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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Dffener Vries an den Präsidenten der Vereinigten Staaten "so.

solcher Größe zieht nach der Reihe die Unterdrückten wie die Unterdrücker, wie
schließlich auch die ganze Nachbarschaft in ihre Folgen herein.

Nun hat sich in der letzten Zeit klar herausgestellt, daß das Strafurteil
von Versailles auf irrtümlichen Grundlagen beruhte. Ihrem Amtsvorgänger
wurde in Versailles noch die Meinung beigebracht, daß Deutschland der Urheber
des Krieges und als solcher straffällig wäre. Gewisse Ungeschicklichkeiten der
deutschen Diplomatie im Juli 1914, dann die geschickten, wenn auch heuchlerischen
Suggestionen der britischen Propaganda und endlich die Selbstanklagen der
deutschen Revolutionäre, die, um sich in der Herrschaft zu halten oder in
parteiischen Illusionen befangen, glaubten, das gestürzte Regiment jeder
Übeltat bezichtigen zu sollen, das alles zusammen hatte in Versailles schein¬
bare Grundlagen für die Verdammung Deutschlands geschaffen. Nur diese
scheinbar erwiesene Schuld hat z. B. den Z 231 des Fricdensvertrags
hervorgebracht, der die Verpflichtung zu einer Kriegsentschädigung ungeheuerlichen
Umfangs begründet, in dem Satz: "Die alliierten und assoziierten Regierungen
erklären und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten
als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind....."
Nachdem nun die geschichtliche Wahrheit, die vorübergehend verdunkelt werden
konnte, ihre unaufhaltsamen Strahlen auch auf die Frage der Kriegsschuld zu
werfen beginnt, finden wir selbst bei britischen und französischen Zeugen Wider¬
rufungen jener Hypothese, die allein den Vertrag von Versailles begründet hatte.
So hat Mr. Lloyd George nach der "Times" vom 23. Dezember 1920 in Genf
erklärt, daß, "wenn eine Versammlung wie der Völkerbund 1914 bestanden hätte,
es keinen Krieg gegeben hätte". Lloyd George ist der Meinung, daß "keiner der
leitenden Staatsmänner in diesem Stadium wirklich den Krieg beabsichtigte", und
er führt an, daß diese Ansicht sich in ihm immer tiefer festsetze, je mehr er die
Denkwürdigkeiten und Bücher lese, die über diesen Gegenstand erschienen seien:
"Der Krieg war etwas, worin wir hineinglitten oder richtiger stolperten und
torkelten, vielleicht durch geistige Verwirrung, und eine Aussprache hätte den Krieg
zweifellos verhindert." Von französischen Zeugen will ich nur den ehemaligen
französischen Botschafter in Se. Petersburg, M. Palüologue, erwähnen, der vor
kurzem in seinen Denkwürdigkeiten vom Juli 1914 erzählt hat, daß ihm der
Zar versicherte: "Wenn Sie den Kaiser so kennten, wie ich ihn kenne, so würden
Sie niemals für möglich halten, daß er einen Krieg wünscht."

Es ist verständlich, daß M. Poincarü als einer derjenigen, welche nach
ziemlich einstimmigem Urteil französischer wie nichtfranzösischer Beurteiler die
kriegsschwangere Atmosphäre geschaffen haben, welche zur Erplosion des Juli 1914
führte, .sich durch Geständnisse wie die von Lloyd George und M. Palöologue
beunruhigt fühlt. Mit einer beinahe verblüffenden Offenheit gibt M. Poincarö
im "Temps" vom 27. Dezember 1920 dieser seiner Angst Ausdruck mit den
Worten: "Die Deutschen sammeln wohlverstanden mit eifersüchtiger Sorgfalt
alles, was in Frankreich im Sinn ihrer Vorurteile gedruckt wird, und sie nutzen
es zugunsten ihrer Interessen. Sie haben gegenwärtig nur das eine Ziel, den
Verpflichtungen zu entschlüpfen, die ihnen der Vertrag von Versailles auferlegt
hat. Wenn sie mit Hilfe besonders gewisser französischer Veröffentlichungen den
Neutralen und Amerika selbst, bevor dieses den Frieden unterzeichnet, beibringen


Dffener Vries an den Präsidenten der Vereinigten Staaten »so.

solcher Größe zieht nach der Reihe die Unterdrückten wie die Unterdrücker, wie
schließlich auch die ganze Nachbarschaft in ihre Folgen herein.

Nun hat sich in der letzten Zeit klar herausgestellt, daß das Strafurteil
von Versailles auf irrtümlichen Grundlagen beruhte. Ihrem Amtsvorgänger
wurde in Versailles noch die Meinung beigebracht, daß Deutschland der Urheber
des Krieges und als solcher straffällig wäre. Gewisse Ungeschicklichkeiten der
deutschen Diplomatie im Juli 1914, dann die geschickten, wenn auch heuchlerischen
Suggestionen der britischen Propaganda und endlich die Selbstanklagen der
deutschen Revolutionäre, die, um sich in der Herrschaft zu halten oder in
parteiischen Illusionen befangen, glaubten, das gestürzte Regiment jeder
Übeltat bezichtigen zu sollen, das alles zusammen hatte in Versailles schein¬
bare Grundlagen für die Verdammung Deutschlands geschaffen. Nur diese
scheinbar erwiesene Schuld hat z. B. den Z 231 des Fricdensvertrags
hervorgebracht, der die Verpflichtung zu einer Kriegsentschädigung ungeheuerlichen
Umfangs begründet, in dem Satz: „Die alliierten und assoziierten Regierungen
erklären und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten
als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind....."
Nachdem nun die geschichtliche Wahrheit, die vorübergehend verdunkelt werden
konnte, ihre unaufhaltsamen Strahlen auch auf die Frage der Kriegsschuld zu
werfen beginnt, finden wir selbst bei britischen und französischen Zeugen Wider¬
rufungen jener Hypothese, die allein den Vertrag von Versailles begründet hatte.
So hat Mr. Lloyd George nach der „Times" vom 23. Dezember 1920 in Genf
erklärt, daß, „wenn eine Versammlung wie der Völkerbund 1914 bestanden hätte,
es keinen Krieg gegeben hätte". Lloyd George ist der Meinung, daß „keiner der
leitenden Staatsmänner in diesem Stadium wirklich den Krieg beabsichtigte", und
er führt an, daß diese Ansicht sich in ihm immer tiefer festsetze, je mehr er die
Denkwürdigkeiten und Bücher lese, die über diesen Gegenstand erschienen seien:
„Der Krieg war etwas, worin wir hineinglitten oder richtiger stolperten und
torkelten, vielleicht durch geistige Verwirrung, und eine Aussprache hätte den Krieg
zweifellos verhindert." Von französischen Zeugen will ich nur den ehemaligen
französischen Botschafter in Se. Petersburg, M. Palüologue, erwähnen, der vor
kurzem in seinen Denkwürdigkeiten vom Juli 1914 erzählt hat, daß ihm der
Zar versicherte: „Wenn Sie den Kaiser so kennten, wie ich ihn kenne, so würden
Sie niemals für möglich halten, daß er einen Krieg wünscht."

Es ist verständlich, daß M. Poincarü als einer derjenigen, welche nach
ziemlich einstimmigem Urteil französischer wie nichtfranzösischer Beurteiler die
kriegsschwangere Atmosphäre geschaffen haben, welche zur Erplosion des Juli 1914
führte, .sich durch Geständnisse wie die von Lloyd George und M. Palöologue
beunruhigt fühlt. Mit einer beinahe verblüffenden Offenheit gibt M. Poincarö
im „Temps" vom 27. Dezember 1920 dieser seiner Angst Ausdruck mit den
Worten: „Die Deutschen sammeln wohlverstanden mit eifersüchtiger Sorgfalt
alles, was in Frankreich im Sinn ihrer Vorurteile gedruckt wird, und sie nutzen
es zugunsten ihrer Interessen. Sie haben gegenwärtig nur das eine Ziel, den
Verpflichtungen zu entschlüpfen, die ihnen der Vertrag von Versailles auferlegt
hat. Wenn sie mit Hilfe besonders gewisser französischer Veröffentlichungen den
Neutralen und Amerika selbst, bevor dieses den Frieden unterzeichnet, beibringen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/208>, abgerufen am 29.12.2024.