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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Ein Artikel mit einem Nachwort

aus der unsere Lage in erschütternder Deutlichkeit hervorgeht, nicht in genügenden?
Umfang zur Kenntnis der weiteren Öffentlichkeit gebracht.

In dieser Sachlage entschloß sich die Schriftleitung der "Grenzboten"
in Verabredung mit dem Herausgeber der "Europäischen Staats- und Wirt¬
schaftszeitung" Herrn Dr. Steinitzer, dem Chefredakteur der "Deutschen All¬
gemeinen Zeitung" Herrn Dr. Kaufmann und dem Berliner Vertreter der
"Kölnischen Zeitung" Herrn Dr. Wiens eine Aussprache zwischen den wirtschaft¬
lichen Sachverständigen und führenden, Vertretern der öffentlichen Meinung in die
Wege zu leiten. Diese Aussprache hat am 23. Juli stattgefunden; ihre Ergebnisse
werden in dem Augenblick, da diese Zeilen geschrieben werden, durch die Presse
schon der Allgemeinheit zugegangen sein. Ein ausführliches Referat der Aus¬
führungen des Herrn Stinnes wird in den "Grenzboten" und der "Europäischen
Staats- und Wirtschaftszeitung" erscheinen.

Die Ausführungen der Herren Stinnes, Vogler und v. Siemers bewegten
die Versammlung durch die greifbare Deutlichkeit, mit der sie die wirtschaftliche
Zerrüttung des ganzen deutschen Volkes infolge des Kohlenentzuges darstellten.
Wir Deutsche neigen zu einem illusionären Optimismus. Wir haben in jedem
Monat eine neue Illusion. Die Illusion des Monats Juli kann man vielleicht mit
dem Wort "Braunkohle" bezeichnen. Wir versuchen uns einzubilden, daß die
erwürgte deutsche Volkswirtschaft durch eine gesteigerte Verwertung der Braunkohle
abzuwenden wäre. Diese Illusion wird wohl schon im nächsten Monat geschwunden
sein, aber dann haben wir vielleicht schon eine neue und merken wie Hans im Glück
gar nicht, wie wir von Monat zu Monat tiefer sinken. Wie die Nation von diesem
Übel genesen und vom Engländer die Verbindung eines rücksichtslosen Pessimismus
der Erkenntnis mit ebenso rücksichtslosem Optimismus der Tat lernen wird, ist nicht
abzusehen. Sie müßte mehr als bisher auf die Stimme ihrer eigentlichen Führer,
in diesem Falle der Führer des Wirtschaftslebens, hören. Die Männer, denen wir
an dem Abend zuhören durften, sind Optimisten der Tat in einem seltenen Sinne,
ihre Erkenntnis von der tief pessimistischen Lage unseres Vaterlandes birgt darum
Nicht die Gefahr einer qutetistischen Erschlaffung oder untätigen Verzweiflungs¬
stimmung.

Der Nation sind zur Zeit die unmittelbaren Wege zur Macht versperrt.
Gelangt sie aber zur Einheit der Erkenntnis, so wird auch die
Einheit des Handelns nicht ausbleiben, die allein uns noch helfen kann und nichts
sonst auf der Welt.




Ein Artikel mit einem Nachwort

aus der unsere Lage in erschütternder Deutlichkeit hervorgeht, nicht in genügenden?
Umfang zur Kenntnis der weiteren Öffentlichkeit gebracht.

In dieser Sachlage entschloß sich die Schriftleitung der „Grenzboten"
in Verabredung mit dem Herausgeber der „Europäischen Staats- und Wirt¬
schaftszeitung" Herrn Dr. Steinitzer, dem Chefredakteur der „Deutschen All¬
gemeinen Zeitung" Herrn Dr. Kaufmann und dem Berliner Vertreter der
„Kölnischen Zeitung" Herrn Dr. Wiens eine Aussprache zwischen den wirtschaft¬
lichen Sachverständigen und führenden, Vertretern der öffentlichen Meinung in die
Wege zu leiten. Diese Aussprache hat am 23. Juli stattgefunden; ihre Ergebnisse
werden in dem Augenblick, da diese Zeilen geschrieben werden, durch die Presse
schon der Allgemeinheit zugegangen sein. Ein ausführliches Referat der Aus¬
führungen des Herrn Stinnes wird in den „Grenzboten" und der „Europäischen
Staats- und Wirtschaftszeitung" erscheinen.

Die Ausführungen der Herren Stinnes, Vogler und v. Siemers bewegten
die Versammlung durch die greifbare Deutlichkeit, mit der sie die wirtschaftliche
Zerrüttung des ganzen deutschen Volkes infolge des Kohlenentzuges darstellten.
Wir Deutsche neigen zu einem illusionären Optimismus. Wir haben in jedem
Monat eine neue Illusion. Die Illusion des Monats Juli kann man vielleicht mit
dem Wort „Braunkohle" bezeichnen. Wir versuchen uns einzubilden, daß die
erwürgte deutsche Volkswirtschaft durch eine gesteigerte Verwertung der Braunkohle
abzuwenden wäre. Diese Illusion wird wohl schon im nächsten Monat geschwunden
sein, aber dann haben wir vielleicht schon eine neue und merken wie Hans im Glück
gar nicht, wie wir von Monat zu Monat tiefer sinken. Wie die Nation von diesem
Übel genesen und vom Engländer die Verbindung eines rücksichtslosen Pessimismus
der Erkenntnis mit ebenso rücksichtslosem Optimismus der Tat lernen wird, ist nicht
abzusehen. Sie müßte mehr als bisher auf die Stimme ihrer eigentlichen Führer,
in diesem Falle der Führer des Wirtschaftslebens, hören. Die Männer, denen wir
an dem Abend zuhören durften, sind Optimisten der Tat in einem seltenen Sinne,
ihre Erkenntnis von der tief pessimistischen Lage unseres Vaterlandes birgt darum
Nicht die Gefahr einer qutetistischen Erschlaffung oder untätigen Verzweiflungs¬
stimmung.

Der Nation sind zur Zeit die unmittelbaren Wege zur Macht versperrt.
Gelangt sie aber zur Einheit der Erkenntnis, so wird auch die
Einheit des Handelns nicht ausbleiben, die allein uns noch helfen kann und nichts
sonst auf der Welt.




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[0098] Ein Artikel mit einem Nachwort aus der unsere Lage in erschütternder Deutlichkeit hervorgeht, nicht in genügenden? Umfang zur Kenntnis der weiteren Öffentlichkeit gebracht. In dieser Sachlage entschloß sich die Schriftleitung der „Grenzboten" in Verabredung mit dem Herausgeber der „Europäischen Staats- und Wirt¬ schaftszeitung" Herrn Dr. Steinitzer, dem Chefredakteur der „Deutschen All¬ gemeinen Zeitung" Herrn Dr. Kaufmann und dem Berliner Vertreter der „Kölnischen Zeitung" Herrn Dr. Wiens eine Aussprache zwischen den wirtschaft¬ lichen Sachverständigen und führenden, Vertretern der öffentlichen Meinung in die Wege zu leiten. Diese Aussprache hat am 23. Juli stattgefunden; ihre Ergebnisse werden in dem Augenblick, da diese Zeilen geschrieben werden, durch die Presse schon der Allgemeinheit zugegangen sein. Ein ausführliches Referat der Aus¬ führungen des Herrn Stinnes wird in den „Grenzboten" und der „Europäischen Staats- und Wirtschaftszeitung" erscheinen. Die Ausführungen der Herren Stinnes, Vogler und v. Siemers bewegten die Versammlung durch die greifbare Deutlichkeit, mit der sie die wirtschaftliche Zerrüttung des ganzen deutschen Volkes infolge des Kohlenentzuges darstellten. Wir Deutsche neigen zu einem illusionären Optimismus. Wir haben in jedem Monat eine neue Illusion. Die Illusion des Monats Juli kann man vielleicht mit dem Wort „Braunkohle" bezeichnen. Wir versuchen uns einzubilden, daß die erwürgte deutsche Volkswirtschaft durch eine gesteigerte Verwertung der Braunkohle abzuwenden wäre. Diese Illusion wird wohl schon im nächsten Monat geschwunden sein, aber dann haben wir vielleicht schon eine neue und merken wie Hans im Glück gar nicht, wie wir von Monat zu Monat tiefer sinken. Wie die Nation von diesem Übel genesen und vom Engländer die Verbindung eines rücksichtslosen Pessimismus der Erkenntnis mit ebenso rücksichtslosem Optimismus der Tat lernen wird, ist nicht abzusehen. Sie müßte mehr als bisher auf die Stimme ihrer eigentlichen Führer, in diesem Falle der Führer des Wirtschaftslebens, hören. Die Männer, denen wir an dem Abend zuhören durften, sind Optimisten der Tat in einem seltenen Sinne, ihre Erkenntnis von der tief pessimistischen Lage unseres Vaterlandes birgt darum Nicht die Gefahr einer qutetistischen Erschlaffung oder untätigen Verzweiflungs¬ stimmung. Der Nation sind zur Zeit die unmittelbaren Wege zur Macht versperrt. Gelangt sie aber zur Einheit der Erkenntnis, so wird auch die Einheit des Handelns nicht ausbleiben, die allein uns noch helfen kann und nichts sonst auf der Welt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/98>, abgerufen am 22.07.2024.