Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.Zur Verteidigung der geschichtlichen Betrachtung die Anzeichen des zweifelnden Historismus, Relativismus, Quietismus sich Ich habe von der Art der Historiker, also der Geschichtsforscher, gesprochen. Unsere Erörterung gilt nur deu politischen Verhältnissen. Z. behauptet Sollte wirklich das durch die Romantik eingeleitete geschichtliche 19. Jahr¬ 2) Gegen die Voraussetzung einer derartigen strengen Einheit der Kultur habe
ich mich mehrfach ausgesprochen, zuletzt in meinen "Problemen der Wirtschafts, geschichte" (Tübingen 19SV). Zur Verteidigung der geschichtlichen Betrachtung die Anzeichen des zweifelnden Historismus, Relativismus, Quietismus sich Ich habe von der Art der Historiker, also der Geschichtsforscher, gesprochen. Unsere Erörterung gilt nur deu politischen Verhältnissen. Z. behauptet Sollte wirklich das durch die Romantik eingeleitete geschichtliche 19. Jahr¬ 2) Gegen die Voraussetzung einer derartigen strengen Einheit der Kultur habe
ich mich mehrfach ausgesprochen, zuletzt in meinen „Problemen der Wirtschafts, geschichte" (Tübingen 19SV). <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338588"/> <fw type="header" place="top"> Zur Verteidigung der geschichtlichen Betrachtung</fw><lb/> <p xml:id="ID_488" prev="#ID_487"> die Anzeichen des zweifelnden Historismus, Relativismus, Quietismus sich<lb/> beobachten ließen. Geben wir der Einfachheit wegen zu, daß es fich so verhielt,<lb/> so machen diese doch nicht die Mehrheit aus. Überdies würde eine solche Haltung<lb/> bei ihnen einen Abfall, eine Abweichung von der bisherigen regelmäßigen<lb/> Haltung der deutschen Historiker bedeuten.</p><lb/> <p xml:id="ID_489"> Ich habe von der Art der Historiker, also der Geschichtsforscher, gesprochen.<lb/> Wenn die geschichtliche Betrachtung bei ihnen nicht zur quietistischen Auffassung<lb/> geführt hat, so wird sie auch beim Volk im ganzen nicht dahin führen. Wir<lb/> werden vielmehr voraussetzen dürfen, daß die Beschäftigung mit der Geschichte<lb/> hier wie da die gleiche Wirkung übt. Wir nehmen ja auch schon wahr, daß die¬<lb/> jenigen Bolksteile, die wirklich in der deutschen Geschichte leben, politische<lb/> Energie zeigen und von da aus gerade einen Teil ihrer politischen Energie<lb/> schöpfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_490"> Unsere Erörterung gilt nur deu politischen Verhältnissen. Z. behauptet<lb/> einen vollkommenen Parallelismus zwischen Politik und Kunst eines Volks.<lb/> Eine so strenge Einheit der Kultur ist nirgends vorhanden.^ Darum würden<lb/> auch unsere Sätze nicht lsinfällig werden, wenn etwa für die Kunst ein anderes<lb/> Verhältnis bestände als für die Politik, wenn also die umfassende geschichtliche »<lb/> Orientierung des Volks sich für die Produktivität der Kunst schädlich erwiese.<lb/> Es könnte ja sein, daß der menschliche Geist hier wie so oft anderswo zu schaffen<lb/> aufhört, wenn er eine feste Form zur Verfügung hat. Obwohl es aber für<lb/> unsern Zusammenhang nicht notwendig ist, diese Frage nach ihren verschiedenen<lb/> Seiten zu beantworten, so mag doch nebenbei die Bemerkung hier Platz finden,<lb/> daß z. B. in der Architektur das, was im Laufe des 19. Jahrhunderts im Anschluß<lb/> an historische Formen geschaffen worden ist, immerhin den Vorzug verdienen<lb/> dürfte vor den ganz freien Schöpfungen (etwa den Bürgerhäusern der siebziger<lb/> und achtziger Jahre). Falls also unsere Kunst an neuen Ideen arm sein sollte,<lb/> so würde doch die Verwertung der alten Gedanken sie wenigstens noch auf einer<lb/> gewissen Höhe halten.</p><lb/> <p xml:id="ID_491" next="#ID_492"> Sollte wirklich das durch die Romantik eingeleitete geschichtliche 19. Jahr¬<lb/> hundert deshalb mit der inneren und äußeren Gebrochenheit der Revolution<lb/> geendigt haben, weil es das geschichtliche Jahrhundert gewesen ist? Hat wirklich<lb/> die geschichtliche Betrachtungsweise zur Relativierung der Vaterlandsliebe<lb/> geführt? überall ist doch das Gegenteil mit Händen zu greifen. Keine Macht<lb/> hat so für die Vaterlandsliebe, für die erhebende und aufopfernde Vaterlands¬<lb/> idee geworben wie die geschichtliche Literatur. Und diese Werbung hatte nicht<lb/> etwa — wie die heutigen Bedientenseelen, von sich aus urteilend, glauben<lb/> machen wollen — die Art der Erziehung zur Unterwürfigkeit, sondern im Kampf<lb/> hat die Geschichte für das Vaterland geworben. Die geschichtliche Betrachtung<lb/> und geschichtliche Forschung hat ferner so wenig zu verzichtenden Quietismus<lb/> geführt, daß sie vielmehr von sich aus neue politische Forderungen gestützt hat.<lb/> Wenn bei den politischen Historikern politische Wünsche und Ergebnisse der<lb/> Forschung gewiß in Wechselwirkung stehen, so sind eben doch'diese letzteren als</p><lb/> <note xml:id="FID_20" place="foot"> 2) Gegen die Voraussetzung einer derartigen strengen Einheit der Kultur habe<lb/> ich mich mehrfach ausgesprochen, zuletzt in meinen „Problemen der Wirtschafts,<lb/> geschichte" (Tübingen 19SV).</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0155]
Zur Verteidigung der geschichtlichen Betrachtung
die Anzeichen des zweifelnden Historismus, Relativismus, Quietismus sich
beobachten ließen. Geben wir der Einfachheit wegen zu, daß es fich so verhielt,
so machen diese doch nicht die Mehrheit aus. Überdies würde eine solche Haltung
bei ihnen einen Abfall, eine Abweichung von der bisherigen regelmäßigen
Haltung der deutschen Historiker bedeuten.
Ich habe von der Art der Historiker, also der Geschichtsforscher, gesprochen.
Wenn die geschichtliche Betrachtung bei ihnen nicht zur quietistischen Auffassung
geführt hat, so wird sie auch beim Volk im ganzen nicht dahin führen. Wir
werden vielmehr voraussetzen dürfen, daß die Beschäftigung mit der Geschichte
hier wie da die gleiche Wirkung übt. Wir nehmen ja auch schon wahr, daß die¬
jenigen Bolksteile, die wirklich in der deutschen Geschichte leben, politische
Energie zeigen und von da aus gerade einen Teil ihrer politischen Energie
schöpfen.
Unsere Erörterung gilt nur deu politischen Verhältnissen. Z. behauptet
einen vollkommenen Parallelismus zwischen Politik und Kunst eines Volks.
Eine so strenge Einheit der Kultur ist nirgends vorhanden.^ Darum würden
auch unsere Sätze nicht lsinfällig werden, wenn etwa für die Kunst ein anderes
Verhältnis bestände als für die Politik, wenn also die umfassende geschichtliche »
Orientierung des Volks sich für die Produktivität der Kunst schädlich erwiese.
Es könnte ja sein, daß der menschliche Geist hier wie so oft anderswo zu schaffen
aufhört, wenn er eine feste Form zur Verfügung hat. Obwohl es aber für
unsern Zusammenhang nicht notwendig ist, diese Frage nach ihren verschiedenen
Seiten zu beantworten, so mag doch nebenbei die Bemerkung hier Platz finden,
daß z. B. in der Architektur das, was im Laufe des 19. Jahrhunderts im Anschluß
an historische Formen geschaffen worden ist, immerhin den Vorzug verdienen
dürfte vor den ganz freien Schöpfungen (etwa den Bürgerhäusern der siebziger
und achtziger Jahre). Falls also unsere Kunst an neuen Ideen arm sein sollte,
so würde doch die Verwertung der alten Gedanken sie wenigstens noch auf einer
gewissen Höhe halten.
Sollte wirklich das durch die Romantik eingeleitete geschichtliche 19. Jahr¬
hundert deshalb mit der inneren und äußeren Gebrochenheit der Revolution
geendigt haben, weil es das geschichtliche Jahrhundert gewesen ist? Hat wirklich
die geschichtliche Betrachtungsweise zur Relativierung der Vaterlandsliebe
geführt? überall ist doch das Gegenteil mit Händen zu greifen. Keine Macht
hat so für die Vaterlandsliebe, für die erhebende und aufopfernde Vaterlands¬
idee geworben wie die geschichtliche Literatur. Und diese Werbung hatte nicht
etwa — wie die heutigen Bedientenseelen, von sich aus urteilend, glauben
machen wollen — die Art der Erziehung zur Unterwürfigkeit, sondern im Kampf
hat die Geschichte für das Vaterland geworben. Die geschichtliche Betrachtung
und geschichtliche Forschung hat ferner so wenig zu verzichtenden Quietismus
geführt, daß sie vielmehr von sich aus neue politische Forderungen gestützt hat.
Wenn bei den politischen Historikern politische Wünsche und Ergebnisse der
Forschung gewiß in Wechselwirkung stehen, so sind eben doch'diese letzteren als
2) Gegen die Voraussetzung einer derartigen strengen Einheit der Kultur habe
ich mich mehrfach ausgesprochen, zuletzt in meinen „Problemen der Wirtschafts,
geschichte" (Tübingen 19SV).
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