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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Der politische Dichter vom y. November

sprechen, die gerade jetzt, angesichts gewisser feindlicher Beschuldigungen und
Sühneforderungen, verhängnisvolle Wirkung ausüben kann. Unter allen
Umständen ist nur einDeutscher von 1920 imstande, derlei Schmach zu schreiben;
daß unser Autor als Entstehungsjahr seines Gedichtes 1917 nennt, spricht für
seine Frühreife und sein Einfühlungsvermögen. Im übrigen hat Wedekind,
auch sonst unerreichtes Vorbild der Jüngeren, mutigere, eindrucksvollere und
satanischere Kontraste geformt. Er wartete nicht Revolutionen ab, ehe er
revolutionär wurde, und schrieb keine Neuruppiner Bilderbogen für den Massen¬
bedarf der Straßenseelen.

Von den allermeisten politischen Dichtern, die sich so grenzenlos erdreisten
Möchten, wild ins Chaos zu sprengen vorgeben und doch niemanden über die
Rasse ihres Karussellpferdes zu täuschen imstande sind, ist der hier Vorgeführte --
es sei wiederholt -- nicht der Beträchtlichste. In vieler Hinsicht sogar einer
der Unbeträchtlichsten. Aber man nennt, obgleich der eigentliche Boon vorbei
ist, seinen Namen noch immer in sogenannten weiteren Kreisen. Ein Stück von
ihm, schwitzende Zusammennäherei von Schiller, Goethe und dem schon er¬
wähnten Wedekind, hat zahlreiche deutsche Bühnen beschritten. Darin ringt
"in Sohn, der die Reifeprüfung nicht bestanden hat, um den Hausschlüssel,
hält schwache, aber stark faustische Monologe, tritt zwischen allerlei Marquis
v. Keiths als Klubredner auf, verbringt eine angeregte Hotelnacht und wird
schließlich der Notwendigkeit, seinen Vater zu erschießen, dadurch enthoben,
daß der alte Herr einem Schlaganfall erliegt. Später brachte der Dramatiker
es nicht mehr zu dieser Fülle der Gesichte? nachlassende Erfindungskraft zwang
ihn, die Antigone dermaßen zu bearbeiten, daß es selbst der Reichshauptstadt
über die Hutschnur ging. Bei alledem gehört er noch nicht völlig zum Schnee
des vergangenen Jahres. "Seine Macht", so schreibt eine große Rundschau,
"ist Pathos, lyrische Fülle, definitionssicher differenziert, dialektisch pointierte
Leidenschaft." Man heißt ihn an anderer Stelle einen morgendlichen deutschen
Dichter, einen Priester des Reichtums an Gekostethaben, dessen "Hände wie
ruheschenkende schwere Sessel sprechen." Die Antigone ist in achter Auflage er¬
schienen, von einem anderen Schauspiel gibt es fünfzig vom Verfasser signierte
Exemplare auf Büttenpapier zu kaufen; Oskar Kokoschka hat das für 150 Mark
auf Japanbütten, für 125 Mark auf Holländerbütten lithographierte Butus
des Ragender geschaffen. Wenn nicht unseren bekanntesten, so darf er steh doch
unseren genanntesten Revolutionsdichter nennen. Und eben deshalb schien es
^förderlich, sein Wollen und Können rasch zu umreißen, rasch umzureißen.

Sein Name ist Walter Hasenclever.




Der politische Dichter vom y. November

sprechen, die gerade jetzt, angesichts gewisser feindlicher Beschuldigungen und
Sühneforderungen, verhängnisvolle Wirkung ausüben kann. Unter allen
Umständen ist nur einDeutscher von 1920 imstande, derlei Schmach zu schreiben;
daß unser Autor als Entstehungsjahr seines Gedichtes 1917 nennt, spricht für
seine Frühreife und sein Einfühlungsvermögen. Im übrigen hat Wedekind,
auch sonst unerreichtes Vorbild der Jüngeren, mutigere, eindrucksvollere und
satanischere Kontraste geformt. Er wartete nicht Revolutionen ab, ehe er
revolutionär wurde, und schrieb keine Neuruppiner Bilderbogen für den Massen¬
bedarf der Straßenseelen.

Von den allermeisten politischen Dichtern, die sich so grenzenlos erdreisten
Möchten, wild ins Chaos zu sprengen vorgeben und doch niemanden über die
Rasse ihres Karussellpferdes zu täuschen imstande sind, ist der hier Vorgeführte —
es sei wiederholt — nicht der Beträchtlichste. In vieler Hinsicht sogar einer
der Unbeträchtlichsten. Aber man nennt, obgleich der eigentliche Boon vorbei
ist, seinen Namen noch immer in sogenannten weiteren Kreisen. Ein Stück von
ihm, schwitzende Zusammennäherei von Schiller, Goethe und dem schon er¬
wähnten Wedekind, hat zahlreiche deutsche Bühnen beschritten. Darin ringt
«in Sohn, der die Reifeprüfung nicht bestanden hat, um den Hausschlüssel,
hält schwache, aber stark faustische Monologe, tritt zwischen allerlei Marquis
v. Keiths als Klubredner auf, verbringt eine angeregte Hotelnacht und wird
schließlich der Notwendigkeit, seinen Vater zu erschießen, dadurch enthoben,
daß der alte Herr einem Schlaganfall erliegt. Später brachte der Dramatiker
es nicht mehr zu dieser Fülle der Gesichte? nachlassende Erfindungskraft zwang
ihn, die Antigone dermaßen zu bearbeiten, daß es selbst der Reichshauptstadt
über die Hutschnur ging. Bei alledem gehört er noch nicht völlig zum Schnee
des vergangenen Jahres. „Seine Macht", so schreibt eine große Rundschau,
»ist Pathos, lyrische Fülle, definitionssicher differenziert, dialektisch pointierte
Leidenschaft." Man heißt ihn an anderer Stelle einen morgendlichen deutschen
Dichter, einen Priester des Reichtums an Gekostethaben, dessen „Hände wie
ruheschenkende schwere Sessel sprechen." Die Antigone ist in achter Auflage er¬
schienen, von einem anderen Schauspiel gibt es fünfzig vom Verfasser signierte
Exemplare auf Büttenpapier zu kaufen; Oskar Kokoschka hat das für 150 Mark
auf Japanbütten, für 125 Mark auf Holländerbütten lithographierte Butus
des Ragender geschaffen. Wenn nicht unseren bekanntesten, so darf er steh doch
unseren genanntesten Revolutionsdichter nennen. Und eben deshalb schien es
^förderlich, sein Wollen und Können rasch zu umreißen, rasch umzureißen.

Sein Name ist Walter Hasenclever.




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[0329] Der politische Dichter vom y. November sprechen, die gerade jetzt, angesichts gewisser feindlicher Beschuldigungen und Sühneforderungen, verhängnisvolle Wirkung ausüben kann. Unter allen Umständen ist nur einDeutscher von 1920 imstande, derlei Schmach zu schreiben; daß unser Autor als Entstehungsjahr seines Gedichtes 1917 nennt, spricht für seine Frühreife und sein Einfühlungsvermögen. Im übrigen hat Wedekind, auch sonst unerreichtes Vorbild der Jüngeren, mutigere, eindrucksvollere und satanischere Kontraste geformt. Er wartete nicht Revolutionen ab, ehe er revolutionär wurde, und schrieb keine Neuruppiner Bilderbogen für den Massen¬ bedarf der Straßenseelen. Von den allermeisten politischen Dichtern, die sich so grenzenlos erdreisten Möchten, wild ins Chaos zu sprengen vorgeben und doch niemanden über die Rasse ihres Karussellpferdes zu täuschen imstande sind, ist der hier Vorgeführte — es sei wiederholt — nicht der Beträchtlichste. In vieler Hinsicht sogar einer der Unbeträchtlichsten. Aber man nennt, obgleich der eigentliche Boon vorbei ist, seinen Namen noch immer in sogenannten weiteren Kreisen. Ein Stück von ihm, schwitzende Zusammennäherei von Schiller, Goethe und dem schon er¬ wähnten Wedekind, hat zahlreiche deutsche Bühnen beschritten. Darin ringt «in Sohn, der die Reifeprüfung nicht bestanden hat, um den Hausschlüssel, hält schwache, aber stark faustische Monologe, tritt zwischen allerlei Marquis v. Keiths als Klubredner auf, verbringt eine angeregte Hotelnacht und wird schließlich der Notwendigkeit, seinen Vater zu erschießen, dadurch enthoben, daß der alte Herr einem Schlaganfall erliegt. Später brachte der Dramatiker es nicht mehr zu dieser Fülle der Gesichte? nachlassende Erfindungskraft zwang ihn, die Antigone dermaßen zu bearbeiten, daß es selbst der Reichshauptstadt über die Hutschnur ging. Bei alledem gehört er noch nicht völlig zum Schnee des vergangenen Jahres. „Seine Macht", so schreibt eine große Rundschau, »ist Pathos, lyrische Fülle, definitionssicher differenziert, dialektisch pointierte Leidenschaft." Man heißt ihn an anderer Stelle einen morgendlichen deutschen Dichter, einen Priester des Reichtums an Gekostethaben, dessen „Hände wie ruheschenkende schwere Sessel sprechen." Die Antigone ist in achter Auflage er¬ schienen, von einem anderen Schauspiel gibt es fünfzig vom Verfasser signierte Exemplare auf Büttenpapier zu kaufen; Oskar Kokoschka hat das für 150 Mark auf Japanbütten, für 125 Mark auf Holländerbütten lithographierte Butus des Ragender geschaffen. Wenn nicht unseren bekanntesten, so darf er steh doch unseren genanntesten Revolutionsdichter nennen. Und eben deshalb schien es ^förderlich, sein Wollen und Können rasch zu umreißen, rasch umzureißen. Sein Name ist Walter Hasenclever.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/329>, abgerufen am 22.07.2024.