonncn den deutschen Werften
schon nur eine Ablieferung bis zu 75 000 Bruttvregistertonnen vorgeschrieben,
aber — bemerkenswerterweise ist nicht eine einzige Schiffsbestellung wirklich ein¬
gegangen: die deutschen Werften konnten 1920 ganz und gar für deutsche und
neutrale Reedereien im freien Markt arbeiten. Daß die Dinge auch 1921
und vermutlich in den nachfolgenden Jahren ebenso sich nicht viel anders gestalten
werden, dafür bürgt allein schon die pikante Tatsache, daß die notleidenden
englischen und französischen Werftbesitzer erklärt haben, sie würden sich einer
Durchführung des § 5 der Anlage III, d. h. einer Erteilung von Zwangs-
banaufträgcn an deutsche Wersten,mit allen Mittel» widersetzen! — Liegt hier
auch keine Verletzung des Versailler Vertrags durch die Entente vor, so ist doch
auch der genannte Paragraph wieder einmal ein Beweis dafür, daß manche
Bestimmungen des FriedcnsvertragS eben praktisch undurchführbar, revisions¬
bedürftig und von nationalökonomischen Dilettantismus eingegeben sind. —
Mit einem gewissen grimmig-humoristischen Behagen mögen wir Deutschen
ferner die praktischen Konsequenzen beobachten, zu denen die Festsetzungen der
Anlage VII zum Kapitel „Wiedergutmachungen" geführt haben. Sie legten
Deutschland den schmerzlichen Verzicht auf seine 15 großen Seekadet auf.
Es war von vornherein auffällig, daß im Versailler Frieden nicht bestimmt
wurde, zu wessen Gunsten Deutschland in jedem einzelnen Falle verzichten sollte,
— es war nur ganz unbestimmt gesagt „zugunsten der hauptsächlichen alliierten
und assoziierten Mächte". Heute wissen wir den Grund dieser bedenklich unklaren
Neuregelung: „Die hauptsächlichen alliierten und assoziierten Mächte" haben sich
in Versailles über die Verteilung des Raubes nicht einigen können! Den Beweis
lieferte die internationale Kabelkvnfercnz, die im Spätherbst 1920 in Washington
stattfand und die u. a. auch über die Neuregelung des Besitzes der ehemals deut¬
schen Kabel entscheiden sollte. Es ist dabei zwischen „den alliierten und assoziierten
Mächten" zu Gegensätzen von nicht gewöhnlicher Schärfe gekommen. England
wollte die deutschen Kabel im Atlantic möglichst allein kontrollieren) den Ameri¬
kanern aber lag gar nicht daran, das unerträgliche Joch des englischen Kabel¬
monopols zu verewigen, das sie im Kriege so überaus schmerzlich verspürt hatten:
sie forderten daher, die Kabel sollten — an Deutschland zurückgegeben werden!
Eine Einigung war nicht zu erzielen: die Konferenz ist resultatlos auseinander-
gegangen! Ebenso gönnten die Vereinigten Staaten den Japanern nicht den
Besitz der von ihnen zunächst in Verwaltung genommenen deutschen Kabel in der
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