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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Meere) in der Hand zu behalten, moralisch und diplomatisch zu unter¬
stützen". Das ist ja eben das Hauptbedenken gegen die Fortsetzung des Ver¬
trages gewesen, daß Deutschland durch die Verpflichtung zur Unterstützung der
russischen Interessen im Balkan, die wir ohne Gegenleistung gewährten, in be¬
denklichen Gegensatz zu Österreich-Ungarn und zu Rumänien, rin dem wir eben
falls in engen vertragsmäßigen Beziehungen standen, aber mich zu England, das
im Orient entgegengesetzte Interessen verfolgte, geraten konnte, und daß das
russische Kabinet in der Lage war, durch Indiskretionen an dritter Stelle unsere
Lage zu gefährden.

Ich, habe an anderer Stelle ausgeführt, wie auch dieser merkwürdige Ver
trag auf die Persönlichkeit des genialen Staatsmannes zugeschnitten war, dessen
ungeheures Gewicht imstande sein konnte, den Gefahren, die mit seinem geheimen
Bestehen verbunden waren, rechtzeitig zuvorzukommen, daß man es aber den
Staatsmännern, denen dieser Ruf nicht zur Seite stand, nicht als Leichtsinn
anrechnen darf, wenn sie diesen Gefahren vorbeugen wollten. Für meine Person
darf ich noch hinzufügen, daß ich bei den damaligen Beratungen mündlich und
schriftlich die Ansicht vertreten habe, wir sollten die Schuld an der Lösung des
Vertrages Nußland zuschieben, indem wir eine unseren Interessen dienlichere
Abänderung und nötigenfalls die Veröffentlichung verlangten.

Eine der meinigen ähnliche Auffassung wird neuerdings in einer sehr ein
gehenden Betrachtung vertreten, die der Historiker Nachfahl in Freiburg im
"Weltwirtschaftlichen Archiv" (Kiel, Juli-Nummer 1920) veröffentlicht hat. Diese
lichtvolle und die verschiedenen Seiten der verwickelten Frage gründlich behandelnde
Abhandlung sei der Aufmerksamkeit Prof. Hartungs empfohlen.

Seitdem sind von unbekannter Seite Privatbriefe des GeheimratS von Holstein
(im "Tag" vom 4. November 1920) veröffentlicht worden, aus denen der Heraus¬
geber den Schluß zieht, daß Holstein die Beseitigung ' des Vertrages aus dem
Grunde erstrebt habe, um dadurch die Wiederkehr Bismarcks ein für allemal zu
verhindern. Ob bei dein Charakter und den Neigungen Holsteins eine solche
Nebenabsicht bestanden haben mag, lasse ich hier dahingestellt) sie schlicht aber in
keiner Weise aus, daß bei der Beratung der Frage die sachlichen Erwägungen,' die
dabei zur Sprache gekommen sind und den Nachfolget deS großen Staatsmannes
zur Lösung deS Vertrages geführt haben, entscheidend gewesen sind.




Neue Wege der Sprachreinigung
Justizrat Ariipfgcintz-Berlin von
I.

eit den Zeiten Philipps von Zehen haben unsere Sprächreiniger fast
ausschließlich den Sum für Sprachschönheit 'und die Liebe zu
deutscher Art zum Kampf gegen das Fremdwort angerufen. Un¬
leugbar ist aber, daß von großen Massen unsere-! Volkes die
Sprache nur als ein Mittel der Verständigung angesehen wird,
von dem man nichts als Bequemlichkeit verlangt, bei dem man
aber nicht nach Schönheit fragt oder Verschandelung beklagt. Andere große
Massen aber, an sich nicht ohne Verständnis und Neigung für eine schöne Sprache,
sind gerade wegen der Anrufung des völkischen Gefühls Feinde der Sprach-


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Meere) in der Hand zu behalten, moralisch und diplomatisch zu unter¬
stützen". Das ist ja eben das Hauptbedenken gegen die Fortsetzung des Ver¬
trages gewesen, daß Deutschland durch die Verpflichtung zur Unterstützung der
russischen Interessen im Balkan, die wir ohne Gegenleistung gewährten, in be¬
denklichen Gegensatz zu Österreich-Ungarn und zu Rumänien, rin dem wir eben
falls in engen vertragsmäßigen Beziehungen standen, aber mich zu England, das
im Orient entgegengesetzte Interessen verfolgte, geraten konnte, und daß das
russische Kabinet in der Lage war, durch Indiskretionen an dritter Stelle unsere
Lage zu gefährden.

Ich, habe an anderer Stelle ausgeführt, wie auch dieser merkwürdige Ver
trag auf die Persönlichkeit des genialen Staatsmannes zugeschnitten war, dessen
ungeheures Gewicht imstande sein konnte, den Gefahren, die mit seinem geheimen
Bestehen verbunden waren, rechtzeitig zuvorzukommen, daß man es aber den
Staatsmännern, denen dieser Ruf nicht zur Seite stand, nicht als Leichtsinn
anrechnen darf, wenn sie diesen Gefahren vorbeugen wollten. Für meine Person
darf ich noch hinzufügen, daß ich bei den damaligen Beratungen mündlich und
schriftlich die Ansicht vertreten habe, wir sollten die Schuld an der Lösung des
Vertrages Nußland zuschieben, indem wir eine unseren Interessen dienlichere
Abänderung und nötigenfalls die Veröffentlichung verlangten.

Eine der meinigen ähnliche Auffassung wird neuerdings in einer sehr ein
gehenden Betrachtung vertreten, die der Historiker Nachfahl in Freiburg im
„Weltwirtschaftlichen Archiv" (Kiel, Juli-Nummer 1920) veröffentlicht hat. Diese
lichtvolle und die verschiedenen Seiten der verwickelten Frage gründlich behandelnde
Abhandlung sei der Aufmerksamkeit Prof. Hartungs empfohlen.

Seitdem sind von unbekannter Seite Privatbriefe des GeheimratS von Holstein
(im „Tag" vom 4. November 1920) veröffentlicht worden, aus denen der Heraus¬
geber den Schluß zieht, daß Holstein die Beseitigung ' des Vertrages aus dem
Grunde erstrebt habe, um dadurch die Wiederkehr Bismarcks ein für allemal zu
verhindern. Ob bei dein Charakter und den Neigungen Holsteins eine solche
Nebenabsicht bestanden haben mag, lasse ich hier dahingestellt) sie schlicht aber in
keiner Weise aus, daß bei der Beratung der Frage die sachlichen Erwägungen,' die
dabei zur Sprache gekommen sind und den Nachfolget deS großen Staatsmannes
zur Lösung deS Vertrages geführt haben, entscheidend gewesen sind.




Neue Wege der Sprachreinigung
Justizrat Ariipfgcintz-Berlin von
I.

eit den Zeiten Philipps von Zehen haben unsere Sprächreiniger fast
ausschließlich den Sum für Sprachschönheit 'und die Liebe zu
deutscher Art zum Kampf gegen das Fremdwort angerufen. Un¬
leugbar ist aber, daß von großen Massen unsere-! Volkes die
Sprache nur als ein Mittel der Verständigung angesehen wird,
von dem man nichts als Bequemlichkeit verlangt, bei dem man
aber nicht nach Schönheit fragt oder Verschandelung beklagt. Andere große
Massen aber, an sich nicht ohne Verständnis und Neigung für eine schöne Sprache,
sind gerade wegen der Anrufung des völkischen Gefühls Feinde der Sprach-


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[0132] Neue lvege der Sprachreinigung Meere) in der Hand zu behalten, moralisch und diplomatisch zu unter¬ stützen". Das ist ja eben das Hauptbedenken gegen die Fortsetzung des Ver¬ trages gewesen, daß Deutschland durch die Verpflichtung zur Unterstützung der russischen Interessen im Balkan, die wir ohne Gegenleistung gewährten, in be¬ denklichen Gegensatz zu Österreich-Ungarn und zu Rumänien, rin dem wir eben falls in engen vertragsmäßigen Beziehungen standen, aber mich zu England, das im Orient entgegengesetzte Interessen verfolgte, geraten konnte, und daß das russische Kabinet in der Lage war, durch Indiskretionen an dritter Stelle unsere Lage zu gefährden. Ich, habe an anderer Stelle ausgeführt, wie auch dieser merkwürdige Ver trag auf die Persönlichkeit des genialen Staatsmannes zugeschnitten war, dessen ungeheures Gewicht imstande sein konnte, den Gefahren, die mit seinem geheimen Bestehen verbunden waren, rechtzeitig zuvorzukommen, daß man es aber den Staatsmännern, denen dieser Ruf nicht zur Seite stand, nicht als Leichtsinn anrechnen darf, wenn sie diesen Gefahren vorbeugen wollten. Für meine Person darf ich noch hinzufügen, daß ich bei den damaligen Beratungen mündlich und schriftlich die Ansicht vertreten habe, wir sollten die Schuld an der Lösung des Vertrages Nußland zuschieben, indem wir eine unseren Interessen dienlichere Abänderung und nötigenfalls die Veröffentlichung verlangten. Eine der meinigen ähnliche Auffassung wird neuerdings in einer sehr ein gehenden Betrachtung vertreten, die der Historiker Nachfahl in Freiburg im „Weltwirtschaftlichen Archiv" (Kiel, Juli-Nummer 1920) veröffentlicht hat. Diese lichtvolle und die verschiedenen Seiten der verwickelten Frage gründlich behandelnde Abhandlung sei der Aufmerksamkeit Prof. Hartungs empfohlen. Seitdem sind von unbekannter Seite Privatbriefe des GeheimratS von Holstein (im „Tag" vom 4. November 1920) veröffentlicht worden, aus denen der Heraus¬ geber den Schluß zieht, daß Holstein die Beseitigung ' des Vertrages aus dem Grunde erstrebt habe, um dadurch die Wiederkehr Bismarcks ein für allemal zu verhindern. Ob bei dein Charakter und den Neigungen Holsteins eine solche Nebenabsicht bestanden haben mag, lasse ich hier dahingestellt) sie schlicht aber in keiner Weise aus, daß bei der Beratung der Frage die sachlichen Erwägungen,' die dabei zur Sprache gekommen sind und den Nachfolget deS großen Staatsmannes zur Lösung deS Vertrages geführt haben, entscheidend gewesen sind. Neue Wege der Sprachreinigung Justizrat Ariipfgcintz-Berlin von I. eit den Zeiten Philipps von Zehen haben unsere Sprächreiniger fast ausschließlich den Sum für Sprachschönheit 'und die Liebe zu deutscher Art zum Kampf gegen das Fremdwort angerufen. Un¬ leugbar ist aber, daß von großen Massen unsere-! Volkes die Sprache nur als ein Mittel der Verständigung angesehen wird, von dem man nichts als Bequemlichkeit verlangt, bei dem man aber nicht nach Schönheit fragt oder Verschandelung beklagt. Andere große Massen aber, an sich nicht ohne Verständnis und Neigung für eine schöne Sprache, sind gerade wegen der Anrufung des völkischen Gefühls Feinde der Sprach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/132>, abgerufen am 04.07.2024.