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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Bücherschau

[Beginn Spaltensatz]

Tausend. Leipzig 1920. Verlag von
Theodor Gerstenberg.

Böhmcrland-Jahrlmch für Volk und Heimat,
1920. Herausgegeben im Auftrage des
Böhmerland-Verlagcs Eger in Gemeinschaft
mit vielen Mitarbeitern von Otto Kletzl.
Böhmerland-Verlag. Eger 1920. Im Buch¬
handel durch den Sudetendeutschen Verlag
Franz Kraus, Reichenberg.
Böhmerland-Flugschriften für Volk und
Heimat. Böymerland-Verlag. Eger.

Ur. 3. Katechismus für die Sudeten-
deutschen von Ol-. E. Gicrach.
FünfteAufl. (31.--S0. Tausend).
1920.

Ur. 13. Unsere deutschen Schulen und
das Vernichtungsgesetz. 1920.

Bei allem Unheil, das über Deutsch-
Österreich hereinbrach, ergab sich doch das
überraschende: die Papicrverhältnisse lagen
besser als im Reich (heute dürfte das längst
anders geworden sein) und infolgedessen ent¬
wickelte sich der Verlagsbuchhandel günstig;
neue Firmen entstanden und alte verjüngten
sich. Zu den neuen Firmen gehört nun auch
der Amalthea-Verlag, der seinen Hauptsitz in
Wien hat.

Die von ihm herausgegebenen Bücher, die
hier vorliegen, präsentieren sich alle in vor¬
nehmem, stattlichem Gewand.

Der "Amalthea-Almanach" gibt einen
Überblick über seine bisherige, schon recht
reichhaltige Produktion. Wir begnügen uns
damit, aus der Zahl dieser Werke solche
herauszuheben, die für das spezifisch öster¬
reichische Leben charakteristisch sind, allerdings
in sehr verschiedener Weise.

Deutsch-Österreicher im völkischen Sinne
ist nun allerdings Rilke durchaus nicht; eher
das Gegenteil. Der Mann, der schon in
jungen Jahren dem erbitterten Ringen zwischen
Deutschen und Tschechen kühl bis ins Herz
zusah, dem es eine bloße Rechtsfrage war:

[Spaltenumbruch]

des alten vielsprachigen Osterreich vor dem
Kriege) ist er vielleicht doch; nur auf andere
Weise. Die Mischung slavischen und deutschen
Blutes in seinen Adern, die in verschiedenen
Studien über ihn allerdings mehr angedeutet
als bewiesen wird, ist doch etwas, was sich
im alten Osterreich nicht selten vollzog. Und
ebenso wie die leidenschaftlich und einseitig
national empfindenden Männer der ver¬
schiedenen Volksstämme gehört auch ihr Gegen¬
stück: die Männer, bei denen sich infolge
der Völkermischung das Bewußtsein ihres
Volkstums verflüchtigt hat, zum vollen Bilde
dieses Völkerstaates.

Doch wie dies auch sei, jedenfalls ist Rilke
einer der anerkanntesten Dichter aus der Zeit
vor dem Kriege. Und schon einfach dadurch
gehört er zu den bedeutenden Erscheinungen
im alten Österreich.

Er dichtet nicht als Deutscher, immer nur
als einzelner ohne Rücksicht auf den Zusammen¬
hang mit seinem Volke; aber die Einzelseele,
die hier spricht, der bloße Mensch, der hier
empfindet, spricht doch tatsächlich Deutsch. Ob
sie will oder nicht, sie kann den Zusammen¬
hang, auch wenn sie ihn nicht sühlt, doch
nicht sprengen. Das Fehlen des Volksbewußt-
seins besagt an und für sich gar nichts über
Wert oder Unwert seiner Gedichte. Niemand
z. B. wird zweifeln, daß Mörike ein größerer
Lyriker war als E. M. Arndt oder Wildenbruch.

Und diesem Lyriker widmet ein Robert
Faesi eine feinfühlige, eindringende Studie.
Mit liebevollem Verständnis fühlt er sich in
Wesensart und Dichtung seines Dichters ein,
aber er unterliegt ihm doch nicht, sondern
behauptet ihm gegenüber ein selbständiges
befreiendes Urteil. Er liebt ihn, aber er
vergöttert ihn nicht. Er liebt ihn, aber er um¬
schreibt mit fast grausamer Sachlichkeit die
Grenzen seines Wesens und Könnens. Er
liebt ihn, aber -- fast scheint es so er
Sarge ihn ein.

Denn wer ist Rilke?

Ein feiner Mensch, aber ohne starke
Lebenskraft: ein "edler Dekadent". Ohne
Aktivität geht er als Beobachter durchs Leben-
Dem entspricht sein Dichten: sein Schauen
ist (und hier führt Faesi sein Schaffen mit
sicherer Hand auf zwei Grundlinien zurück) ^
sein Schauen ist einmal nach außen gerichtet;

[Ende Spaltensatz]

ist wirklich sehr weit davon entfernt, im
Namen des deutschen Volkes in Osterreich
oder in Böhmen zu sprechen. Aber eine
spezifisch österreichische Erscheinung (im Sinne


Bücherschau

[Beginn Spaltensatz]

Tausend. Leipzig 1920. Verlag von
Theodor Gerstenberg.

Böhmcrland-Jahrlmch für Volk und Heimat,
1920. Herausgegeben im Auftrage des
Böhmerland-Verlagcs Eger in Gemeinschaft
mit vielen Mitarbeitern von Otto Kletzl.
Böhmerland-Verlag. Eger 1920. Im Buch¬
handel durch den Sudetendeutschen Verlag
Franz Kraus, Reichenberg.
Böhmerland-Flugschriften für Volk und
Heimat. Böymerland-Verlag. Eger.

Ur. 3. Katechismus für die Sudeten-
deutschen von Ol-. E. Gicrach.
FünfteAufl. (31.—S0. Tausend).
1920.

Ur. 13. Unsere deutschen Schulen und
das Vernichtungsgesetz. 1920.

Bei allem Unheil, das über Deutsch-
Österreich hereinbrach, ergab sich doch das
überraschende: die Papicrverhältnisse lagen
besser als im Reich (heute dürfte das längst
anders geworden sein) und infolgedessen ent¬
wickelte sich der Verlagsbuchhandel günstig;
neue Firmen entstanden und alte verjüngten
sich. Zu den neuen Firmen gehört nun auch
der Amalthea-Verlag, der seinen Hauptsitz in
Wien hat.

Die von ihm herausgegebenen Bücher, die
hier vorliegen, präsentieren sich alle in vor¬
nehmem, stattlichem Gewand.

Der „Amalthea-Almanach" gibt einen
Überblick über seine bisherige, schon recht
reichhaltige Produktion. Wir begnügen uns
damit, aus der Zahl dieser Werke solche
herauszuheben, die für das spezifisch öster¬
reichische Leben charakteristisch sind, allerdings
in sehr verschiedener Weise.

Deutsch-Österreicher im völkischen Sinne
ist nun allerdings Rilke durchaus nicht; eher
das Gegenteil. Der Mann, der schon in
jungen Jahren dem erbitterten Ringen zwischen
Deutschen und Tschechen kühl bis ins Herz
zusah, dem es eine bloße Rechtsfrage war:

[Spaltenumbruch]

des alten vielsprachigen Osterreich vor dem
Kriege) ist er vielleicht doch; nur auf andere
Weise. Die Mischung slavischen und deutschen
Blutes in seinen Adern, die in verschiedenen
Studien über ihn allerdings mehr angedeutet
als bewiesen wird, ist doch etwas, was sich
im alten Osterreich nicht selten vollzog. Und
ebenso wie die leidenschaftlich und einseitig
national empfindenden Männer der ver¬
schiedenen Volksstämme gehört auch ihr Gegen¬
stück: die Männer, bei denen sich infolge
der Völkermischung das Bewußtsein ihres
Volkstums verflüchtigt hat, zum vollen Bilde
dieses Völkerstaates.

Doch wie dies auch sei, jedenfalls ist Rilke
einer der anerkanntesten Dichter aus der Zeit
vor dem Kriege. Und schon einfach dadurch
gehört er zu den bedeutenden Erscheinungen
im alten Österreich.

Er dichtet nicht als Deutscher, immer nur
als einzelner ohne Rücksicht auf den Zusammen¬
hang mit seinem Volke; aber die Einzelseele,
die hier spricht, der bloße Mensch, der hier
empfindet, spricht doch tatsächlich Deutsch. Ob
sie will oder nicht, sie kann den Zusammen¬
hang, auch wenn sie ihn nicht sühlt, doch
nicht sprengen. Das Fehlen des Volksbewußt-
seins besagt an und für sich gar nichts über
Wert oder Unwert seiner Gedichte. Niemand
z. B. wird zweifeln, daß Mörike ein größerer
Lyriker war als E. M. Arndt oder Wildenbruch.

Und diesem Lyriker widmet ein Robert
Faesi eine feinfühlige, eindringende Studie.
Mit liebevollem Verständnis fühlt er sich in
Wesensart und Dichtung seines Dichters ein,
aber er unterliegt ihm doch nicht, sondern
behauptet ihm gegenüber ein selbständiges
befreiendes Urteil. Er liebt ihn, aber er
vergöttert ihn nicht. Er liebt ihn, aber er um¬
schreibt mit fast grausamer Sachlichkeit die
Grenzen seines Wesens und Könnens. Er
liebt ihn, aber — fast scheint es so er
Sarge ihn ein.

Denn wer ist Rilke?

Ein feiner Mensch, aber ohne starke
Lebenskraft: ein „edler Dekadent". Ohne
Aktivität geht er als Beobachter durchs Leben-
Dem entspricht sein Dichten: sein Schauen
ist (und hier führt Faesi sein Schaffen mit
sicherer Hand auf zwei Grundlinien zurück) ^
sein Schauen ist einmal nach außen gerichtet;

[Ende Spaltensatz]

ist wirklich sehr weit davon entfernt, im
Namen des deutschen Volkes in Osterreich
oder in Böhmen zu sprechen. Aber eine
spezifisch österreichische Erscheinung (im Sinne


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[0186] Bücherschau Tausend. Leipzig 1920. Verlag von Theodor Gerstenberg. Böhmcrland-Jahrlmch für Volk und Heimat, 1920. Herausgegeben im Auftrage des Böhmerland-Verlagcs Eger in Gemeinschaft mit vielen Mitarbeitern von Otto Kletzl. Böhmerland-Verlag. Eger 1920. Im Buch¬ handel durch den Sudetendeutschen Verlag Franz Kraus, Reichenberg. Böhmerland-Flugschriften für Volk und Heimat. Böymerland-Verlag. Eger. Ur. 3. Katechismus für die Sudeten- deutschen von Ol-. E. Gicrach. FünfteAufl. (31.—S0. Tausend). 1920. Ur. 13. Unsere deutschen Schulen und das Vernichtungsgesetz. 1920. Bei allem Unheil, das über Deutsch- Österreich hereinbrach, ergab sich doch das überraschende: die Papicrverhältnisse lagen besser als im Reich (heute dürfte das längst anders geworden sein) und infolgedessen ent¬ wickelte sich der Verlagsbuchhandel günstig; neue Firmen entstanden und alte verjüngten sich. Zu den neuen Firmen gehört nun auch der Amalthea-Verlag, der seinen Hauptsitz in Wien hat. Die von ihm herausgegebenen Bücher, die hier vorliegen, präsentieren sich alle in vor¬ nehmem, stattlichem Gewand. Der „Amalthea-Almanach" gibt einen Überblick über seine bisherige, schon recht reichhaltige Produktion. Wir begnügen uns damit, aus der Zahl dieser Werke solche herauszuheben, die für das spezifisch öster¬ reichische Leben charakteristisch sind, allerdings in sehr verschiedener Weise. Deutsch-Österreicher im völkischen Sinne ist nun allerdings Rilke durchaus nicht; eher das Gegenteil. Der Mann, der schon in jungen Jahren dem erbitterten Ringen zwischen Deutschen und Tschechen kühl bis ins Herz zusah, dem es eine bloße Rechtsfrage war: des alten vielsprachigen Osterreich vor dem Kriege) ist er vielleicht doch; nur auf andere Weise. Die Mischung slavischen und deutschen Blutes in seinen Adern, die in verschiedenen Studien über ihn allerdings mehr angedeutet als bewiesen wird, ist doch etwas, was sich im alten Osterreich nicht selten vollzog. Und ebenso wie die leidenschaftlich und einseitig national empfindenden Männer der ver¬ schiedenen Volksstämme gehört auch ihr Gegen¬ stück: die Männer, bei denen sich infolge der Völkermischung das Bewußtsein ihres Volkstums verflüchtigt hat, zum vollen Bilde dieses Völkerstaates. Doch wie dies auch sei, jedenfalls ist Rilke einer der anerkanntesten Dichter aus der Zeit vor dem Kriege. Und schon einfach dadurch gehört er zu den bedeutenden Erscheinungen im alten Österreich. Er dichtet nicht als Deutscher, immer nur als einzelner ohne Rücksicht auf den Zusammen¬ hang mit seinem Volke; aber die Einzelseele, die hier spricht, der bloße Mensch, der hier empfindet, spricht doch tatsächlich Deutsch. Ob sie will oder nicht, sie kann den Zusammen¬ hang, auch wenn sie ihn nicht sühlt, doch nicht sprengen. Das Fehlen des Volksbewußt- seins besagt an und für sich gar nichts über Wert oder Unwert seiner Gedichte. Niemand z. B. wird zweifeln, daß Mörike ein größerer Lyriker war als E. M. Arndt oder Wildenbruch. Und diesem Lyriker widmet ein Robert Faesi eine feinfühlige, eindringende Studie. Mit liebevollem Verständnis fühlt er sich in Wesensart und Dichtung seines Dichters ein, aber er unterliegt ihm doch nicht, sondern behauptet ihm gegenüber ein selbständiges befreiendes Urteil. Er liebt ihn, aber er vergöttert ihn nicht. Er liebt ihn, aber er um¬ schreibt mit fast grausamer Sachlichkeit die Grenzen seines Wesens und Könnens. Er liebt ihn, aber — fast scheint es so er Sarge ihn ein. Denn wer ist Rilke? Ein feiner Mensch, aber ohne starke Lebenskraft: ein „edler Dekadent". Ohne Aktivität geht er als Beobachter durchs Leben- Dem entspricht sein Dichten: sein Schauen ist (und hier führt Faesi sein Schaffen mit sicherer Hand auf zwei Grundlinien zurück) ^ sein Schauen ist einmal nach außen gerichtet; ist wirklich sehr weit davon entfernt, im Namen des deutschen Volkes in Osterreich oder in Böhmen zu sprechen. Aber eine spezifisch österreichische Erscheinung (im Sinne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/186>, abgerufen am 22.07.2024.