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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Der Geist der deutschen Studentenschaft
, Professor Dr. Fritz Härtung von

n den Blättern der Parteien, die sich bis zu den letzten Reichstags¬
wahlen stolz die Mehrheitsparteien nannten, dann freilich die
Wandelbarkeit der Volksgunst erkennen nutzten, macht sich seit
langem eine auffallende Feindseligkeit gegen den Geist der
. deutschen Studentenschaft bemerkbar. Die Frankfurter Zeitung,
^e mit aller Unduldsamkeit, wie wir sie bei Sekten gewöhnt sind, die wahre
Demokratie zu verfechten vorgibt, hat sich sogar zu der Behauptung verstiegen,
'-daß die Art und Weise, wie gerade ein großer Teil der akademischen Jugend
Ach in den Rahmen des neuen Deutschlands einordnet, mit zu dem Nieder¬
schmetterndsten und Beschämendsten gehört, was diese Zeit, die auch reich an
Schönem sein könnte, zu bieten hat" (2. Juni 1920, Abendblatt). Wenn schon
Ärgerliche Kreise so urteilen, dann ist es kein Wunder, daß die proletarischen
fassen der Großstädte von blindem Haß gegen die Studenten erfüllt sind,
^ird doch keine Gelegenheit versäumt, im Parteiinteresse diesen Haß immer
Wieder zu schüren. Die Marburger Studenten werden als feige Mörder harm¬
loser Arbeiter verschrien, ohne Rücksicht darauf, daß noch gar kein endgültiges
Urteil vorliegt. Was aber unsere Studenten in den Kämpfen der Märztage
einer versetzten Bevölkerung zu leiden gehabt haben, davon spricht kein
Mensch, erfährt die Öffentlichkeit überhaupt nichts. Auf Dank dafür, daß sie
^it Aufopferung des Lebens -- hier in Halle, wo die Unruhen bekanntlich erst
^hrere Tage nach dem Sturz der Kappregierung ausgebrochen sind, haben
^ Studenten das Leben verloren -- für Ruhe und Ordnung, für die Regierung
Bauers eingetreten sind, haben sie erst recht nicht zu rechnen.

Selbstverständlich soll hier keineswegs der Versuch gemacht werden, das
putsche Studententum der Gegenwart als Jdealgestalt zu preisen. Es kann
^mein Zweifel unterliegen, daß es die rechte Form gegenüber der neuen Zeit
^es nicht gefunden hat. Daß das Verbindungswesen mit Couleur und Be-
Annwngsmensur wie ein Anachronismus auf uns wirkt, daß der offizielle
^erktagsfrühschoppen einen schreienden Widerspruch gegen die Forderung der


Grenzboten IV 1920 1


Der Geist der deutschen Studentenschaft
, Professor Dr. Fritz Härtung von

n den Blättern der Parteien, die sich bis zu den letzten Reichstags¬
wahlen stolz die Mehrheitsparteien nannten, dann freilich die
Wandelbarkeit der Volksgunst erkennen nutzten, macht sich seit
langem eine auffallende Feindseligkeit gegen den Geist der
. deutschen Studentenschaft bemerkbar. Die Frankfurter Zeitung,
^e mit aller Unduldsamkeit, wie wir sie bei Sekten gewöhnt sind, die wahre
Demokratie zu verfechten vorgibt, hat sich sogar zu der Behauptung verstiegen,
'-daß die Art und Weise, wie gerade ein großer Teil der akademischen Jugend
Ach in den Rahmen des neuen Deutschlands einordnet, mit zu dem Nieder¬
schmetterndsten und Beschämendsten gehört, was diese Zeit, die auch reich an
Schönem sein könnte, zu bieten hat" (2. Juni 1920, Abendblatt). Wenn schon
Ärgerliche Kreise so urteilen, dann ist es kein Wunder, daß die proletarischen
fassen der Großstädte von blindem Haß gegen die Studenten erfüllt sind,
^ird doch keine Gelegenheit versäumt, im Parteiinteresse diesen Haß immer
Wieder zu schüren. Die Marburger Studenten werden als feige Mörder harm¬
loser Arbeiter verschrien, ohne Rücksicht darauf, daß noch gar kein endgültiges
Urteil vorliegt. Was aber unsere Studenten in den Kämpfen der Märztage
einer versetzten Bevölkerung zu leiden gehabt haben, davon spricht kein
Mensch, erfährt die Öffentlichkeit überhaupt nichts. Auf Dank dafür, daß sie
^it Aufopferung des Lebens — hier in Halle, wo die Unruhen bekanntlich erst
^hrere Tage nach dem Sturz der Kappregierung ausgebrochen sind, haben
^ Studenten das Leben verloren — für Ruhe und Ordnung, für die Regierung
Bauers eingetreten sind, haben sie erst recht nicht zu rechnen.

Selbstverständlich soll hier keineswegs der Versuch gemacht werden, das
putsche Studententum der Gegenwart als Jdealgestalt zu preisen. Es kann
^mein Zweifel unterliegen, daß es die rechte Form gegenüber der neuen Zeit
^es nicht gefunden hat. Daß das Verbindungswesen mit Couleur und Be-
Annwngsmensur wie ein Anachronismus auf uns wirkt, daß der offizielle
^erktagsfrühschoppen einen schreienden Widerspruch gegen die Forderung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/9>, abgerufen am 22.07.2024.