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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Das Problem des praktischen Bolschewismus

flüsterungen der Entente nachgaben und sich von der letzteren für eigene Rechnung
und mit eigener Kraft im Interesse der Ententekapitalisten zur Intervention
mißbrauchen ließen. Estland sowohl als Lettland und Polen haben infolge
ihrer Kriegslasten jetzt so schwer mit der Unterproduktion zu kämpfen, daß es
sehr fraglich ist, ob sie nicht demnächst zum Bolschewismus übergehen müssen.
Die Ukraine tut es bereits.

Nun wollte Lloyd George es mit der Handelsintervention versuchen.
Das ist ein ebenso kaltblütiger Verrat des Bürgertums in Rußland, wie auch
Koltschak und die Judenitscharmee verraten wurden. Denn anders als Verrat
können wir diese Blockade des Bürgertums und der Landwirtschaft kaum auf¬
fassen. Bis jetzt wurde das Räterußland blockiert. Jetzt soll dasselbe mit dem
produzierenden Rußland versucht werden, indem die gesamte Ein- und Aus¬
fuhr vertragsmäßig in die Hände der Räteregierung gelegt werden soll.
Letztere erhält dadurch ein wirksames Instrument, um damit die letzten
Vorräte aus der Landwirtschaft herauszuziehen. Ein direkter Verkehr mit
dem Verbände der Genossenschaften, also mit den Produzierenden,^ war ja
nicht zu erreichen.

Wird aber dieser Verrat Westeuropas an den produzierenden Klassen
Rußlands die Entente wenigstens zum Ziele führen?

Es kommt darauf an, welches Ziel die Entente im Auge hat. Hat England
es nur auf die Goldvorräte Rußlands abgesehen, will es sich also an der russischen
Raubwirtschaft beteiligen, so wird es gewiß zum Ziele kommen.

Hofft,die Entente dagegen auf die russischen Rohstoffe, so wird sie kaum
ihre Rechnung finden. Auch die Rohstoffe müssen immerhin gewonnen und
heraustransportiert werden. Es müssen also die gewinnende Arbeit und das
Transportwesen neu organisiert werden. Das ist ohne weitgehenden Kredit
nicht möglich. Aber für einen solchen Kredit wird die Entente angesichts der
ungeordneten Verhältnisse in Rußland schwer zu haben sein. Der ganze Handel
wird sich auf einen Austausch von Waren in den Hafenstädten beschränken;
und davon wird der Kohl kaum fett werden.

Hat aber Lloyd George den Hintergedanken, durch das Handelsmonopol
der Räteregierung letztere zu einem Exekutivbeamten der Entente umzuschaffen,
d. h. glaubt er, daß die Räteregierung durch eine Verstärkung ihrer Macht über
die produzierenden Klassen Rußlands in eine der Entente gefällige Beamten¬
diktatur umgewandelt werden kann, durch welche dann Rußland ausgenutzt
werden kann (etwa wie bis jetzt Lettland), -- ich meine: hat Lloyd George diesen
Hintergedanken, so kann er sein blaues Wunder erleben. Zwar ist es nicht aus¬
geschlossen, daß die Räteregierung sich von der Arbeiterschaft und von der Armee
ganz abschnürt und zu einer diktatorischen Beamtenschaft auswächst; sie ist schon
auf dem Wege dahin. Doch sie ist im Verhältnis zur Einwohnerzahl und zur
Raumfläche Rußlands so verschwindend klein und dabei mit jüdischen Elementen
so stark durchsetzt, daß der Tag kommen muß, wo die aus dem Bolschewismus
hervorgegangene Beamtendiktatur von einer grandiosen Judenhetze verschlungen
wird. Mit seinem etwaigen Handelsvertrag setzt Lloyd George die Räte¬
regierung allerdings auf ein Pulverfaß. Wenn sie aber auffliegt, dann fliegt
die ganze Judenschaft Rußlands mit in die Luft.


Das Problem des praktischen Bolschewismus

flüsterungen der Entente nachgaben und sich von der letzteren für eigene Rechnung
und mit eigener Kraft im Interesse der Ententekapitalisten zur Intervention
mißbrauchen ließen. Estland sowohl als Lettland und Polen haben infolge
ihrer Kriegslasten jetzt so schwer mit der Unterproduktion zu kämpfen, daß es
sehr fraglich ist, ob sie nicht demnächst zum Bolschewismus übergehen müssen.
Die Ukraine tut es bereits.

Nun wollte Lloyd George es mit der Handelsintervention versuchen.
Das ist ein ebenso kaltblütiger Verrat des Bürgertums in Rußland, wie auch
Koltschak und die Judenitscharmee verraten wurden. Denn anders als Verrat
können wir diese Blockade des Bürgertums und der Landwirtschaft kaum auf¬
fassen. Bis jetzt wurde das Räterußland blockiert. Jetzt soll dasselbe mit dem
produzierenden Rußland versucht werden, indem die gesamte Ein- und Aus¬
fuhr vertragsmäßig in die Hände der Räteregierung gelegt werden soll.
Letztere erhält dadurch ein wirksames Instrument, um damit die letzten
Vorräte aus der Landwirtschaft herauszuziehen. Ein direkter Verkehr mit
dem Verbände der Genossenschaften, also mit den Produzierenden,^ war ja
nicht zu erreichen.

Wird aber dieser Verrat Westeuropas an den produzierenden Klassen
Rußlands die Entente wenigstens zum Ziele führen?

Es kommt darauf an, welches Ziel die Entente im Auge hat. Hat England
es nur auf die Goldvorräte Rußlands abgesehen, will es sich also an der russischen
Raubwirtschaft beteiligen, so wird es gewiß zum Ziele kommen.

Hofft,die Entente dagegen auf die russischen Rohstoffe, so wird sie kaum
ihre Rechnung finden. Auch die Rohstoffe müssen immerhin gewonnen und
heraustransportiert werden. Es müssen also die gewinnende Arbeit und das
Transportwesen neu organisiert werden. Das ist ohne weitgehenden Kredit
nicht möglich. Aber für einen solchen Kredit wird die Entente angesichts der
ungeordneten Verhältnisse in Rußland schwer zu haben sein. Der ganze Handel
wird sich auf einen Austausch von Waren in den Hafenstädten beschränken;
und davon wird der Kohl kaum fett werden.

Hat aber Lloyd George den Hintergedanken, durch das Handelsmonopol
der Räteregierung letztere zu einem Exekutivbeamten der Entente umzuschaffen,
d. h. glaubt er, daß die Räteregierung durch eine Verstärkung ihrer Macht über
die produzierenden Klassen Rußlands in eine der Entente gefällige Beamten¬
diktatur umgewandelt werden kann, durch welche dann Rußland ausgenutzt
werden kann (etwa wie bis jetzt Lettland), — ich meine: hat Lloyd George diesen
Hintergedanken, so kann er sein blaues Wunder erleben. Zwar ist es nicht aus¬
geschlossen, daß die Räteregierung sich von der Arbeiterschaft und von der Armee
ganz abschnürt und zu einer diktatorischen Beamtenschaft auswächst; sie ist schon
auf dem Wege dahin. Doch sie ist im Verhältnis zur Einwohnerzahl und zur
Raumfläche Rußlands so verschwindend klein und dabei mit jüdischen Elementen
so stark durchsetzt, daß der Tag kommen muß, wo die aus dem Bolschewismus
hervorgegangene Beamtendiktatur von einer grandiosen Judenhetze verschlungen
wird. Mit seinem etwaigen Handelsvertrag setzt Lloyd George die Räte¬
regierung allerdings auf ein Pulverfaß. Wenn sie aber auffliegt, dann fliegt
die ganze Judenschaft Rußlands mit in die Luft.


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[0305] Das Problem des praktischen Bolschewismus flüsterungen der Entente nachgaben und sich von der letzteren für eigene Rechnung und mit eigener Kraft im Interesse der Ententekapitalisten zur Intervention mißbrauchen ließen. Estland sowohl als Lettland und Polen haben infolge ihrer Kriegslasten jetzt so schwer mit der Unterproduktion zu kämpfen, daß es sehr fraglich ist, ob sie nicht demnächst zum Bolschewismus übergehen müssen. Die Ukraine tut es bereits. Nun wollte Lloyd George es mit der Handelsintervention versuchen. Das ist ein ebenso kaltblütiger Verrat des Bürgertums in Rußland, wie auch Koltschak und die Judenitscharmee verraten wurden. Denn anders als Verrat können wir diese Blockade des Bürgertums und der Landwirtschaft kaum auf¬ fassen. Bis jetzt wurde das Räterußland blockiert. Jetzt soll dasselbe mit dem produzierenden Rußland versucht werden, indem die gesamte Ein- und Aus¬ fuhr vertragsmäßig in die Hände der Räteregierung gelegt werden soll. Letztere erhält dadurch ein wirksames Instrument, um damit die letzten Vorräte aus der Landwirtschaft herauszuziehen. Ein direkter Verkehr mit dem Verbände der Genossenschaften, also mit den Produzierenden,^ war ja nicht zu erreichen. Wird aber dieser Verrat Westeuropas an den produzierenden Klassen Rußlands die Entente wenigstens zum Ziele führen? Es kommt darauf an, welches Ziel die Entente im Auge hat. Hat England es nur auf die Goldvorräte Rußlands abgesehen, will es sich also an der russischen Raubwirtschaft beteiligen, so wird es gewiß zum Ziele kommen. Hofft,die Entente dagegen auf die russischen Rohstoffe, so wird sie kaum ihre Rechnung finden. Auch die Rohstoffe müssen immerhin gewonnen und heraustransportiert werden. Es müssen also die gewinnende Arbeit und das Transportwesen neu organisiert werden. Das ist ohne weitgehenden Kredit nicht möglich. Aber für einen solchen Kredit wird die Entente angesichts der ungeordneten Verhältnisse in Rußland schwer zu haben sein. Der ganze Handel wird sich auf einen Austausch von Waren in den Hafenstädten beschränken; und davon wird der Kohl kaum fett werden. Hat aber Lloyd George den Hintergedanken, durch das Handelsmonopol der Räteregierung letztere zu einem Exekutivbeamten der Entente umzuschaffen, d. h. glaubt er, daß die Räteregierung durch eine Verstärkung ihrer Macht über die produzierenden Klassen Rußlands in eine der Entente gefällige Beamten¬ diktatur umgewandelt werden kann, durch welche dann Rußland ausgenutzt werden kann (etwa wie bis jetzt Lettland), — ich meine: hat Lloyd George diesen Hintergedanken, so kann er sein blaues Wunder erleben. Zwar ist es nicht aus¬ geschlossen, daß die Räteregierung sich von der Arbeiterschaft und von der Armee ganz abschnürt und zu einer diktatorischen Beamtenschaft auswächst; sie ist schon auf dem Wege dahin. Doch sie ist im Verhältnis zur Einwohnerzahl und zur Raumfläche Rußlands so verschwindend klein und dabei mit jüdischen Elementen so stark durchsetzt, daß der Tag kommen muß, wo die aus dem Bolschewismus hervorgegangene Beamtendiktatur von einer grandiosen Judenhetze verschlungen wird. Mit seinem etwaigen Handelsvertrag setzt Lloyd George die Räte¬ regierung allerdings auf ein Pulverfaß. Wenn sie aber auffliegt, dann fliegt die ganze Judenschaft Rußlands mit in die Luft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/305>, abgerufen am 22.07.2024.