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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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ZVie ein Kaufmannsvolk seinen Uredit vernichtet

Wie ein Aaufmannsvolk seinen Aredit vernichtet

HLtin führender Finanzmann schreibt uns: Die Engländer beginnen
zu bemerken, daß die deutsche Geschäftswelt keine sonderliche Eile
verspürt, wieder Guthaben in England anzulegen, und deshalb
hat der englische Botschafter in Berlin es für nötig befunden,
uns amtlich zu versichern, daß die Guthaben und Forderungen,
die wir nach Friedensschluß in England bilden, der Zurückbehaltung oder
Liquidation nach Artikel 297 des Versailler Friedens nicht ausgesetzt seien. Wir
verstehen, daß den Engländern einigermaßen daran liegt, ihre Stellung als
Bankier der Welt wiederzugewinnen. Ihr früher bester Kunde, Deutschland, ist
zwar durch sie selbst halb tot geschlagen, aber da bei der mühsamen Vernichtung
Deutschlands der lachende Dritte, Amerika, einen guten Teil der früheren eng¬
lischen Kraft an sich gezogen hat, so wäre es der City doch recht erwünscht, wenn
die Reste des deutschen Auslandsgeschäfts sich wie früher ihren Umschlagsplatz in
London wählten.

Ich glaube aber nicht, daß diesen Lockungen irgendein deutscher Geschäfts¬
mann folgen wird, denn diese Äußerung der englischen Botschaft ist nichts als
eine Pfiffige Falle! Besteht doch nach Z 18 der Anlage II hinter Artikel 24S
des Friedensvertrags, einer sogenannten Repressalienklausel, kein Zweifel darüber,
daß auch die nach dem Friedensvertrag in England erwachsenden deutschen Gut¬
haben vollständig vogelfrei sind. Da man an der deutschen Zahlungsfähigkeit
zweifelt, so sollen eben auch die neu entstehenden Guthaben als Sicherheit für
die englischen Forderungen dienen. So entstand der in der Geschichte aller
Friedensschlüsse beispiellose Kautschukparagraph, der über allen deutschen Ver¬
mögen bis auf weiteres in den Ländern der Sieger das Damoklesschwert aushängt.

Jedoch nicht aller Sieger! Die Amerikaner denken gar nicht daran, die
kleinliche und rohe Verfolgungsmethode der Engländer nachzuahmen. Amerika ist
aus diesem Grund wie aus verschiedenen anderen das Land, in dem der deutsche
Kaufmann gegenwärtig und vielleicht noch auf lange Zeit hinaus den ausländischen
Fußpunkt findet, den er früher in London zu suchen gewöhnt war. Der
geistige Zustand, welcher hier zwischen den -englischen und amerikanischen Methoden
klafft, möge hier an dem Beispiel des sogenannten "kleinen Eigentums" ver¬
deutlicht werden.'

Die Note Clemenceaus vom 22. August 1919 über das sogenannte "kleine
Eigentum" und die späteren Beschlüsse des Botschafterrates geben die Besitztümer
der Deutschen in den feindlichen Ländern frei, soweit sie wirtschaftlich unter den
Gesichtspunkt "Minima non curat pi-actor" fallen. Insbesondere die Engländer
haben immer aufs neue versichert, sie würden sich großzügig verhalten, das
Privateigentum wäre ihnen vor wie während des Krieges heilig gewesen, und sie
dächten nicht daran, die kleinen Leute, um deren Besitz es sich hierbei handelte, zu
berauben. Als gute Deutsche haben wir das den biederen Engländern um so
lieber geglaubt, als dieses reiche und stolze Volk ja Wohl einigen Anlaß hatte,
dem verhungerten deutschen Vetter gegenüber das Wort "Noblesse obliZe" nicht
ganz zu vergessen. Indes, wie steht es in Wirklichkeit? Kleinlicher konnte sich


ZVie ein Kaufmannsvolk seinen Uredit vernichtet

Wie ein Aaufmannsvolk seinen Aredit vernichtet

HLtin führender Finanzmann schreibt uns: Die Engländer beginnen
zu bemerken, daß die deutsche Geschäftswelt keine sonderliche Eile
verspürt, wieder Guthaben in England anzulegen, und deshalb
hat der englische Botschafter in Berlin es für nötig befunden,
uns amtlich zu versichern, daß die Guthaben und Forderungen,
die wir nach Friedensschluß in England bilden, der Zurückbehaltung oder
Liquidation nach Artikel 297 des Versailler Friedens nicht ausgesetzt seien. Wir
verstehen, daß den Engländern einigermaßen daran liegt, ihre Stellung als
Bankier der Welt wiederzugewinnen. Ihr früher bester Kunde, Deutschland, ist
zwar durch sie selbst halb tot geschlagen, aber da bei der mühsamen Vernichtung
Deutschlands der lachende Dritte, Amerika, einen guten Teil der früheren eng¬
lischen Kraft an sich gezogen hat, so wäre es der City doch recht erwünscht, wenn
die Reste des deutschen Auslandsgeschäfts sich wie früher ihren Umschlagsplatz in
London wählten.

Ich glaube aber nicht, daß diesen Lockungen irgendein deutscher Geschäfts¬
mann folgen wird, denn diese Äußerung der englischen Botschaft ist nichts als
eine Pfiffige Falle! Besteht doch nach Z 18 der Anlage II hinter Artikel 24S
des Friedensvertrags, einer sogenannten Repressalienklausel, kein Zweifel darüber,
daß auch die nach dem Friedensvertrag in England erwachsenden deutschen Gut¬
haben vollständig vogelfrei sind. Da man an der deutschen Zahlungsfähigkeit
zweifelt, so sollen eben auch die neu entstehenden Guthaben als Sicherheit für
die englischen Forderungen dienen. So entstand der in der Geschichte aller
Friedensschlüsse beispiellose Kautschukparagraph, der über allen deutschen Ver¬
mögen bis auf weiteres in den Ländern der Sieger das Damoklesschwert aushängt.

Jedoch nicht aller Sieger! Die Amerikaner denken gar nicht daran, die
kleinliche und rohe Verfolgungsmethode der Engländer nachzuahmen. Amerika ist
aus diesem Grund wie aus verschiedenen anderen das Land, in dem der deutsche
Kaufmann gegenwärtig und vielleicht noch auf lange Zeit hinaus den ausländischen
Fußpunkt findet, den er früher in London zu suchen gewöhnt war. Der
geistige Zustand, welcher hier zwischen den -englischen und amerikanischen Methoden
klafft, möge hier an dem Beispiel des sogenannten „kleinen Eigentums" ver¬
deutlicht werden.'

Die Note Clemenceaus vom 22. August 1919 über das sogenannte „kleine
Eigentum" und die späteren Beschlüsse des Botschafterrates geben die Besitztümer
der Deutschen in den feindlichen Ländern frei, soweit sie wirtschaftlich unter den
Gesichtspunkt „Minima non curat pi-actor" fallen. Insbesondere die Engländer
haben immer aufs neue versichert, sie würden sich großzügig verhalten, das
Privateigentum wäre ihnen vor wie während des Krieges heilig gewesen, und sie
dächten nicht daran, die kleinen Leute, um deren Besitz es sich hierbei handelte, zu
berauben. Als gute Deutsche haben wir das den biederen Engländern um so
lieber geglaubt, als dieses reiche und stolze Volk ja Wohl einigen Anlaß hatte,
dem verhungerten deutschen Vetter gegenüber das Wort „Noblesse obliZe" nicht
ganz zu vergessen. Indes, wie steht es in Wirklichkeit? Kleinlicher konnte sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/60>, abgerufen am 22.07.2024.