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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Der politische Dichter vom 9. November

Auch gibt die Sinnlosigkeit Mystik her, alswelche das Gedicht erst auf modische
Höhe hebt.

über die Universitätsjünglinge und die väterhassenden Söhne, die der
visionäre Poet erblickt, nachher noch ein Wort. Aus welchem Vorstellungskreise
von anno Tobak stammt aber die Behauptung, daß gerade Minister an Tafeln
prasselt? Wohl haben diese Herren, wie heute noch, unter Wilhelm II. manch
wenig vergnügliches Nepräsentationsdiner mitmachen müssen, doch die eigent¬
lichen Schlemmer und Prasser, die wirklichen Drohnen, suchen wir seit etwa 125
Jahren, auf jeden Fall seit 1872, ganz wo anders. Im Hirn des Ganzneuzeitlers
jedoch ist die Titulatur, die ein Schubart noch mit etlichen Fug aufstellen konnte,
unvergänglich eingebrannt; fröhlich benutzt er beim Dichten längst verstaubte
Gummistempel weiter. Und dabei stört es ihn dann nicht, den Wortlaut, die
Feststellung, daß Minister in ausgedörrten Städten nicht mehr an den Tafeln
prasselt, wieder um des Reims und Rhythmus willen knabenhaft zu verschieben
und der Sprache das Ersatzprokrustesbett zu bereiten... Es ist nur ein Bei¬
spiel. Zwanzig Strophen füllt der Revolutionär mit abgehacktem, oft zusammen¬
hanglosen Schilderungen, mit poetischen Zeilenschildereien von bleierner Da-
geWesenheit. Daß ihn nicht besonderer Anlaß, besondere Absicht dazu treibt,
beweist bündig das nächste Gedicht, "Die Mörder sitzen in der Oper", mit genan
derselben stumpf-ironischen Aufzählerei:

"Soldaten verachtet durch die Straßen ziehen.
Generäle prangen im Ordensstern.
Deserteure, die vor dem Angriff fliehen,
Erschießt man im Namen des obersten Herrn...
Verlauste Krüppel sehen aus den Fenstern.
Der Mob schreit: "Sieg!" Die Betten sind verwaist.
Stabsärzte halten Musterung bei Gespenstern.
Der dicke König ist zur Front gereist."
"Hier, Majestät, fand statt das blutige Ringen! (richtig: "fand das
blutige Ringen statt", aber die Reimnot!)
Es naht der Feldmarschall mit Eichenlaub.
Die Tafel klirrt. Champagnergläser klingen.
Ein silbernes Tablett ist Kirchenraub."

Dies aus der Kirche geraubte silberne Tablett, das bei einem Königsnwh^
erscheint, darf als poetische Freiheit angesprochen werden. Etwas Poetische
muß ja schließlich in jedem Gedicht sein. Strenger Gesinnte würden, falls ve
Herr Verfasser nicht den Wahrheitsbeweis für seine Anklage zu erbringen ve
mag, vielleicht von gewissenloser Verleumdung und hetzerischer SchündlickM


Der politische Dichter vom 9. November

Auch gibt die Sinnlosigkeit Mystik her, alswelche das Gedicht erst auf modische
Höhe hebt.

über die Universitätsjünglinge und die väterhassenden Söhne, die der
visionäre Poet erblickt, nachher noch ein Wort. Aus welchem Vorstellungskreise
von anno Tobak stammt aber die Behauptung, daß gerade Minister an Tafeln
prasselt? Wohl haben diese Herren, wie heute noch, unter Wilhelm II. manch
wenig vergnügliches Nepräsentationsdiner mitmachen müssen, doch die eigent¬
lichen Schlemmer und Prasser, die wirklichen Drohnen, suchen wir seit etwa 125
Jahren, auf jeden Fall seit 1872, ganz wo anders. Im Hirn des Ganzneuzeitlers
jedoch ist die Titulatur, die ein Schubart noch mit etlichen Fug aufstellen konnte,
unvergänglich eingebrannt; fröhlich benutzt er beim Dichten längst verstaubte
Gummistempel weiter. Und dabei stört es ihn dann nicht, den Wortlaut, die
Feststellung, daß Minister in ausgedörrten Städten nicht mehr an den Tafeln
prasselt, wieder um des Reims und Rhythmus willen knabenhaft zu verschieben
und der Sprache das Ersatzprokrustesbett zu bereiten... Es ist nur ein Bei¬
spiel. Zwanzig Strophen füllt der Revolutionär mit abgehacktem, oft zusammen¬
hanglosen Schilderungen, mit poetischen Zeilenschildereien von bleierner Da-
geWesenheit. Daß ihn nicht besonderer Anlaß, besondere Absicht dazu treibt,
beweist bündig das nächste Gedicht, „Die Mörder sitzen in der Oper", mit genan
derselben stumpf-ironischen Aufzählerei:

„Soldaten verachtet durch die Straßen ziehen.
Generäle prangen im Ordensstern.
Deserteure, die vor dem Angriff fliehen,
Erschießt man im Namen des obersten Herrn...
Verlauste Krüppel sehen aus den Fenstern.
Der Mob schreit: „Sieg!" Die Betten sind verwaist.
Stabsärzte halten Musterung bei Gespenstern.
Der dicke König ist zur Front gereist."
„Hier, Majestät, fand statt das blutige Ringen! (richtig: „fand das
blutige Ringen statt", aber die Reimnot!)
Es naht der Feldmarschall mit Eichenlaub.
Die Tafel klirrt. Champagnergläser klingen.
Ein silbernes Tablett ist Kirchenraub."

Dies aus der Kirche geraubte silberne Tablett, das bei einem Königsnwh^
erscheint, darf als poetische Freiheit angesprochen werden. Etwas Poetische
muß ja schließlich in jedem Gedicht sein. Strenger Gesinnte würden, falls ve
Herr Verfasser nicht den Wahrheitsbeweis für seine Anklage zu erbringen ve
mag, vielleicht von gewissenloser Verleumdung und hetzerischer SchündlickM


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[0328] Der politische Dichter vom 9. November Auch gibt die Sinnlosigkeit Mystik her, alswelche das Gedicht erst auf modische Höhe hebt. über die Universitätsjünglinge und die väterhassenden Söhne, die der visionäre Poet erblickt, nachher noch ein Wort. Aus welchem Vorstellungskreise von anno Tobak stammt aber die Behauptung, daß gerade Minister an Tafeln prasselt? Wohl haben diese Herren, wie heute noch, unter Wilhelm II. manch wenig vergnügliches Nepräsentationsdiner mitmachen müssen, doch die eigent¬ lichen Schlemmer und Prasser, die wirklichen Drohnen, suchen wir seit etwa 125 Jahren, auf jeden Fall seit 1872, ganz wo anders. Im Hirn des Ganzneuzeitlers jedoch ist die Titulatur, die ein Schubart noch mit etlichen Fug aufstellen konnte, unvergänglich eingebrannt; fröhlich benutzt er beim Dichten längst verstaubte Gummistempel weiter. Und dabei stört es ihn dann nicht, den Wortlaut, die Feststellung, daß Minister in ausgedörrten Städten nicht mehr an den Tafeln prasselt, wieder um des Reims und Rhythmus willen knabenhaft zu verschieben und der Sprache das Ersatzprokrustesbett zu bereiten... Es ist nur ein Bei¬ spiel. Zwanzig Strophen füllt der Revolutionär mit abgehacktem, oft zusammen¬ hanglosen Schilderungen, mit poetischen Zeilenschildereien von bleierner Da- geWesenheit. Daß ihn nicht besonderer Anlaß, besondere Absicht dazu treibt, beweist bündig das nächste Gedicht, „Die Mörder sitzen in der Oper", mit genan derselben stumpf-ironischen Aufzählerei: „Soldaten verachtet durch die Straßen ziehen. Generäle prangen im Ordensstern. Deserteure, die vor dem Angriff fliehen, Erschießt man im Namen des obersten Herrn... Verlauste Krüppel sehen aus den Fenstern. Der Mob schreit: „Sieg!" Die Betten sind verwaist. Stabsärzte halten Musterung bei Gespenstern. Der dicke König ist zur Front gereist." „Hier, Majestät, fand statt das blutige Ringen! (richtig: „fand das blutige Ringen statt", aber die Reimnot!) Es naht der Feldmarschall mit Eichenlaub. Die Tafel klirrt. Champagnergläser klingen. Ein silbernes Tablett ist Kirchenraub." Dies aus der Kirche geraubte silberne Tablett, das bei einem Königsnwh^ erscheint, darf als poetische Freiheit angesprochen werden. Etwas Poetische muß ja schließlich in jedem Gedicht sein. Strenger Gesinnte würden, falls ve Herr Verfasser nicht den Wahrheitsbeweis für seine Anklage zu erbringen ve mag, vielleicht von gewissenloser Verleumdung und hetzerischer SchündlickM

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/328>, abgerufen am 22.07.2024.