Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.Blicke in das Gesellschaftsleben zur Zeit der französischen Aonsularregierung schlugen sich, durch die Revolution ihrer Güter beraubt, kümmerlich durch: der Scharf hoben sich von diesen/Edelleuten die oft durch schmutzige Geschäfte "ren,boten IV 1S20 Is
Blicke in das Gesellschaftsleben zur Zeit der französischen Aonsularregierung schlugen sich, durch die Revolution ihrer Güter beraubt, kümmerlich durch: der Scharf hoben sich von diesen/Edelleuten die oft durch schmutzige Geschäfte «ren,boten IV 1S20 Is
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0225" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338248"/> <fw type="header" place="top"> Blicke in das Gesellschaftsleben zur Zeit der französischen Aonsularregierung</fw><lb/> <p xml:id="ID_818" prev="#ID_817"> schlugen sich, durch die Revolution ihrer Güter beraubt, kümmerlich durch: der<lb/> Marquis de V6ran z. B. bewohnte ein Dienerzimmer, das, von dem Bette abgesehen,<lb/> nur mit einem Stuhle möbliert war, und die Baronin v. Montmorency wusch<lb/> und plättete ihr Musselinkleid eigenhändig. Hauptsächlich im Salon der Frau<lb/> v. Montesson, der „morganatischen Witwe" des Herzogs von Orleans, Vaters<lb/> von Philipp Egalits, einer Verkörperung des Vergangenen, die noch den Hof<lb/> Ludwigs XV. gekannt hatte, sammelte sich zu Beginn des Konsulats dieser Zirkel,<lb/> die Herren, wie einst, in Kniehose, seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen, die<lb/> Damen leicht kenntlich an ihrem ungezwungenen Anstünde und der Art, wie sie<lb/> beim Gehen den Saum ihres Gewandes hoben. Frau v. Montesson war auch<lb/> die erste, die ihre Diener aufs neue in Livree kleidete und an ihren Wagen wieder<lb/> ihr eigenes Wappen und dasjenige der Orleans anbringen ließ. Es herrschte in<lb/> den gastlichen Räumen ein feiner Ton, obgleich die Dame des Hauses, für deren<lb/> Reize der Umstand spricht, daß ihr Neffe, ein Graf Valence, als ganz junger<lb/> Mann eine Zeitlang ihr Liebhaber war, nicht nur selbst eine sehr bewegte Vergangen¬<lb/> heit hatte, sondern auch gern alte Gecken und leichtsinnige Frauen bei sich sah,<lb/> so daß Talleyrand, sarkastisch, wie er war, meinte, das Haus der interessanten<lb/> Erscheinung liege am äußersten Ende der Schicklichkeit. Neben solchen moralisch<lb/> angekränkelten Existenzen gab es aber auch höchst achtbare Damen unter dieser<lb/> Aristokratie,- so eine Frau v. Angiviller, die, in ihrem Inneren zwiespältig — sie<lb/> war, weil geistvoll, halb Voltairianerin und, da sie sich vor dem Tode fürchtete,<lb/> halb strenggläubig —, doch ein goldenes Herz besaß: von ihren milden Gaben<lb/> fristeten etwa dreißig ruinierte Aoelsfamilien ihre Existenz.</p><lb/> <p xml:id="ID_819" next="#ID_820"> Scharf hoben sich von diesen/Edelleuten die oft durch schmutzige Geschäfte<lb/> reich gewordenen, aber an Bildung des Geistes und des Herzens unendlich armen<lb/> Emporkömmlinge ab, meist Kriegsgewinnler, die nichts von den Schätzen des guten<lb/> Tones und der Eleganz ihr eigen nannten. Ihnen ging es ähnlich wie den<lb/> Feldherren, die zwar zu siegen, aber den Sieg nicht zu nutzen verstehen: sie hatten<lb/> die Gabe, Reichtümer zu erwerben, doch eS fehlte ihnen die Fähigkeit, sich ihrer<lb/> mit Anstand zu bedienen. Dabei hinderte ihr Haß gegen die Edelleute diese<lb/> Parvenus keineswegs, ihnen nachzuahmen und somit ihre Superiorität anzuerkennen,<lb/> die sich auf die Tatsache stützte, daß man Traditionen weder schaffen noch vernichten<lb/> kann: die Söhne der aufstrebenden Sphäre suchten ihr gesellschaftliches Neovhytentum<lb/> durch eine Weihe in den Sälen des Tanzmeisters Coulon zu verdecken, während<lb/> die Töchter bemüht waren, die den Französinnen so oft angeborene Grazie mittels<lb/> einer unter dem Beirate sachkundiger Modistinnen zusammengestellten Toilette in<lb/> möglichst Helles Licht zu rücken. Der Erste Konsul, der eine Versöhnung aller<lb/> Parteien herbeizuführen wünschte, suchte zwischen den sich widerstrebenden Kreisen<lb/> »u vermitteln, und da seine Gattin Josephine stets eine gewisse Schwäche für<lb/> den Adel der Königszeit gehabt hatte, diente sie als willkommenes Bindeglied<lb/> jwiichen den Leuten von gestern und denen von heute, zwischen der alten und der<lb/> neuen gesellschaftlichen Welt, und rekrutierte nicht ohne Geschick unter der Aristokratie<lb/> für ihren Gatten: eine Anzahl Männer und Frauen, den Familien angehörig, die<lb/> Man als das „Faubourg Se. Germain" zu bezeichnen Pflegte, beugten sich, zum<lb/> Teil von ihr beeinflußt, der zwingenden Macht der Verhältnisse und suchren Anschluß<lb/> an den Ersten Konsul, die heterogenen Elemente begannen sich infolge davon ein-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> «ren,boten IV 1S20 Is</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0225]
Blicke in das Gesellschaftsleben zur Zeit der französischen Aonsularregierung
schlugen sich, durch die Revolution ihrer Güter beraubt, kümmerlich durch: der
Marquis de V6ran z. B. bewohnte ein Dienerzimmer, das, von dem Bette abgesehen,
nur mit einem Stuhle möbliert war, und die Baronin v. Montmorency wusch
und plättete ihr Musselinkleid eigenhändig. Hauptsächlich im Salon der Frau
v. Montesson, der „morganatischen Witwe" des Herzogs von Orleans, Vaters
von Philipp Egalits, einer Verkörperung des Vergangenen, die noch den Hof
Ludwigs XV. gekannt hatte, sammelte sich zu Beginn des Konsulats dieser Zirkel,
die Herren, wie einst, in Kniehose, seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen, die
Damen leicht kenntlich an ihrem ungezwungenen Anstünde und der Art, wie sie
beim Gehen den Saum ihres Gewandes hoben. Frau v. Montesson war auch
die erste, die ihre Diener aufs neue in Livree kleidete und an ihren Wagen wieder
ihr eigenes Wappen und dasjenige der Orleans anbringen ließ. Es herrschte in
den gastlichen Räumen ein feiner Ton, obgleich die Dame des Hauses, für deren
Reize der Umstand spricht, daß ihr Neffe, ein Graf Valence, als ganz junger
Mann eine Zeitlang ihr Liebhaber war, nicht nur selbst eine sehr bewegte Vergangen¬
heit hatte, sondern auch gern alte Gecken und leichtsinnige Frauen bei sich sah,
so daß Talleyrand, sarkastisch, wie er war, meinte, das Haus der interessanten
Erscheinung liege am äußersten Ende der Schicklichkeit. Neben solchen moralisch
angekränkelten Existenzen gab es aber auch höchst achtbare Damen unter dieser
Aristokratie,- so eine Frau v. Angiviller, die, in ihrem Inneren zwiespältig — sie
war, weil geistvoll, halb Voltairianerin und, da sie sich vor dem Tode fürchtete,
halb strenggläubig —, doch ein goldenes Herz besaß: von ihren milden Gaben
fristeten etwa dreißig ruinierte Aoelsfamilien ihre Existenz.
Scharf hoben sich von diesen/Edelleuten die oft durch schmutzige Geschäfte
reich gewordenen, aber an Bildung des Geistes und des Herzens unendlich armen
Emporkömmlinge ab, meist Kriegsgewinnler, die nichts von den Schätzen des guten
Tones und der Eleganz ihr eigen nannten. Ihnen ging es ähnlich wie den
Feldherren, die zwar zu siegen, aber den Sieg nicht zu nutzen verstehen: sie hatten
die Gabe, Reichtümer zu erwerben, doch eS fehlte ihnen die Fähigkeit, sich ihrer
mit Anstand zu bedienen. Dabei hinderte ihr Haß gegen die Edelleute diese
Parvenus keineswegs, ihnen nachzuahmen und somit ihre Superiorität anzuerkennen,
die sich auf die Tatsache stützte, daß man Traditionen weder schaffen noch vernichten
kann: die Söhne der aufstrebenden Sphäre suchten ihr gesellschaftliches Neovhytentum
durch eine Weihe in den Sälen des Tanzmeisters Coulon zu verdecken, während
die Töchter bemüht waren, die den Französinnen so oft angeborene Grazie mittels
einer unter dem Beirate sachkundiger Modistinnen zusammengestellten Toilette in
möglichst Helles Licht zu rücken. Der Erste Konsul, der eine Versöhnung aller
Parteien herbeizuführen wünschte, suchte zwischen den sich widerstrebenden Kreisen
»u vermitteln, und da seine Gattin Josephine stets eine gewisse Schwäche für
den Adel der Königszeit gehabt hatte, diente sie als willkommenes Bindeglied
jwiichen den Leuten von gestern und denen von heute, zwischen der alten und der
neuen gesellschaftlichen Welt, und rekrutierte nicht ohne Geschick unter der Aristokratie
für ihren Gatten: eine Anzahl Männer und Frauen, den Familien angehörig, die
Man als das „Faubourg Se. Germain" zu bezeichnen Pflegte, beugten sich, zum
Teil von ihr beeinflußt, der zwingenden Macht der Verhältnisse und suchren Anschluß
an den Ersten Konsul, die heterogenen Elemente begannen sich infolge davon ein-
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