Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.Gefährliche Literaturwissenschaft jüngste Vergangenheit und gegenwärtige Lage in großzügiger Weise Kud "pseio Gefährliche Literaturwissenschaft Hermann Müchlberg Von äre Gundolfs "George" als privater Sonderdruck der "Blätter für die Der Kreis um Stefan George hat in jahrzehntelanger Betriebsamkeit unter dem Wollte man das Gundolfsche Buch wirklich als "Werk der Wissenschaft" Gefährliche Literaturwissenschaft jüngste Vergangenheit und gegenwärtige Lage in großzügiger Weise Kud »pseio Gefährliche Literaturwissenschaft Hermann Müchlberg Von äre Gundolfs „George" als privater Sonderdruck der „Blätter für die Der Kreis um Stefan George hat in jahrzehntelanger Betriebsamkeit unter dem Wollte man das Gundolfsche Buch wirklich als „Werk der Wissenschaft" <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338373"/> <fw type="header" place="top"> Gefährliche Literaturwissenschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_1288" prev="#ID_1287"> jüngste Vergangenheit und gegenwärtige Lage in großzügiger Weise Kud »pseio<lb/> »eterniwtis betrachtet! Eine geistige Reformation allein kann uns retten. Um<lb/> für sie mit aller Kraft wirken zu können, hat Eucken im Sommer dieses Jahres<lb/> seine akademische Lehrtätigkeit eingestellt. Möge sein Mahnruf offene Ohren und<lb/> willige Herzen finden! Möge ihm vergönnt sein, in voller Frische und Kraft weiter<lb/> zu wirken und die Gesundung unseres Volkes zu erleben! multos anno»!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Gefährliche Literaturwissenschaft<lb/><note type="byline"> Hermann Müchlberg</note> Von</head><lb/> <p xml:id="ID_1289"> äre Gundolfs „George" als privater Sonderdruck der „Blätter für die<lb/> Kunst" erschienen, wir würden es schweigend beiseite legen, uns<lb/> schämend für den Mann, der sich nicht schämt, derartige seelische<lb/> Schamlosigkeiten auch nur für einen kleinen Kreis drucken zu lassen.<lb/> Würden es mit dem gleichen Achselzucken abtun, wie die kürzlich<lb/> anonym erschienenen, .im wesentlichen wohl nur von der „Gemeinde" gekauften<lb/> „Georgica", den Ausdruck fanatischer Hirnlosigkeit des geborenen Jüngers.<lb/> Wo das Buch in einem großen Verlag erschienen und als „Werk der Wissenschaft"<lb/> angezeigt ist, halten wir es für die Pflicht der öffentlichen Persönlichkeit, eine<lb/> öffentliche Angelegenheit voll verhängnisvollster Wirkungsmöglichkeit öffentlich zu<lb/> geißeln. Und es ist nicht bloß die Empörung dessen, dem Jugend anvertraut ist, es<lb/> ist auch die durch dieses Buch aufs tiefste verwundete Liebe zu der Dichtung<lb/> Georges, die uns, fast wider Willen, die Feder in die Hand zwingt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1290"> Der Kreis um Stefan George hat in jahrzehntelanger Betriebsamkeit unter dem<lb/> Deckmantel erlogener Unöffentlichkeit, aber mit ausgewiegter, Welt- und jugend¬<lb/> kundiger Psychologie langsam den Boden bereitet, auf dem die jetzt in großen<lb/> Schwüngen ausgesäte Saat aufgehen soll. Man benutzt die Verstörtheit der gerade<lb/> «us dem Pubertätsalter herausgetretenen Jugend, ihre Empfänglichkeit für Mystik<lb/> zur Verpestung und Vergiftung der besten Elemente, der geistigen Oberschicht, die<lb/> später mittelbar die anderen Schichten mitbestimmt, derjenigen Elemente, die ihren<lb/> verlorenen Gott suchen. Die Fratze von Sendung, Jüngertum, Evangelien¬<lb/> gebärde und Weihe, mit der bislang im wesentlichen nur die jüngste Bluse der<lb/> «akademischen Jugend geschreckt, gelockt und umstrickt wurde, wird durch das neue<lb/> Georgebuch Gundolfs jetzt auch vor Primanern aufgepflanzt. So muß der Speku¬<lb/> lation auf die Unreife der Knaben ein Damm entgegengesetzt werden, der die<lb/> esoterischen Herren mit der Sotergebärde von unseren deutschen Jungen abdämmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1291"> Wollte man das Gundolfsche Buch wirklich als „Werk der Wissenschaft"<lb/> werten, dann könnte man sich die Sache leicht machen. Man sagte: der Kritiker muß<lb/> mit seinem Urteil warten, bis der Autor das Buch ins Deutsche übersetzt hat. Aber<lb/> es handelt sich um Wichtigeres, und der Mantel der Wissenschaft ist bei näherem Zu¬<lb/> sehen nichts als eine Dunsthülle, hinter der sichtbar wird ein Korpus, da« die<lb/> Wissenschaft allerdings nötig hat — welche, soll später gesagt werden.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0350]
Gefährliche Literaturwissenschaft
jüngste Vergangenheit und gegenwärtige Lage in großzügiger Weise Kud »pseio
»eterniwtis betrachtet! Eine geistige Reformation allein kann uns retten. Um
für sie mit aller Kraft wirken zu können, hat Eucken im Sommer dieses Jahres
seine akademische Lehrtätigkeit eingestellt. Möge sein Mahnruf offene Ohren und
willige Herzen finden! Möge ihm vergönnt sein, in voller Frische und Kraft weiter
zu wirken und die Gesundung unseres Volkes zu erleben! multos anno»!
Gefährliche Literaturwissenschaft
Hermann Müchlberg Von
äre Gundolfs „George" als privater Sonderdruck der „Blätter für die
Kunst" erschienen, wir würden es schweigend beiseite legen, uns
schämend für den Mann, der sich nicht schämt, derartige seelische
Schamlosigkeiten auch nur für einen kleinen Kreis drucken zu lassen.
Würden es mit dem gleichen Achselzucken abtun, wie die kürzlich
anonym erschienenen, .im wesentlichen wohl nur von der „Gemeinde" gekauften
„Georgica", den Ausdruck fanatischer Hirnlosigkeit des geborenen Jüngers.
Wo das Buch in einem großen Verlag erschienen und als „Werk der Wissenschaft"
angezeigt ist, halten wir es für die Pflicht der öffentlichen Persönlichkeit, eine
öffentliche Angelegenheit voll verhängnisvollster Wirkungsmöglichkeit öffentlich zu
geißeln. Und es ist nicht bloß die Empörung dessen, dem Jugend anvertraut ist, es
ist auch die durch dieses Buch aufs tiefste verwundete Liebe zu der Dichtung
Georges, die uns, fast wider Willen, die Feder in die Hand zwingt.
Der Kreis um Stefan George hat in jahrzehntelanger Betriebsamkeit unter dem
Deckmantel erlogener Unöffentlichkeit, aber mit ausgewiegter, Welt- und jugend¬
kundiger Psychologie langsam den Boden bereitet, auf dem die jetzt in großen
Schwüngen ausgesäte Saat aufgehen soll. Man benutzt die Verstörtheit der gerade
«us dem Pubertätsalter herausgetretenen Jugend, ihre Empfänglichkeit für Mystik
zur Verpestung und Vergiftung der besten Elemente, der geistigen Oberschicht, die
später mittelbar die anderen Schichten mitbestimmt, derjenigen Elemente, die ihren
verlorenen Gott suchen. Die Fratze von Sendung, Jüngertum, Evangelien¬
gebärde und Weihe, mit der bislang im wesentlichen nur die jüngste Bluse der
«akademischen Jugend geschreckt, gelockt und umstrickt wurde, wird durch das neue
Georgebuch Gundolfs jetzt auch vor Primanern aufgepflanzt. So muß der Speku¬
lation auf die Unreife der Knaben ein Damm entgegengesetzt werden, der die
esoterischen Herren mit der Sotergebärde von unseren deutschen Jungen abdämmt.
Wollte man das Gundolfsche Buch wirklich als „Werk der Wissenschaft"
werten, dann könnte man sich die Sache leicht machen. Man sagte: der Kritiker muß
mit seinem Urteil warten, bis der Autor das Buch ins Deutsche übersetzt hat. Aber
es handelt sich um Wichtigeres, und der Mantel der Wissenschaft ist bei näherem Zu¬
sehen nichts als eine Dunsthülle, hinter der sichtbar wird ein Korpus, da« die
Wissenschaft allerdings nötig hat — welche, soll später gesagt werden.
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