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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Reisebriefe an den Kaiser

er gestorben ist. Ein kümmerliches Gärtchen am Haus. Daneben etwas geschützter
gegen den Wind und daher jetzt von höheren Bäumen freundlich eingefaßt das Haus,
das Bertrand bewohnte. Zwei Löcher hatte Napoleon dort in die Wand brechen
lassen, um im Sitzen und Stehen unbelästigt dem Exerzieren der englischen Soldaten
auf dem gegenüberliegenden Verghcmg zusehen zu können. Durch ein drittes Loch
verfolgte er den Bau eines für ihn bestimmten Steinhauses, das er aber nicht mehr
bezogen hat.

So liegt das Anwesen Longwood auf freier Höhe, gewiß ein schöner Rundblick
über die von allen Seiten steil aufsteigende Insel und weit aufs Meer hinaus. Aber,
jede Bergeshöhe zeigt noch heute die Anlage von Befestigungen, jedes noch so schroffe"
Tal ist unten durch eine Mauer versperrt, und überall, wo es nur denkbar ist, stehen
Alarmgeschütze, heute vergessen und verrostet und die Mauerwerke meist zerfallen.
So wirkt auf den Besucher nicht die schöne Natur, sondern er bekommt den starken
Eindruck, daß hier ein schließlich gebrochener Mann geendet hat, der nach dem Ver¬
such, die Welt umzustoßen, seine ehrgeizigen Pläne vernichtet, sich selbst gefesselt
fühlt, eigentlich tot, ehe er zu Grabe getragen wurde in die grünende Schlucht
hinunter, wo jetzt zwischen schönen alten Bäumen eine weißgetünchte Steinplatte
ohne Inschrift an ihn erinnert.

Ein stolzer Eindruck für unsere Mannschaft, das Gefühl, daß auch am Grabe
Napoleons der Deutsche als Sieger steht. Auf der weiteren Überfahrt trat auf
S. M. S. "Kaiser" leider ein langsam zunehmendes Versalzen der Kessel ein, da
sowohl Undichtigkeiten an den Kondensatoren wie auch nicht einwandfreies Arbeiten
der Verdampfer -- Erscheinungen, mit denen schon öfter zu kämpfen war -- Salz
dem Speisewasser zutreten ließen und während der 18 Tage der Überfahrt das
Schiff nur auf selbsthcrgestelltes Wasser angewiesen war. Bei der nun eintretenden
Neigung der Kessel zum Überkochen war es rätlich, in den letzten Tagen von einem
Manövrieren mit dem Schiff abzusehen. Es wurde daher alle Zeit verwandt, den
Gefechtsdienst zu fördern und die erste Gefechtsbesichtigung zu erledigen, während
das Schiff die Reise mit gleichmäßiger Fahrt fortsetzte.

Hierbei bot sich Gelegenheit, dicht an der kleinen einsamen Insel Trinidad
vorbeizulaufen. Ein aus großer Tiefe schroff aufsteigendes Eiland, zur Zeit ganz
unbewohnt. Zwischen den großartigen vulkanischen Bergkruppen steigen Felssäulen
wie große Denkstein? bis zu 400 in Höhe senkrecht empor. Wilde Naturgewalten
müssen hier gekämpft haben, um diese Massen zur Insel aufzutürmen. -- Jetzt um¬
schweben nur unendliche Scharen von Seevögeln, ohne Kenntnis von Scheu vor dem
Schiff, die hohen Felsen und spielen über den blauen Fluten. Bald wird es dunkel,
und während die Insel als malerischer Schatten am Horizont steht, steigt der Voll¬
mond in glänzender Pracht gerade über dem Kielwasser des dahinziehenden Schiffes
auf. Das Meer spinnt silberne Fäden aus dem Mondlicht und der nächtliche
Tropenhimmel läßt allen seinen Glanz spielen in verschwenderischer Fülle.




Reisebriefe an den Kaiser

er gestorben ist. Ein kümmerliches Gärtchen am Haus. Daneben etwas geschützter
gegen den Wind und daher jetzt von höheren Bäumen freundlich eingefaßt das Haus,
das Bertrand bewohnte. Zwei Löcher hatte Napoleon dort in die Wand brechen
lassen, um im Sitzen und Stehen unbelästigt dem Exerzieren der englischen Soldaten
auf dem gegenüberliegenden Verghcmg zusehen zu können. Durch ein drittes Loch
verfolgte er den Bau eines für ihn bestimmten Steinhauses, das er aber nicht mehr
bezogen hat.

So liegt das Anwesen Longwood auf freier Höhe, gewiß ein schöner Rundblick
über die von allen Seiten steil aufsteigende Insel und weit aufs Meer hinaus. Aber,
jede Bergeshöhe zeigt noch heute die Anlage von Befestigungen, jedes noch so schroffe"
Tal ist unten durch eine Mauer versperrt, und überall, wo es nur denkbar ist, stehen
Alarmgeschütze, heute vergessen und verrostet und die Mauerwerke meist zerfallen.
So wirkt auf den Besucher nicht die schöne Natur, sondern er bekommt den starken
Eindruck, daß hier ein schließlich gebrochener Mann geendet hat, der nach dem Ver¬
such, die Welt umzustoßen, seine ehrgeizigen Pläne vernichtet, sich selbst gefesselt
fühlt, eigentlich tot, ehe er zu Grabe getragen wurde in die grünende Schlucht
hinunter, wo jetzt zwischen schönen alten Bäumen eine weißgetünchte Steinplatte
ohne Inschrift an ihn erinnert.

Ein stolzer Eindruck für unsere Mannschaft, das Gefühl, daß auch am Grabe
Napoleons der Deutsche als Sieger steht. Auf der weiteren Überfahrt trat auf
S. M. S. „Kaiser" leider ein langsam zunehmendes Versalzen der Kessel ein, da
sowohl Undichtigkeiten an den Kondensatoren wie auch nicht einwandfreies Arbeiten
der Verdampfer — Erscheinungen, mit denen schon öfter zu kämpfen war — Salz
dem Speisewasser zutreten ließen und während der 18 Tage der Überfahrt das
Schiff nur auf selbsthcrgestelltes Wasser angewiesen war. Bei der nun eintretenden
Neigung der Kessel zum Überkochen war es rätlich, in den letzten Tagen von einem
Manövrieren mit dem Schiff abzusehen. Es wurde daher alle Zeit verwandt, den
Gefechtsdienst zu fördern und die erste Gefechtsbesichtigung zu erledigen, während
das Schiff die Reise mit gleichmäßiger Fahrt fortsetzte.

Hierbei bot sich Gelegenheit, dicht an der kleinen einsamen Insel Trinidad
vorbeizulaufen. Ein aus großer Tiefe schroff aufsteigendes Eiland, zur Zeit ganz
unbewohnt. Zwischen den großartigen vulkanischen Bergkruppen steigen Felssäulen
wie große Denkstein? bis zu 400 in Höhe senkrecht empor. Wilde Naturgewalten
müssen hier gekämpft haben, um diese Massen zur Insel aufzutürmen. — Jetzt um¬
schweben nur unendliche Scharen von Seevögeln, ohne Kenntnis von Scheu vor dem
Schiff, die hohen Felsen und spielen über den blauen Fluten. Bald wird es dunkel,
und während die Insel als malerischer Schatten am Horizont steht, steigt der Voll¬
mond in glänzender Pracht gerade über dem Kielwasser des dahinziehenden Schiffes
auf. Das Meer spinnt silberne Fäden aus dem Mondlicht und der nächtliche
Tropenhimmel läßt allen seinen Glanz spielen in verschwenderischer Fülle.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/194>, abgerufen am 29.12.2024.