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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Wffenherzigkeiten

strebende Bureaukrat gesunken, daß ihm sogar die "Vossische Zeitung" in einem
Artikel "Oberbürgermeister-Dämmerung" sagt: "daß er die ihm jetzt attestierte
Popularität dem Umstand verdankt, daß er die Weisungen der unabhängigen
Führer nicht nur ohne Widerspruch, sondern auch mit der nötigen Überzeugungs¬
kraft befolgte". Höher hinauf, höher hinauf: Der "unabhängige" und über¬
zeugungstreue Mann will jetzt auf seine alten Tage noch Reichspräsident werden.
Er wäre der schwarzrotgoldenen Republik vielleicht zu gönnen. Aber der Kelch
unseres Leidens ist schon zum Rande voll, es bedarf des Wermuthstropfes nicht
zum Üb Zibo erlaufen.


Dirnen und Lakaien

Den 82 Fällen schwarzer Schmach, die die streng pazifistische und völker¬
versöhnende Gruppe um Han?Delbrück anklagend festgestellt hat, können demokratische,
also hinreichend unverdächtige Blätter "dicke Aktenstücke" über beinahe vier Dutzend
weiterer Gewalttaten gesellen. Die Feder sollte sich, wie dos leider fast immer
u geschehen Pflegt, nicht sträuben, die ruchlosen Schändlichkeiten eingehend zu
childern,' aber schließlich, was hilft ihr Sträuben, solange die Nation sich nicht
mit Händen und Füßen gegen Bestialisierung und Bestien sträubt, sondern dies
allein den unglücklichen Opfern der farbigen und weißen Verbrecherfranzosen über¬
läßt? Und außerdem -- die erforderliche flammende Entrüstung bringt nicht ganz
leicht auf, wer z. B. in der Deutschen Tageszeitung liest:

"Nachmittags, im Rummelplatz am (Kölner) Zoologischen konnte man
Hunderte von englischen Soldaten im trauli-'t sten Gemenge mit deutschen Mädchen
erblicken. -- Andern Tags, bei einer Fahrt über Land, kamen wir in ein Dorf,
das war von schwarzen Truppen besetzt, Marokkanern. Die saßen (und lagen)
abends mit deutschen Bauernmädchen hinter den Hecken herum, an offener Straße.
Wie nie zuvor mit deutschen Burschen, solange deutsche Zucht und Ordnung in
der Rheinprovinz waren. Ja, in Köln gibt's" sogar eine besondere Entbindungs¬
anstalt für uneheliche Soldatenkinder: weiße, gelbe, bräunliche und schwärzliche!
Der Stempel der Schande, den der Sieger unserer Frauenwelt aufdrückt."

Über allzu galante deutsche Weiber, die sich den westlichen Helden in die
Arme warfen, haben schon die Ehrbaren von 1806 gesto'eine. Wir sind in der
Entwicklung insofern vorgeschritten, als der Damenflor sich damals mit den
Weißen Siegern begnügen mußte, während ihm heute dle Sensation der bunten
Seladons blüht. Melchior de Vogüe, der vom sittlichen ni oergang des kaiser¬
lichen Deutschlands die Revanche erhoffte, hat allzu seht? recht behalten. Nachdem
es jahrzehntelang den Verderbern erlaubt war, unterm Schutze der Preß- und
Theaterfreiheit das deutsche Volk bis ins Mark zu verwahrlosen, Anstand und
Zucht zum Feuilletongespött zu machen, wie dürfen wir da vom Normalfrauen¬
zimmer Haltung erwarten? Es schleudert seine weibliche Ehre in den Schmutz,
wie der Nvrmalbürger seine männliche. Wenn die Engländer auf dem Kölner
Domplatz Parade abhalten, drängen sich Tausende von Deutschen, den Hut in der
Hand, hochachtungsvoll-neugierig hin^u) landesverräterische Leitungen und Bücher,
deren Verbreitung nach Z'81 RSiGB. mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht
Wird, liegen in den Luder aus: "Geschäft ist Geschäft", lächeln die Inhaber und
berufen sich auf den englischen Schutz. Unsere bedeutsamsten Errungenschaften der
verflossenen Epoche, Pröfilsucht und ungehemmte Amüsiersucht, entfalten jetzt ihre
üppigsten Blüten. Können wir uns über hundert Vergewaltigungen entsetzen,
wenn hunderttausendfach die freiwillige, weibliche und männliche Prostitution
wuchert?

"So schluckte ich Tag für Tag meine bitteren Pillen, suchte vergebens nach
Meinem alten Vaterland, nach Gesinnungsgenossen! Was ich fand, war völligste
Abgebrühtheit, vollständige Abwesenheit nationalen Empfindens, gar kein Ver¬
ständnis dafür, daß man ein Sklavenleben führte, nur den Ausdruck der Be¬
friedigung, daß man nicht die Franzosen oder Belgier als Besatzung habe.


Wffenherzigkeiten

strebende Bureaukrat gesunken, daß ihm sogar die „Vossische Zeitung" in einem
Artikel „Oberbürgermeister-Dämmerung" sagt: „daß er die ihm jetzt attestierte
Popularität dem Umstand verdankt, daß er die Weisungen der unabhängigen
Führer nicht nur ohne Widerspruch, sondern auch mit der nötigen Überzeugungs¬
kraft befolgte". Höher hinauf, höher hinauf: Der „unabhängige" und über¬
zeugungstreue Mann will jetzt auf seine alten Tage noch Reichspräsident werden.
Er wäre der schwarzrotgoldenen Republik vielleicht zu gönnen. Aber der Kelch
unseres Leidens ist schon zum Rande voll, es bedarf des Wermuthstropfes nicht
zum Üb Zibo erlaufen.


Dirnen und Lakaien

Den 82 Fällen schwarzer Schmach, die die streng pazifistische und völker¬
versöhnende Gruppe um Han?Delbrück anklagend festgestellt hat, können demokratische,
also hinreichend unverdächtige Blätter „dicke Aktenstücke" über beinahe vier Dutzend
weiterer Gewalttaten gesellen. Die Feder sollte sich, wie dos leider fast immer
u geschehen Pflegt, nicht sträuben, die ruchlosen Schändlichkeiten eingehend zu
childern,' aber schließlich, was hilft ihr Sträuben, solange die Nation sich nicht
mit Händen und Füßen gegen Bestialisierung und Bestien sträubt, sondern dies
allein den unglücklichen Opfern der farbigen und weißen Verbrecherfranzosen über¬
läßt? Und außerdem — die erforderliche flammende Entrüstung bringt nicht ganz
leicht auf, wer z. B. in der Deutschen Tageszeitung liest:

„Nachmittags, im Rummelplatz am (Kölner) Zoologischen konnte man
Hunderte von englischen Soldaten im trauli-'t sten Gemenge mit deutschen Mädchen
erblicken. — Andern Tags, bei einer Fahrt über Land, kamen wir in ein Dorf,
das war von schwarzen Truppen besetzt, Marokkanern. Die saßen (und lagen)
abends mit deutschen Bauernmädchen hinter den Hecken herum, an offener Straße.
Wie nie zuvor mit deutschen Burschen, solange deutsche Zucht und Ordnung in
der Rheinprovinz waren. Ja, in Köln gibt's" sogar eine besondere Entbindungs¬
anstalt für uneheliche Soldatenkinder: weiße, gelbe, bräunliche und schwärzliche!
Der Stempel der Schande, den der Sieger unserer Frauenwelt aufdrückt."

Über allzu galante deutsche Weiber, die sich den westlichen Helden in die
Arme warfen, haben schon die Ehrbaren von 1806 gesto'eine. Wir sind in der
Entwicklung insofern vorgeschritten, als der Damenflor sich damals mit den
Weißen Siegern begnügen mußte, während ihm heute dle Sensation der bunten
Seladons blüht. Melchior de Vogüe, der vom sittlichen ni oergang des kaiser¬
lichen Deutschlands die Revanche erhoffte, hat allzu seht? recht behalten. Nachdem
es jahrzehntelang den Verderbern erlaubt war, unterm Schutze der Preß- und
Theaterfreiheit das deutsche Volk bis ins Mark zu verwahrlosen, Anstand und
Zucht zum Feuilletongespött zu machen, wie dürfen wir da vom Normalfrauen¬
zimmer Haltung erwarten? Es schleudert seine weibliche Ehre in den Schmutz,
wie der Nvrmalbürger seine männliche. Wenn die Engländer auf dem Kölner
Domplatz Parade abhalten, drängen sich Tausende von Deutschen, den Hut in der
Hand, hochachtungsvoll-neugierig hin^u) landesverräterische Leitungen und Bücher,
deren Verbreitung nach Z'81 RSiGB. mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht
Wird, liegen in den Luder aus: „Geschäft ist Geschäft", lächeln die Inhaber und
berufen sich auf den englischen Schutz. Unsere bedeutsamsten Errungenschaften der
verflossenen Epoche, Pröfilsucht und ungehemmte Amüsiersucht, entfalten jetzt ihre
üppigsten Blüten. Können wir uns über hundert Vergewaltigungen entsetzen,
wenn hunderttausendfach die freiwillige, weibliche und männliche Prostitution
wuchert?

„So schluckte ich Tag für Tag meine bitteren Pillen, suchte vergebens nach
Meinem alten Vaterland, nach Gesinnungsgenossen! Was ich fand, war völligste
Abgebrühtheit, vollständige Abwesenheit nationalen Empfindens, gar kein Ver¬
ständnis dafür, daß man ein Sklavenleben führte, nur den Ausdruck der Be¬
friedigung, daß man nicht die Franzosen oder Belgier als Besatzung habe.


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[0371] Wffenherzigkeiten strebende Bureaukrat gesunken, daß ihm sogar die „Vossische Zeitung" in einem Artikel „Oberbürgermeister-Dämmerung" sagt: „daß er die ihm jetzt attestierte Popularität dem Umstand verdankt, daß er die Weisungen der unabhängigen Führer nicht nur ohne Widerspruch, sondern auch mit der nötigen Überzeugungs¬ kraft befolgte". Höher hinauf, höher hinauf: Der „unabhängige" und über¬ zeugungstreue Mann will jetzt auf seine alten Tage noch Reichspräsident werden. Er wäre der schwarzrotgoldenen Republik vielleicht zu gönnen. Aber der Kelch unseres Leidens ist schon zum Rande voll, es bedarf des Wermuthstropfes nicht zum Üb Zibo erlaufen. Dirnen und Lakaien Den 82 Fällen schwarzer Schmach, die die streng pazifistische und völker¬ versöhnende Gruppe um Han?Delbrück anklagend festgestellt hat, können demokratische, also hinreichend unverdächtige Blätter „dicke Aktenstücke" über beinahe vier Dutzend weiterer Gewalttaten gesellen. Die Feder sollte sich, wie dos leider fast immer u geschehen Pflegt, nicht sträuben, die ruchlosen Schändlichkeiten eingehend zu childern,' aber schließlich, was hilft ihr Sträuben, solange die Nation sich nicht mit Händen und Füßen gegen Bestialisierung und Bestien sträubt, sondern dies allein den unglücklichen Opfern der farbigen und weißen Verbrecherfranzosen über¬ läßt? Und außerdem — die erforderliche flammende Entrüstung bringt nicht ganz leicht auf, wer z. B. in der Deutschen Tageszeitung liest: „Nachmittags, im Rummelplatz am (Kölner) Zoologischen konnte man Hunderte von englischen Soldaten im trauli-'t sten Gemenge mit deutschen Mädchen erblicken. — Andern Tags, bei einer Fahrt über Land, kamen wir in ein Dorf, das war von schwarzen Truppen besetzt, Marokkanern. Die saßen (und lagen) abends mit deutschen Bauernmädchen hinter den Hecken herum, an offener Straße. Wie nie zuvor mit deutschen Burschen, solange deutsche Zucht und Ordnung in der Rheinprovinz waren. Ja, in Köln gibt's" sogar eine besondere Entbindungs¬ anstalt für uneheliche Soldatenkinder: weiße, gelbe, bräunliche und schwärzliche! Der Stempel der Schande, den der Sieger unserer Frauenwelt aufdrückt." Über allzu galante deutsche Weiber, die sich den westlichen Helden in die Arme warfen, haben schon die Ehrbaren von 1806 gesto'eine. Wir sind in der Entwicklung insofern vorgeschritten, als der Damenflor sich damals mit den Weißen Siegern begnügen mußte, während ihm heute dle Sensation der bunten Seladons blüht. Melchior de Vogüe, der vom sittlichen ni oergang des kaiser¬ lichen Deutschlands die Revanche erhoffte, hat allzu seht? recht behalten. Nachdem es jahrzehntelang den Verderbern erlaubt war, unterm Schutze der Preß- und Theaterfreiheit das deutsche Volk bis ins Mark zu verwahrlosen, Anstand und Zucht zum Feuilletongespött zu machen, wie dürfen wir da vom Normalfrauen¬ zimmer Haltung erwarten? Es schleudert seine weibliche Ehre in den Schmutz, wie der Nvrmalbürger seine männliche. Wenn die Engländer auf dem Kölner Domplatz Parade abhalten, drängen sich Tausende von Deutschen, den Hut in der Hand, hochachtungsvoll-neugierig hin^u) landesverräterische Leitungen und Bücher, deren Verbreitung nach Z'81 RSiGB. mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht Wird, liegen in den Luder aus: „Geschäft ist Geschäft", lächeln die Inhaber und berufen sich auf den englischen Schutz. Unsere bedeutsamsten Errungenschaften der verflossenen Epoche, Pröfilsucht und ungehemmte Amüsiersucht, entfalten jetzt ihre üppigsten Blüten. Können wir uns über hundert Vergewaltigungen entsetzen, wenn hunderttausendfach die freiwillige, weibliche und männliche Prostitution wuchert? „So schluckte ich Tag für Tag meine bitteren Pillen, suchte vergebens nach Meinem alten Vaterland, nach Gesinnungsgenossen! Was ich fand, war völligste Abgebrühtheit, vollständige Abwesenheit nationalen Empfindens, gar kein Ver¬ ständnis dafür, daß man ein Sklavenleben führte, nur den Ausdruck der Be¬ friedigung, daß man nicht die Franzosen oder Belgier als Besatzung habe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/371>, abgerufen am 22.07.2024.