regierung ihre Agitationsarbeit in Deutschland verdoppelt, der wirtschaftliche Kampf die Produktion schwächt und die geschwächte Armee nicht mehr im¬ stande ist, die linksradikalen Elemente niederzuhalten, das im einzelnen vorauszusagen, kann ich mir nicht anmaßen. Das Gefühl kann ich allerdings nicht los werden, daß dann die Flut gegen das letzte Bollwerk anspringt.
Wird auch Deutschland bolschewistisch, d. h. zwingt die Unterproduktion auch Deutschland, die Produktionsmittel anzugreifen, wobei die Macht in die Hand der Besitzlosen gelangt, so sehe ich keine ausreichende Möglichkeit eines wirksamen Eingriffes von außen in den russischen Bolschewismus. Dann wird Rußland -- und mit ihm wohl auch die meisten Staaten Europas -- seinen Leidensweg gehen müssen, bis es in seiner Entkultivierung auf die- lenige Stufe gelangt ist, wo die individuelle Arbeit wieder möglich und nötig wird und an die Schaffung und Aufspeicherung von Mehrwerten heran¬ treten kann.
Was unterdessen aus der Entente geworden sein wird, entzieht sich meiner Beurteilung. Eins aber steht für mich fest: Wird Deutschland bolschewistisch, so kommt ohne weiteres eine Koalition Räterußlands und Rätedeutschlands Z-ustande. Es fällt dann jede künstlich errichtete Scheidewand zwischen diesen Staaten, die vom Schicksal und von der Natur aufeinander angewiesen sind. Und wenn dann schließlich der Hunger die Völker zwingt, zu derjenigen Arbeits¬ methode zurückzukehren, die am geeignetsten ist, die Produktion zu steigern und neue Werte zu schaffen, dann werden Rußland und Deutschland gleich¬ zeitig, sich aufeinander stützend, sich emporringen. Damit wird dann diejenige unbesiegbare politische Kombination gegeben sein, die immer so nahe lag und immer so künstlich verhindert wurde ... Diese schwache Hoffnung soll uns wie ein ferner Stern blinken bei unserem dunklen Abstieg.
Den Deutschen ins Stammbuch
Das Muster einer französischen Chauvinistenzeitung ist die rohalistische ^etiou trAllsaisö, einer der ärgsten Deutschenfeinde, zugleich einer der rührigsten, und in Verbindung mit seinen Freunden und Mitarbeitern Charles Maurras und Jaques Bainville auch einer der weitsichtigsten, ist L6on Daudet. Dieser schreibt w seinem Blatt: "Ich gestehe, daß ich jeden Morgen mit Wonne die Zahl der in deutschen Nevolutionskänwfen umgekommenen Deutschen lese. Ich glaube kein schlechter Mensch zu sein/ aber je mehr es drüben beim Erbfeind brennt, je mehr Ulan sich totschlägt, desto zufriedener bin ich. Mein Ideal wäre, daß sich jenseits des Rheines jetzt ein oder zwei Jahrhunderte lang 30 Millionen deutscher Reaktio¬ näre mit 30 Millionen deutscher Revolutionären in den Haaren liegen, sich abschlachten, sich mit großen und kleinen Geschützen bombardieren und im Namen von Luther, Spartakus, Wilhelm II., Roste, Wagner, Nietzsche, Lettow - Vorbeck, Ludendorff in Moabit, Charlottenburg, München, Dresden, Stettin, Nürnberg Feuer anlegen und sich gegenseitig auffressen. Unordnung in Deutschland, Ord¬ nung in Frankreich, das ist trotz Wilson das einzige Programm des Heils."
M.
Grenzboten III 19S080
Den Deutschen ins Stammbuch
regierung ihre Agitationsarbeit in Deutschland verdoppelt, der wirtschaftliche Kampf die Produktion schwächt und die geschwächte Armee nicht mehr im¬ stande ist, die linksradikalen Elemente niederzuhalten, das im einzelnen vorauszusagen, kann ich mir nicht anmaßen. Das Gefühl kann ich allerdings nicht los werden, daß dann die Flut gegen das letzte Bollwerk anspringt.
Wird auch Deutschland bolschewistisch, d. h. zwingt die Unterproduktion auch Deutschland, die Produktionsmittel anzugreifen, wobei die Macht in die Hand der Besitzlosen gelangt, so sehe ich keine ausreichende Möglichkeit eines wirksamen Eingriffes von außen in den russischen Bolschewismus. Dann wird Rußland — und mit ihm wohl auch die meisten Staaten Europas — seinen Leidensweg gehen müssen, bis es in seiner Entkultivierung auf die- lenige Stufe gelangt ist, wo die individuelle Arbeit wieder möglich und nötig wird und an die Schaffung und Aufspeicherung von Mehrwerten heran¬ treten kann.
Was unterdessen aus der Entente geworden sein wird, entzieht sich meiner Beurteilung. Eins aber steht für mich fest: Wird Deutschland bolschewistisch, so kommt ohne weiteres eine Koalition Räterußlands und Rätedeutschlands Z-ustande. Es fällt dann jede künstlich errichtete Scheidewand zwischen diesen Staaten, die vom Schicksal und von der Natur aufeinander angewiesen sind. Und wenn dann schließlich der Hunger die Völker zwingt, zu derjenigen Arbeits¬ methode zurückzukehren, die am geeignetsten ist, die Produktion zu steigern und neue Werte zu schaffen, dann werden Rußland und Deutschland gleich¬ zeitig, sich aufeinander stützend, sich emporringen. Damit wird dann diejenige unbesiegbare politische Kombination gegeben sein, die immer so nahe lag und immer so künstlich verhindert wurde ... Diese schwache Hoffnung soll uns wie ein ferner Stern blinken bei unserem dunklen Abstieg.
Den Deutschen ins Stammbuch
Das Muster einer französischen Chauvinistenzeitung ist die rohalistische ^etiou trAllsaisö, einer der ärgsten Deutschenfeinde, zugleich einer der rührigsten, und in Verbindung mit seinen Freunden und Mitarbeitern Charles Maurras und Jaques Bainville auch einer der weitsichtigsten, ist L6on Daudet. Dieser schreibt w seinem Blatt: „Ich gestehe, daß ich jeden Morgen mit Wonne die Zahl der in deutschen Nevolutionskänwfen umgekommenen Deutschen lese. Ich glaube kein schlechter Mensch zu sein/ aber je mehr es drüben beim Erbfeind brennt, je mehr Ulan sich totschlägt, desto zufriedener bin ich. Mein Ideal wäre, daß sich jenseits des Rheines jetzt ein oder zwei Jahrhunderte lang 30 Millionen deutscher Reaktio¬ näre mit 30 Millionen deutscher Revolutionären in den Haaren liegen, sich abschlachten, sich mit großen und kleinen Geschützen bombardieren und im Namen von Luther, Spartakus, Wilhelm II., Roste, Wagner, Nietzsche, Lettow - Vorbeck, Ludendorff in Moabit, Charlottenburg, München, Dresden, Stettin, Nürnberg Feuer anlegen und sich gegenseitig auffressen. Unordnung in Deutschland, Ord¬ nung in Frankreich, das ist trotz Wilson das einzige Programm des Heils."
M.
Grenzboten III 19S080
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[0309]
Den Deutschen ins Stammbuch
regierung ihre Agitationsarbeit in Deutschland verdoppelt, der wirtschaftliche
Kampf die Produktion schwächt und die geschwächte Armee nicht mehr im¬
stande ist, die linksradikalen Elemente niederzuhalten, das im einzelnen
vorauszusagen, kann ich mir nicht anmaßen. Das Gefühl kann ich allerdings
nicht los werden, daß dann die Flut gegen das letzte Bollwerk anspringt.
Wird auch Deutschland bolschewistisch, d. h. zwingt die Unterproduktion
auch Deutschland, die Produktionsmittel anzugreifen, wobei die Macht in die
Hand der Besitzlosen gelangt, so sehe ich keine ausreichende Möglichkeit
eines wirksamen Eingriffes von außen in den russischen Bolschewismus. Dann
wird Rußland — und mit ihm wohl auch die meisten Staaten Europas —
seinen Leidensweg gehen müssen, bis es in seiner Entkultivierung auf die-
lenige Stufe gelangt ist, wo die individuelle Arbeit wieder möglich und nötig
wird und an die Schaffung und Aufspeicherung von Mehrwerten heran¬
treten kann.
Was unterdessen aus der Entente geworden sein wird, entzieht sich meiner
Beurteilung. Eins aber steht für mich fest: Wird Deutschland bolschewistisch,
so kommt ohne weiteres eine Koalition Räterußlands und Rätedeutschlands
Z-ustande. Es fällt dann jede künstlich errichtete Scheidewand zwischen diesen
Staaten, die vom Schicksal und von der Natur aufeinander angewiesen sind.
Und wenn dann schließlich der Hunger die Völker zwingt, zu derjenigen Arbeits¬
methode zurückzukehren, die am geeignetsten ist, die Produktion zu steigern
und neue Werte zu schaffen, dann werden Rußland und Deutschland gleich¬
zeitig, sich aufeinander stützend, sich emporringen. Damit wird dann diejenige
unbesiegbare politische Kombination gegeben sein, die immer so nahe lag und
immer so künstlich verhindert wurde ... Diese schwache Hoffnung soll uns wie
ein ferner Stern blinken bei unserem dunklen Abstieg.
Den Deutschen ins Stammbuch
Das Muster einer französischen Chauvinistenzeitung ist die rohalistische
^etiou trAllsaisö, einer der ärgsten Deutschenfeinde, zugleich einer der rührigsten,
und in Verbindung mit seinen Freunden und Mitarbeitern Charles Maurras und
Jaques Bainville auch einer der weitsichtigsten, ist L6on Daudet. Dieser schreibt
w seinem Blatt: „Ich gestehe, daß ich jeden Morgen mit Wonne die Zahl der
in deutschen Nevolutionskänwfen umgekommenen Deutschen lese. Ich glaube kein
schlechter Mensch zu sein/ aber je mehr es drüben beim Erbfeind brennt, je mehr
Ulan sich totschlägt, desto zufriedener bin ich. Mein Ideal wäre, daß sich jenseits
des Rheines jetzt ein oder zwei Jahrhunderte lang 30 Millionen deutscher Reaktio¬
näre mit 30 Millionen deutscher Revolutionären in den Haaren liegen, sich
abschlachten, sich mit großen und kleinen Geschützen bombardieren und im Namen
von Luther, Spartakus, Wilhelm II., Roste, Wagner, Nietzsche, Lettow - Vorbeck,
Ludendorff in Moabit, Charlottenburg, München, Dresden, Stettin, Nürnberg
Feuer anlegen und sich gegenseitig auffressen. Unordnung in Deutschland, Ord¬
nung in Frankreich, das ist trotz Wilson das einzige Programm des Heils."
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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/309>, abgerufen am 23.01.2025.
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