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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Die Pflege des kolonialen Gedankens ein Stück Wiederaufbau usw.

moralischen Spannkraft. Ebenso beruhte die ihnen zum Siege verhelfende Über¬
legenheit der Gegner nicht nur auf ihrem militärischen Übergewicht und ihrer
größeren politischen Befähigung, sondern ebensosehr und vielleicht in noch höherem
Grade auf dem zum Glaubenssatz erhobenen Gedanken, mit der Niederzwingung
Deutschlands ein in sich gutes Werk zu vollbringen. Inwieweit diese Vorstellungen
eine bewußte oder unbewußte Selbsttäuschung waren, kann hier dahingestellt
bleiben. Es kommt hier nur auf die Tatsache an, daß sie der antideutschen Liga
die Kraft einer moralischen Überzeugung zugeführt haben, die die eigensüchtigen
Ziele verhüllten und die größten Brutalitäten mit dem Schimmer der Verklärung
eines Kampfes für hohe Ideale umkleideten.

Die deutsche Kolonialgeschichte umfaßte gerade 30 Jahre, als der Krieg
ausbrach,- sie war für uns eine Lehrzeit, in der wir die mit einer solchen ver¬
bundenen Fehler und Mißgriffe begangen haben, freilich schwerlich in größerem
Umfang als andere Völker in ähnlicher Lage. nachteilig waren vor allem die
Schwankungen und Unklarheiten über Zweck und Ziel unserer Kolonialpolitik, denn
sie haben wesentlich dazu beigetragen, daß ihr die Volkstümlichkeit gefehlt hat.
Aber es läßt sich doch feststellen, daß sich darin ein Umschwung anbahnte.
Das Urteil, daß an dem Kolonialbesitz nur der Großkaufmann, der Reeber, der
Kolonialbeamte, kurz einzelne Berufsstände interessiert seien, ließ sich angesichts
der wachsenden Beziehungen der Schutzgebiete zu dem Mutterlande und im Blick
auf ihre gerade in den letzten Jahren erheblich und dauernd aufsteigende wirtschaft¬
liche Entwicklung nicht aufrechterhalten. So sehr auch das Regiment Dernburgs
umstritten ist, nach feiten der Aufkärung über den Wert der deutschen Kolonien
hatte es große Verdienste. Eine Wandlung vollzog sich auch in der Stellung der
sozialdemokratischen Partei, indem sie zu dem kolonialen Gedanken ein positives
Verhältnis zu gewinnen begann. Gustav Roste schloß sein im Mai 1914 heraus¬
gegebenes Buch "Kolonialpolitik und Sozialdemokratie" mit den Worten: "Mit
den allerbescheidensten Arbeiten zur Erschließung und Entwicklung der riesigen
Gebiete, die Deutschland in Afrika und in der Südsee in Besitz hat, ist erst be¬
gonnen worden. Immer neue kolonialpolitische Probleme werden auftauchen und
die parlamentarische Vertretung der Sozialdemokratie zu sorgsamen Erwägungen
und wichtigen Entschließungen zwingen. Die Erörterung und Klärung kolonial¬
politischer Fragen in der sozialdemokratischen Partei und ihrer Presse wird und
kann deshalb gar nicht verstummen."

Durch die Erfahrungen der Kriegsjahre ist die Kolonialfrage in ein neues
Licht gerückt worden. Sie haben uns die große Entdeckung gebracht, daß unsere
ganze Lebenshaltung von den Produkten der Tropen abhängig ist, und daß jeder
Deutsche sein Leben umgestalten muß, wenn sie uns entzogen werden. Das Aus¬
bleiben der Faserstoffe und der Wolle machte sich sehr bald empfindlich bemerkbar
und gefährdet, wenn der Zustand andauert, die ganze Textil- und Bekleidungs¬
industrie, in der nach der Berufsstatistik von 1907 mehr als zwei Millionen
Menschen beschäftigt waren. Unser Bedarf an Häuten, Fellen und Gerbstoffen
erforderte 1913 eine Einfuhr von über 400 Millionen Mark. Daß wir den
Import von Kautschuk und Kupfer entbehren mußten, hat nach vielen Seiten eine
starke Wirkung ausgeübt. Die Gewöhnung an Kaffee, Tee, Kakao und Tabak
machte den Verzicht auf diese Genußmittel sehr empfindlich. Aber wir lernten


Die Pflege des kolonialen Gedankens ein Stück Wiederaufbau usw.

moralischen Spannkraft. Ebenso beruhte die ihnen zum Siege verhelfende Über¬
legenheit der Gegner nicht nur auf ihrem militärischen Übergewicht und ihrer
größeren politischen Befähigung, sondern ebensosehr und vielleicht in noch höherem
Grade auf dem zum Glaubenssatz erhobenen Gedanken, mit der Niederzwingung
Deutschlands ein in sich gutes Werk zu vollbringen. Inwieweit diese Vorstellungen
eine bewußte oder unbewußte Selbsttäuschung waren, kann hier dahingestellt
bleiben. Es kommt hier nur auf die Tatsache an, daß sie der antideutschen Liga
die Kraft einer moralischen Überzeugung zugeführt haben, die die eigensüchtigen
Ziele verhüllten und die größten Brutalitäten mit dem Schimmer der Verklärung
eines Kampfes für hohe Ideale umkleideten.

Die deutsche Kolonialgeschichte umfaßte gerade 30 Jahre, als der Krieg
ausbrach,- sie war für uns eine Lehrzeit, in der wir die mit einer solchen ver¬
bundenen Fehler und Mißgriffe begangen haben, freilich schwerlich in größerem
Umfang als andere Völker in ähnlicher Lage. nachteilig waren vor allem die
Schwankungen und Unklarheiten über Zweck und Ziel unserer Kolonialpolitik, denn
sie haben wesentlich dazu beigetragen, daß ihr die Volkstümlichkeit gefehlt hat.
Aber es läßt sich doch feststellen, daß sich darin ein Umschwung anbahnte.
Das Urteil, daß an dem Kolonialbesitz nur der Großkaufmann, der Reeber, der
Kolonialbeamte, kurz einzelne Berufsstände interessiert seien, ließ sich angesichts
der wachsenden Beziehungen der Schutzgebiete zu dem Mutterlande und im Blick
auf ihre gerade in den letzten Jahren erheblich und dauernd aufsteigende wirtschaft¬
liche Entwicklung nicht aufrechterhalten. So sehr auch das Regiment Dernburgs
umstritten ist, nach feiten der Aufkärung über den Wert der deutschen Kolonien
hatte es große Verdienste. Eine Wandlung vollzog sich auch in der Stellung der
sozialdemokratischen Partei, indem sie zu dem kolonialen Gedanken ein positives
Verhältnis zu gewinnen begann. Gustav Roste schloß sein im Mai 1914 heraus¬
gegebenes Buch „Kolonialpolitik und Sozialdemokratie" mit den Worten: „Mit
den allerbescheidensten Arbeiten zur Erschließung und Entwicklung der riesigen
Gebiete, die Deutschland in Afrika und in der Südsee in Besitz hat, ist erst be¬
gonnen worden. Immer neue kolonialpolitische Probleme werden auftauchen und
die parlamentarische Vertretung der Sozialdemokratie zu sorgsamen Erwägungen
und wichtigen Entschließungen zwingen. Die Erörterung und Klärung kolonial¬
politischer Fragen in der sozialdemokratischen Partei und ihrer Presse wird und
kann deshalb gar nicht verstummen."

Durch die Erfahrungen der Kriegsjahre ist die Kolonialfrage in ein neues
Licht gerückt worden. Sie haben uns die große Entdeckung gebracht, daß unsere
ganze Lebenshaltung von den Produkten der Tropen abhängig ist, und daß jeder
Deutsche sein Leben umgestalten muß, wenn sie uns entzogen werden. Das Aus¬
bleiben der Faserstoffe und der Wolle machte sich sehr bald empfindlich bemerkbar
und gefährdet, wenn der Zustand andauert, die ganze Textil- und Bekleidungs¬
industrie, in der nach der Berufsstatistik von 1907 mehr als zwei Millionen
Menschen beschäftigt waren. Unser Bedarf an Häuten, Fellen und Gerbstoffen
erforderte 1913 eine Einfuhr von über 400 Millionen Mark. Daß wir den
Import von Kautschuk und Kupfer entbehren mußten, hat nach vielen Seiten eine
starke Wirkung ausgeübt. Die Gewöhnung an Kaffee, Tee, Kakao und Tabak
machte den Verzicht auf diese Genußmittel sehr empfindlich. Aber wir lernten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/144>, abgerufen am 29.12.2024.