Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.Verhandlungen und Tatsachen geschaffen, daß wir jetzt alle beliebigen, auch noch so schweren Bedingungen der Glaubt man, daß es bei Hannibal Achtung und Schonung erzeugt haben Verhandlungen und Tatsachen geschaffen, daß wir jetzt alle beliebigen, auch noch so schweren Bedingungen der Glaubt man, daß es bei Hannibal Achtung und Schonung erzeugt haben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0058" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338081"/> <fw type="header" place="top"> Verhandlungen und Tatsachen</fw><lb/> <p xml:id="ID_190" prev="#ID_189"> geschaffen, daß wir jetzt alle beliebigen, auch noch so schweren Bedingungen der<lb/> Feinde hinnehmen müssen. Vermeidbar dagegen ist auch heute noch, daß wir die<lb/> Zerstückelung Deutschlands gewissermaßen als ein Recht unserer Feinde anerkennen/<lb/> vermeidbar ist vor allem die Würdelosigkeit, mit der unsere Machthaber in den<lb/> ersten anderthalb Jahren ihrer Herrschaft verfahren haben, eine Art des<lb/> Benehmens und Auftretens, welche sich auch aus einen erheblichen Teil unserer<lb/> Presse übertragen hat. Man lese die Berichte deutscher Reporter aus London<lb/> und Paris, man schaue, mit welcher Beflissenheit, ja fast Behagen, ein Zusammen¬<lb/> treffen Llohd Georges mit Millerand oder eine Parlamentseröffnung des<lb/> sogenannten Freistaates Danzig in deutschen illustrierten Zeitungen dargestellt<lb/> wird, ohne daß ein größeres Publikum sich dagegen auflehnt. Man beobachte,<lb/> wie auf der Frankfurter Messe die Flaggen unserer Feinde, selbst solcher, mit<lb/> denen wir heute noch formell im Kriegszustand leben, von den Veranstaltern<lb/> dieser Messe reihenweise aufgepflanzt werden. Nicht nur nationales Anstands-<lb/> gefühl, sondern auch der Verstand müßte solchen Lakaienseelen sagen, daß Schweif¬<lb/> wedeln nicht nur keinen ausländischen Geschäftsmann nach Frankfurt herbeilockt,<lb/> sondern daß die, welche ohnehin kommen, mit ihrem stärkeren nationalenTaktgefühl. sich<lb/> durch einen derartigen Übereifer eher abgestoßen fühlen müssen, wie das in der aus¬<lb/> ländischen Presse fast täglich zu lesen ist. Es sollte doch auch von Menschen, die<lb/> rein materialistisch denken, eingesehen werden, daß Würde und Haltung zu den<lb/> Wenigen Mitteln gehören, die wir noch haben, um unsere Lebensmöglichkeiten<lb/> vielleicht etwas zu erleichtern. Ist es wirklich so schwer zu begreifen, daß die<lb/> Verachtung, welche das Benehmen unserer „Demokratie" in der ganzen Welt er¬<lb/> zeugt hat, unseren Feinden erst die zynische Grausamkeit ermöglicht hat,<lb/> mit der sie uns behandeln? Nie hätte Wilson an der Auferlegung<lb/> solcher Waffenstillstandsbedingungen sich beteiligen können, nie wäre ein so wahn¬<lb/> sinniges Friedenstraktat wie das von Versailles zustandegekommen, wenn wir<lb/> uns national zusammengefaßt und den Gegnern zu fühlen gegeben hätten, daß es<lb/> auch bei unserem besiegten Volke Grenzen der Demütigung gäbe. Erst weil sie<lb/> das Gegenteil wahrnahmen, ist es ihnen möglich geworden, auch die edleren<lb/> Schichten der feindlichen Völker zu überzeugen, daß uns gegenüber Schonung oder<lb/> gar Milde unangebracht oder gar unnötig sei. Nur aus diesem Grunde konnte<lb/> Lloyd George den deutschen Reichskanzler in Spa wie einen Schuhputzer<lb/> anschnauzen. Um recht zu fühlen, was das heißt, rufe man sich in Erinnerung die<lb/> ritterlicheArt,mitwelcher 1870 unser alterKaiser dem gefangenen Empereurgegenüber-<lb/> trat und wie damals auf Kosten der Belagerungsarbeiten, also unter erheblicher Be¬<lb/> nachteiligung unserer Kriegführung viele Tausende Güterwagen mit Lebensmitteln<lb/> bereitgestellt wurden, um das hungernde Paris sofort nach Eintreten der Kapi¬<lb/> tulation zu versorgen. 1918 aber wurde die Hungerblockade von England auch<lb/> nach erfolgter völliger Wehrlosmachung Deutschlands fortgesetzt, ein Akt barbarischer<lb/> Grausamkeit, der Hundertausende deutsche Kinder und Schwache hinwegraffte und<lb/> in seiner Ungeheuerlichkeit seinesgleichen in der Weltgeschichte nicht ausweist. Der<lb/> Henker und Mörder konnte auf diese Weise viele Monate lang sich an dem Hin¬<lb/> sterben seiner Opfer delektieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_191" next="#ID_192"> Glaubt man, daß es bei Hannibal Achtung und Schonung erzeugt haben<lb/> wiirde, wenn sich seinerzeit die römische Demokratie im Gegensatz zum Senat an</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0058]
Verhandlungen und Tatsachen
geschaffen, daß wir jetzt alle beliebigen, auch noch so schweren Bedingungen der
Feinde hinnehmen müssen. Vermeidbar dagegen ist auch heute noch, daß wir die
Zerstückelung Deutschlands gewissermaßen als ein Recht unserer Feinde anerkennen/
vermeidbar ist vor allem die Würdelosigkeit, mit der unsere Machthaber in den
ersten anderthalb Jahren ihrer Herrschaft verfahren haben, eine Art des
Benehmens und Auftretens, welche sich auch aus einen erheblichen Teil unserer
Presse übertragen hat. Man lese die Berichte deutscher Reporter aus London
und Paris, man schaue, mit welcher Beflissenheit, ja fast Behagen, ein Zusammen¬
treffen Llohd Georges mit Millerand oder eine Parlamentseröffnung des
sogenannten Freistaates Danzig in deutschen illustrierten Zeitungen dargestellt
wird, ohne daß ein größeres Publikum sich dagegen auflehnt. Man beobachte,
wie auf der Frankfurter Messe die Flaggen unserer Feinde, selbst solcher, mit
denen wir heute noch formell im Kriegszustand leben, von den Veranstaltern
dieser Messe reihenweise aufgepflanzt werden. Nicht nur nationales Anstands-
gefühl, sondern auch der Verstand müßte solchen Lakaienseelen sagen, daß Schweif¬
wedeln nicht nur keinen ausländischen Geschäftsmann nach Frankfurt herbeilockt,
sondern daß die, welche ohnehin kommen, mit ihrem stärkeren nationalenTaktgefühl. sich
durch einen derartigen Übereifer eher abgestoßen fühlen müssen, wie das in der aus¬
ländischen Presse fast täglich zu lesen ist. Es sollte doch auch von Menschen, die
rein materialistisch denken, eingesehen werden, daß Würde und Haltung zu den
Wenigen Mitteln gehören, die wir noch haben, um unsere Lebensmöglichkeiten
vielleicht etwas zu erleichtern. Ist es wirklich so schwer zu begreifen, daß die
Verachtung, welche das Benehmen unserer „Demokratie" in der ganzen Welt er¬
zeugt hat, unseren Feinden erst die zynische Grausamkeit ermöglicht hat,
mit der sie uns behandeln? Nie hätte Wilson an der Auferlegung
solcher Waffenstillstandsbedingungen sich beteiligen können, nie wäre ein so wahn¬
sinniges Friedenstraktat wie das von Versailles zustandegekommen, wenn wir
uns national zusammengefaßt und den Gegnern zu fühlen gegeben hätten, daß es
auch bei unserem besiegten Volke Grenzen der Demütigung gäbe. Erst weil sie
das Gegenteil wahrnahmen, ist es ihnen möglich geworden, auch die edleren
Schichten der feindlichen Völker zu überzeugen, daß uns gegenüber Schonung oder
gar Milde unangebracht oder gar unnötig sei. Nur aus diesem Grunde konnte
Lloyd George den deutschen Reichskanzler in Spa wie einen Schuhputzer
anschnauzen. Um recht zu fühlen, was das heißt, rufe man sich in Erinnerung die
ritterlicheArt,mitwelcher 1870 unser alterKaiser dem gefangenen Empereurgegenüber-
trat und wie damals auf Kosten der Belagerungsarbeiten, also unter erheblicher Be¬
nachteiligung unserer Kriegführung viele Tausende Güterwagen mit Lebensmitteln
bereitgestellt wurden, um das hungernde Paris sofort nach Eintreten der Kapi¬
tulation zu versorgen. 1918 aber wurde die Hungerblockade von England auch
nach erfolgter völliger Wehrlosmachung Deutschlands fortgesetzt, ein Akt barbarischer
Grausamkeit, der Hundertausende deutsche Kinder und Schwache hinwegraffte und
in seiner Ungeheuerlichkeit seinesgleichen in der Weltgeschichte nicht ausweist. Der
Henker und Mörder konnte auf diese Weise viele Monate lang sich an dem Hin¬
sterben seiner Opfer delektieren.
Glaubt man, daß es bei Hannibal Achtung und Schonung erzeugt haben
wiirde, wenn sich seinerzeit die römische Demokratie im Gegensatz zum Senat an
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