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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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deutigkeit behoben und dadurch der gegenpolare Rätegedanke überwunden würde.
Ansätze dazu lagen vor. Im Reichs Wirtschaftsrat wie in den von
Stinnes und Vogler geforderten Landeswirtschaftsräten ging der
Arbeitsgemeinschaftsgedanke praktisch und kühn zugleich an die Eroberung und Über¬
windung des Rätesystems. Auch in der B e er i e b s r at s f r a g e hätte man nur
durchzustoßen brauchen, wo man bereits angesetzt hatte. Denn schon im Früh¬
jahr 1919, als Scheidemann den Rätegedanken noch als "spartakistische Schweinerei"
abtat, hatten Hugo Stinnes und Vogler einen gesunden Kern in der Bewegung ent¬
deckt. Voglers Parteiverbundenheit hatte dann dazu geführt, daß der Kampf gegen
die falschen Betriebsräte den positiven Kampf für die Arbeitsgemeinschaft über¬
wucherte. In seinen an Stein erinnernden Reformideen hatte sich Vogler, leider
hierin im Gegensatz zu Stein, zu sehr an die oberen Konstruktionen (Reichswirt¬
schaftsrat, Landeswirtschaftsräte) geklammert. Aber gerade an diesem Punkte hätte
die Deutsche Volkspartei bewahrheiten können, daß sie es tiefernst mit der Arbeits¬
gemeinschaftsidee meinte. Statt dessen ließ man vielfach die "Arbeitsgemeinschaft"
mehr oder weniger unter den Tisch fallen. Die Nur-Taktiker verschlossen sie in den
Truhen, wo Wahlerinnerungen und Wahlprogramme, zu Hunderttausenden auf¬
gespeichert, vermodern. Sie waren ja weder die Eigenschöpfer noch die gläubigen
Anhänger der Idee. Ihnen war die Idee eine glänzende Sache der Wahlkampagne
gewesen. Und so kam es, daß die Nürnberger Tagung den Gedanken der Deutschen
Volkspartei, die Arbeitsgemeinschaftsidee, gar nicht mehr herauszustellen wagte. Man
tröstete sich mit dem Hinweis darauf, daß die Arbeiterschaft die formale Aus¬
gestaltung der Arbeitsgemeinschaft in der sogenannten Zentralarbeitsgemeinschaft
ablehne, statt an die eigene Brust zu klopfen und sich der eigenen Jnteressenlosigkeit
gegenüber der Idee bewußt zu werden.

Damit komme ich zu der bedeutsamsten Feststellung: Wenn die Deutsche Volks¬
partei in einer Zeit allgemeiner geistiger Gärung nicht in grundsätzlichster Weise
aus den von ihr selbst lanzierten Ideen heraus (Arbeitsgemeinschaft, Arbeitsfrieden,
Sachverständigenführung, Überwindung des Parlamentarismus, von der Arbeits¬
gemeinschaft zur Volksgemeinschaft, Primat der Wirtschaft, Kammer der Arbeit usw.)
immerfort politische Zielbilder entwirft, politische Tageswege weist und politische
Schlachten siegreich durchführt, dann geht sie über kurz oder lang an diesen Ideen
zugrunde.

Eine erste Warnung lag im Wahlresultat der sächsischen Wahlen. Die
Parteimüdigkeit der Wähler übertrug sich nicht zuletzt auch auf die Partei, welche
versprochen hatte, mehr zu sein als parlamentaristisch-spielerische Partei, die mit
ihren Ideen gerade die Befreiung vom Parlamentarismus verkündet hatte. Jenes
"Es ist doch nichts anders geworden", das Stresemann und Heinze vor dem Forum
de^ 1000 Delegierten in Nürnberg dialektisch zerzausten, ist nicht das logische Re¬
sultat politisch-wissenschaftlicher Untersuchungen, sondern der einfache volkspsycho¬
logische Reflex auf das Zurückstehen der Tatpolitik der Deutschen Volkspartei bei
der Führung der Regierungsgeschäfte hinter der Wortpolitik der letzten Reichs¬
tagswahlen.

Eine andere Warnung stellt das Schicksal der U. S. P. D. dar. Der Zerfall,
ja die Sprengung jener Partei zeigt, von wie geringer innerer Kraft eine Sammel¬
partei heute ist, wenn sie dem Opportunismus verfällt und Ideen assimiliert, die
nicht genügend ernst genommen werden. Die U. S. P. D. ist am Rätegedanken
zugrunde gegangen, weil sie diese Revolutionsidee mechanisch übernahm,
damit spielte, stolz auf den Lorbeeren eines ersten Wahlerfolges ausruhte, sich um
"me Vertiefung des Gedankens gar nicht mühte und damit die Massen auf Grund
der unausbleiblichen Enttäuschungen aus dem eigenen Lager verdrängte. Dasselbe
Schicksal droht der Deutschen Volkspartei, wenn sie ihren eigenen Ideen noch
untreuer wird, als sie im Gefühl der Massen heute schon vielfach erscheint.

Die dritte Warnung an die Partei kommt, unbewußt, von der Deutsch-demo¬
kratischen Partei her. Dort haben wir es mit einem leerstehenden Apparat zu tun,
von dem einige Dutzend Parteirepräsentantcn noch traditionell getragen sind. Man
will in Ehren untergehen. Das kann nicht besser geschehen, als durch eine Ver-


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deutigkeit behoben und dadurch der gegenpolare Rätegedanke überwunden würde.
Ansätze dazu lagen vor. Im Reichs Wirtschaftsrat wie in den von
Stinnes und Vogler geforderten Landeswirtschaftsräten ging der
Arbeitsgemeinschaftsgedanke praktisch und kühn zugleich an die Eroberung und Über¬
windung des Rätesystems. Auch in der B e er i e b s r at s f r a g e hätte man nur
durchzustoßen brauchen, wo man bereits angesetzt hatte. Denn schon im Früh¬
jahr 1919, als Scheidemann den Rätegedanken noch als „spartakistische Schweinerei"
abtat, hatten Hugo Stinnes und Vogler einen gesunden Kern in der Bewegung ent¬
deckt. Voglers Parteiverbundenheit hatte dann dazu geführt, daß der Kampf gegen
die falschen Betriebsräte den positiven Kampf für die Arbeitsgemeinschaft über¬
wucherte. In seinen an Stein erinnernden Reformideen hatte sich Vogler, leider
hierin im Gegensatz zu Stein, zu sehr an die oberen Konstruktionen (Reichswirt¬
schaftsrat, Landeswirtschaftsräte) geklammert. Aber gerade an diesem Punkte hätte
die Deutsche Volkspartei bewahrheiten können, daß sie es tiefernst mit der Arbeits¬
gemeinschaftsidee meinte. Statt dessen ließ man vielfach die „Arbeitsgemeinschaft"
mehr oder weniger unter den Tisch fallen. Die Nur-Taktiker verschlossen sie in den
Truhen, wo Wahlerinnerungen und Wahlprogramme, zu Hunderttausenden auf¬
gespeichert, vermodern. Sie waren ja weder die Eigenschöpfer noch die gläubigen
Anhänger der Idee. Ihnen war die Idee eine glänzende Sache der Wahlkampagne
gewesen. Und so kam es, daß die Nürnberger Tagung den Gedanken der Deutschen
Volkspartei, die Arbeitsgemeinschaftsidee, gar nicht mehr herauszustellen wagte. Man
tröstete sich mit dem Hinweis darauf, daß die Arbeiterschaft die formale Aus¬
gestaltung der Arbeitsgemeinschaft in der sogenannten Zentralarbeitsgemeinschaft
ablehne, statt an die eigene Brust zu klopfen und sich der eigenen Jnteressenlosigkeit
gegenüber der Idee bewußt zu werden.

Damit komme ich zu der bedeutsamsten Feststellung: Wenn die Deutsche Volks¬
partei in einer Zeit allgemeiner geistiger Gärung nicht in grundsätzlichster Weise
aus den von ihr selbst lanzierten Ideen heraus (Arbeitsgemeinschaft, Arbeitsfrieden,
Sachverständigenführung, Überwindung des Parlamentarismus, von der Arbeits¬
gemeinschaft zur Volksgemeinschaft, Primat der Wirtschaft, Kammer der Arbeit usw.)
immerfort politische Zielbilder entwirft, politische Tageswege weist und politische
Schlachten siegreich durchführt, dann geht sie über kurz oder lang an diesen Ideen
zugrunde.

Eine erste Warnung lag im Wahlresultat der sächsischen Wahlen. Die
Parteimüdigkeit der Wähler übertrug sich nicht zuletzt auch auf die Partei, welche
versprochen hatte, mehr zu sein als parlamentaristisch-spielerische Partei, die mit
ihren Ideen gerade die Befreiung vom Parlamentarismus verkündet hatte. Jenes
„Es ist doch nichts anders geworden", das Stresemann und Heinze vor dem Forum
de^ 1000 Delegierten in Nürnberg dialektisch zerzausten, ist nicht das logische Re¬
sultat politisch-wissenschaftlicher Untersuchungen, sondern der einfache volkspsycho¬
logische Reflex auf das Zurückstehen der Tatpolitik der Deutschen Volkspartei bei
der Führung der Regierungsgeschäfte hinter der Wortpolitik der letzten Reichs¬
tagswahlen.

Eine andere Warnung stellt das Schicksal der U. S. P. D. dar. Der Zerfall,
ja die Sprengung jener Partei zeigt, von wie geringer innerer Kraft eine Sammel¬
partei heute ist, wenn sie dem Opportunismus verfällt und Ideen assimiliert, die
nicht genügend ernst genommen werden. Die U. S. P. D. ist am Rätegedanken
zugrunde gegangen, weil sie diese Revolutionsidee mechanisch übernahm,
damit spielte, stolz auf den Lorbeeren eines ersten Wahlerfolges ausruhte, sich um
«me Vertiefung des Gedankens gar nicht mühte und damit die Massen auf Grund
der unausbleiblichen Enttäuschungen aus dem eigenen Lager verdrängte. Dasselbe
Schicksal droht der Deutschen Volkspartei, wenn sie ihren eigenen Ideen noch
untreuer wird, als sie im Gefühl der Massen heute schon vielfach erscheint.

Die dritte Warnung an die Partei kommt, unbewußt, von der Deutsch-demo¬
kratischen Partei her. Dort haben wir es mit einem leerstehenden Apparat zu tun,
von dem einige Dutzend Parteirepräsentantcn noch traditionell getragen sind. Man
will in Ehren untergehen. Das kann nicht besser geschehen, als durch eine Ver-


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[0356] Reichsspieqel deutigkeit behoben und dadurch der gegenpolare Rätegedanke überwunden würde. Ansätze dazu lagen vor. Im Reichs Wirtschaftsrat wie in den von Stinnes und Vogler geforderten Landeswirtschaftsräten ging der Arbeitsgemeinschaftsgedanke praktisch und kühn zugleich an die Eroberung und Über¬ windung des Rätesystems. Auch in der B e er i e b s r at s f r a g e hätte man nur durchzustoßen brauchen, wo man bereits angesetzt hatte. Denn schon im Früh¬ jahr 1919, als Scheidemann den Rätegedanken noch als „spartakistische Schweinerei" abtat, hatten Hugo Stinnes und Vogler einen gesunden Kern in der Bewegung ent¬ deckt. Voglers Parteiverbundenheit hatte dann dazu geführt, daß der Kampf gegen die falschen Betriebsräte den positiven Kampf für die Arbeitsgemeinschaft über¬ wucherte. In seinen an Stein erinnernden Reformideen hatte sich Vogler, leider hierin im Gegensatz zu Stein, zu sehr an die oberen Konstruktionen (Reichswirt¬ schaftsrat, Landeswirtschaftsräte) geklammert. Aber gerade an diesem Punkte hätte die Deutsche Volkspartei bewahrheiten können, daß sie es tiefernst mit der Arbeits¬ gemeinschaftsidee meinte. Statt dessen ließ man vielfach die „Arbeitsgemeinschaft" mehr oder weniger unter den Tisch fallen. Die Nur-Taktiker verschlossen sie in den Truhen, wo Wahlerinnerungen und Wahlprogramme, zu Hunderttausenden auf¬ gespeichert, vermodern. Sie waren ja weder die Eigenschöpfer noch die gläubigen Anhänger der Idee. Ihnen war die Idee eine glänzende Sache der Wahlkampagne gewesen. Und so kam es, daß die Nürnberger Tagung den Gedanken der Deutschen Volkspartei, die Arbeitsgemeinschaftsidee, gar nicht mehr herauszustellen wagte. Man tröstete sich mit dem Hinweis darauf, daß die Arbeiterschaft die formale Aus¬ gestaltung der Arbeitsgemeinschaft in der sogenannten Zentralarbeitsgemeinschaft ablehne, statt an die eigene Brust zu klopfen und sich der eigenen Jnteressenlosigkeit gegenüber der Idee bewußt zu werden. Damit komme ich zu der bedeutsamsten Feststellung: Wenn die Deutsche Volks¬ partei in einer Zeit allgemeiner geistiger Gärung nicht in grundsätzlichster Weise aus den von ihr selbst lanzierten Ideen heraus (Arbeitsgemeinschaft, Arbeitsfrieden, Sachverständigenführung, Überwindung des Parlamentarismus, von der Arbeits¬ gemeinschaft zur Volksgemeinschaft, Primat der Wirtschaft, Kammer der Arbeit usw.) immerfort politische Zielbilder entwirft, politische Tageswege weist und politische Schlachten siegreich durchführt, dann geht sie über kurz oder lang an diesen Ideen zugrunde. Eine erste Warnung lag im Wahlresultat der sächsischen Wahlen. Die Parteimüdigkeit der Wähler übertrug sich nicht zuletzt auch auf die Partei, welche versprochen hatte, mehr zu sein als parlamentaristisch-spielerische Partei, die mit ihren Ideen gerade die Befreiung vom Parlamentarismus verkündet hatte. Jenes „Es ist doch nichts anders geworden", das Stresemann und Heinze vor dem Forum de^ 1000 Delegierten in Nürnberg dialektisch zerzausten, ist nicht das logische Re¬ sultat politisch-wissenschaftlicher Untersuchungen, sondern der einfache volkspsycho¬ logische Reflex auf das Zurückstehen der Tatpolitik der Deutschen Volkspartei bei der Führung der Regierungsgeschäfte hinter der Wortpolitik der letzten Reichs¬ tagswahlen. Eine andere Warnung stellt das Schicksal der U. S. P. D. dar. Der Zerfall, ja die Sprengung jener Partei zeigt, von wie geringer innerer Kraft eine Sammel¬ partei heute ist, wenn sie dem Opportunismus verfällt und Ideen assimiliert, die nicht genügend ernst genommen werden. Die U. S. P. D. ist am Rätegedanken zugrunde gegangen, weil sie diese Revolutionsidee mechanisch übernahm, damit spielte, stolz auf den Lorbeeren eines ersten Wahlerfolges ausruhte, sich um «me Vertiefung des Gedankens gar nicht mühte und damit die Massen auf Grund der unausbleiblichen Enttäuschungen aus dem eigenen Lager verdrängte. Dasselbe Schicksal droht der Deutschen Volkspartei, wenn sie ihren eigenen Ideen noch untreuer wird, als sie im Gefühl der Massen heute schon vielfach erscheint. Die dritte Warnung an die Partei kommt, unbewußt, von der Deutsch-demo¬ kratischen Partei her. Dort haben wir es mit einem leerstehenden Apparat zu tun, von dem einige Dutzend Parteirepräsentantcn noch traditionell getragen sind. Man will in Ehren untergehen. Das kann nicht besser geschehen, als durch eine Ver-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/356>, abgerufen am 22.07.2024.