Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.Der zweite, unausweichlich bedenkliche Punkt ist: Die Steuern sollen nicht Schon ein verlangsamtes Zeitmaß im Schuldenmachen würde, wie oben Mit dem Wenigen, was der Staat dann zu seinen Zwecken noch hat, wird Der zweite, unausweichlich bedenkliche Punkt ist: Die Steuern sollen nicht Schon ein verlangsamtes Zeitmaß im Schuldenmachen würde, wie oben Mit dem Wenigen, was der Staat dann zu seinen Zwecken noch hat, wird <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338290"/> <p xml:id="ID_987"> Der zweite, unausweichlich bedenkliche Punkt ist: Die Steuern sollen nicht<lb/> uns, sondern dem Feinde zugute kommen, sie werden für uns vielleicht keine<lb/> Schrldenabbürdung, sondem eine Blutentziehung bedeuten, die leicht ein Verbluten<lb/> werden kann. Gegen diese Wahrscheinlichkeit ist schwer anzugehen. Man kann mit<lb/> Engelszungen gegen die gesunkene Steuermoral predigen und den sicheren Bankerott<lb/> des Staates ohne Steuerheroismus vorhersagen, — wenn die Steuer den Feinden<lb/> zugute kommt, ist jeder Appell vergeblich.</p><lb/> <p xml:id="ID_988"> Schon ein verlangsamtes Zeitmaß im Schuldenmachen würde, wie oben<lb/> bemerkt, eine Umkehr zur Besserung bedeuten und viele helfende Kräfte, insbesondere<lb/> auch die Wiederkehr des Weltkredits erwecken. Gelingt es nicht, so beginnt früher<lb/> oder später die wilde Seisachtheia (Schuldabbürdung). Wer dann inner¬<lb/> deutsche Forderungen an den Staat hat, verliert sie einfach, seien es Gehälter, An¬<lb/> leihezinsen, Arbeitslosen- und Jnvalidengebühren oder Entschädigungsansprüche<lb/> irgendwelcher Art; auch das ein Heilungsprozeß, aber einer, den wir uns nicht<lb/> vorstellen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_989"> Mit dem Wenigen, was der Staat dann zu seinen Zwecken noch hat, wird<lb/> eine Art Nvtstandsbetrieb eingerichtet, die unentbehrlichsten Beamten werden vor<lb/> dem Verhungern geschützt, die unentbehrlichsten Dienste notdürftig aufrechterhalten.<lb/> Kein Bolschewismus oder sonst eine Zuckung wird irgend etwas helfen: die<lb/> Maschinengewehre der Franzosen werden für Ordnung im Untergang sorgen. Denn<lb/> dann beginnt das, wovon kürzlich einer unserer größten Arbeiter und Denker des<lb/> praktischen Lebens erschüttert gesprochen hat, das große Sterben. Dies erst ist dann<lb/> der Knockout, die vietoirv kinalv: Deutschland wird ein Ödland, eine ruhige<lb/> Grenzmark der Franzosen östlich des Rheins, den Franzosen zinsend mit dem, was<lb/> es noch hat und vermag, aber wichtiger als das Zinsen und Verpfänden ist die<lb/> sichere Ruhe: vkrmania paoata. Daß die reichen Völker von selber darauf sinnen<lb/> werden, den armen Völkern aufzuhelfen — Quäkeralmosen ausgenommen ist<lb/> unwahrscheinlich. Arme Völker helfen sich entweder selbst oder sie schmachten sich<lb/> zu Tode. Haben doch auch wir im früheren Reichtum uns keinen Augenblick<lb/> darüber den Kopf zerbrochen, daß wir, indem wir so billigen Reis und Tee genossen<lb/> und die Handarbeit persischer Teppichwirker für wenige Mark auf unsere Parkett¬<lb/> boden legten, die Arbeitskraft ferner Menschenbrüder auswucherten. Jetzt sind<lb/> wir in, Begriff, Heimarbeiter der kapital- und waffenstarken Völker zu werden.<lb/> Unser- Arbeitgeber werden niemals eine soziale Weltgesetzgebung zugunsten unseres<lb/> Arbeitnchmervolkes ersinnen. Sie machen auch noch keine Anstalten, uns wenigstens<lb/> den traurigsten Export, den es für ein Volk gibt, die Auswanderung zu erleichtern.<lb/> Nachdem die Engländer unseren Kindem die roten Wangen und gesunden Knochen<lb/> genommen, ihre bevorstehende Lebensdauer gekürzt, sie aber doch nicht ganz um¬<lb/> gebracht haben, ist unsere Nasse Physisch zurückgegangen, trotzdem aber unser Volks-<lb/> körper, der auf andere Verhältnisse hin gewachsen war, hypertrophisch, und wir<lb/> können ihn nicht den neuen Verhältnissen entsprechend verkleinern. Man hat das<lb/> ganze Auslandsdeutschtum und das Deutschtum aus den entrissenen Provinzen auf<lb/> dem Schub nach der alten Heimat hereingeworfen, damit wir alle zusammen auf<lb/> einem Komposthaufen verrotten. In eine solche Verbindung von MervölÜerung<lb/> einerseits, Lebens- und Arbeitsmittetbeschränkung andererseits, hat sich das deutsche<lb/> Volk nicht einmal in den langen früheren Perioden seiner Armut schicken müssend</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0267]
Der zweite, unausweichlich bedenkliche Punkt ist: Die Steuern sollen nicht
uns, sondern dem Feinde zugute kommen, sie werden für uns vielleicht keine
Schrldenabbürdung, sondem eine Blutentziehung bedeuten, die leicht ein Verbluten
werden kann. Gegen diese Wahrscheinlichkeit ist schwer anzugehen. Man kann mit
Engelszungen gegen die gesunkene Steuermoral predigen und den sicheren Bankerott
des Staates ohne Steuerheroismus vorhersagen, — wenn die Steuer den Feinden
zugute kommt, ist jeder Appell vergeblich.
Schon ein verlangsamtes Zeitmaß im Schuldenmachen würde, wie oben
bemerkt, eine Umkehr zur Besserung bedeuten und viele helfende Kräfte, insbesondere
auch die Wiederkehr des Weltkredits erwecken. Gelingt es nicht, so beginnt früher
oder später die wilde Seisachtheia (Schuldabbürdung). Wer dann inner¬
deutsche Forderungen an den Staat hat, verliert sie einfach, seien es Gehälter, An¬
leihezinsen, Arbeitslosen- und Jnvalidengebühren oder Entschädigungsansprüche
irgendwelcher Art; auch das ein Heilungsprozeß, aber einer, den wir uns nicht
vorstellen können.
Mit dem Wenigen, was der Staat dann zu seinen Zwecken noch hat, wird
eine Art Nvtstandsbetrieb eingerichtet, die unentbehrlichsten Beamten werden vor
dem Verhungern geschützt, die unentbehrlichsten Dienste notdürftig aufrechterhalten.
Kein Bolschewismus oder sonst eine Zuckung wird irgend etwas helfen: die
Maschinengewehre der Franzosen werden für Ordnung im Untergang sorgen. Denn
dann beginnt das, wovon kürzlich einer unserer größten Arbeiter und Denker des
praktischen Lebens erschüttert gesprochen hat, das große Sterben. Dies erst ist dann
der Knockout, die vietoirv kinalv: Deutschland wird ein Ödland, eine ruhige
Grenzmark der Franzosen östlich des Rheins, den Franzosen zinsend mit dem, was
es noch hat und vermag, aber wichtiger als das Zinsen und Verpfänden ist die
sichere Ruhe: vkrmania paoata. Daß die reichen Völker von selber darauf sinnen
werden, den armen Völkern aufzuhelfen — Quäkeralmosen ausgenommen ist
unwahrscheinlich. Arme Völker helfen sich entweder selbst oder sie schmachten sich
zu Tode. Haben doch auch wir im früheren Reichtum uns keinen Augenblick
darüber den Kopf zerbrochen, daß wir, indem wir so billigen Reis und Tee genossen
und die Handarbeit persischer Teppichwirker für wenige Mark auf unsere Parkett¬
boden legten, die Arbeitskraft ferner Menschenbrüder auswucherten. Jetzt sind
wir in, Begriff, Heimarbeiter der kapital- und waffenstarken Völker zu werden.
Unser- Arbeitgeber werden niemals eine soziale Weltgesetzgebung zugunsten unseres
Arbeitnchmervolkes ersinnen. Sie machen auch noch keine Anstalten, uns wenigstens
den traurigsten Export, den es für ein Volk gibt, die Auswanderung zu erleichtern.
Nachdem die Engländer unseren Kindem die roten Wangen und gesunden Knochen
genommen, ihre bevorstehende Lebensdauer gekürzt, sie aber doch nicht ganz um¬
gebracht haben, ist unsere Nasse Physisch zurückgegangen, trotzdem aber unser Volks-
körper, der auf andere Verhältnisse hin gewachsen war, hypertrophisch, und wir
können ihn nicht den neuen Verhältnissen entsprechend verkleinern. Man hat das
ganze Auslandsdeutschtum und das Deutschtum aus den entrissenen Provinzen auf
dem Schub nach der alten Heimat hereingeworfen, damit wir alle zusammen auf
einem Komposthaufen verrotten. In eine solche Verbindung von MervölÜerung
einerseits, Lebens- und Arbeitsmittetbeschränkung andererseits, hat sich das deutsche
Volk nicht einmal in den langen früheren Perioden seiner Armut schicken müssend
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