Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.Neue Lyrik "Nachzügler einer vollendeten Lyrik", die er nun allerdings meisterhaft zu charakteri¬ Was sich uns hier darstellt, ist eine Dichtung der dem Ende nahen Dekadenz, Vor sechs Jahren starb, durch das Erlebnis des Krieges zerbrochen, lo Droem hat weder Melodie noch Farbe. Seine Sprache ist, genau wie ti Neue Lyrik „Nachzügler einer vollendeten Lyrik", die er nun allerdings meisterhaft zu charakteri¬ Was sich uns hier darstellt, ist eine Dichtung der dem Ende nahen Dekadenz, Vor sechs Jahren starb, durch das Erlebnis des Krieges zerbrochen, lo Droem hat weder Melodie noch Farbe. Seine Sprache ist, genau wie ti <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0244" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337885"/> <fw type="header" place="top"> Neue Lyrik</fw><lb/> <p xml:id="ID_879" prev="#ID_878"> „Nachzügler einer vollendeten Lyrik", die er nun allerdings meisterhaft zu charakteri¬<lb/> sieren versteht und als dessen Vertreter er Baudelaire, Verlaine, George und DroeM<lb/> anführt, obwohl seine Charakteristik ausschließlich auf den letztgenannten zutrifft-<lb/> Es lohnt nicht auszuführen, wie ungeheuerlich diese Zusammenstellung von Dichtern<lb/> ist, deren Gemeinsames ausschließlich ein äußerstes Stilgefühl ist, während die Stil¬<lb/> formen, in denen sie sich bewegen, bei jedem von ihnen vollkommen eigenartig und<lb/> nahezu unvergleichbar sind. Einige Sätze von Spengler können wir der Betrachtung<lb/> der Droemschen Verse voranstellen, da sie das Wesen derselben'auf das genaueste<lb/> kennzeichnen: „Hinter dieser Natur wie hinter einer Maske liegt eine zweite, in<lb/> welcher diese verirrte und verschlagene Seele über die Welt dieser Tage siegt. Jene<lb/> immer wieder erreichte, oft in ein Bild von wenigen Worten, oft in eine kurze und<lb/> leicht zu übersehende Wendung gefaßte Höhe der Entrücktheit ist es, in der zuletzt<lb/> alles Eigene sich löst ... und in der Unbewußtes sich mit Außerbewußtem völlig<lb/> vereint..."</p><lb/> <p xml:id="ID_880"> Was sich uns hier darstellt, ist eine Dichtung der dem Ende nahen Dekadenz,<lb/> ja Droem ist geradezu der Dichter der Dekadenz, oder besser der besonderen,<lb/> typischen Ausprägung, die sie in Deutschland erfahren konnte. Es ist die Dekadenz<lb/> des deutschen Spießers, die nicht einmal mehr zum Schrei der Verzweiflung, Zuw<lb/> freiwilligen Ende lebendig genug ist, sondern sich in völliger Laschheit und<lb/> Trägheit und Verschlammtheit dem Nichts entgegenschwemmen läßt, versunken im<lb/> Dunst einer leblosen und gottlosen Mystik. Darum sind diese Verse kultur- und<lb/> zeitpsychologisch ungeheuer interessant, — nur nicht, wie Spengler meint, als Aus¬<lb/> druck der Zeit überhaupt, sondern als das Lallen einiger lebensunfähiger Zeit"<lb/> genossen, deren Grundstimmung Beschaulichkeit gegenüber der eigenen Verwesung ist-</p><lb/> <p xml:id="ID_881"> Vor sechs Jahren starb, durch das Erlebnis des Krieges zerbrochen, lo<lb/> Garnisonsspital zu Krakau der Dichter Georg Trakl. Auch sein Werk spiegelt den<lb/> Verfall, das Vergehen und Verrinnen, den Herbst der Dinge und der Seele. Aber<lb/> mit welcher Inbrunst der Seele sind seine Verse erfüllt, welch letzter Adel der Form<lb/> umkleidet sie, wie sind sie durchleuchtet und durchglüht von der „heißen Flamme<lb/> des Geistes"! Eine seiner Dichtungen heißt „Offenbarung und Untergang"; noch^<lb/> der Dichter untergehen, die Offenbarung bleibt uns und vergeht nicht, die Offen"<lb/> barung einer reifen und erfüllten Jugend. Im Hinblick auf Trakls Dichtung gewinnt<lb/> das meist unnütze Schlagwort „expressionistisch" einen deutlichen Sinn: es geung<lb/> ihr, das Leben der Landschaft und das Leben der in derselben schauend verweilenden<lb/> Seele in eins zu setzen und für die so gewonnene Einheit naturhaften und geistig'<lb/> persönlichen Daseins eine lyrische Form zu finden, die der gewachsene Leib, nieh<lb/> ein erborgtes Gewand jenes Einheitserlebnisses ist. Unbeschreiblich ist die Süße »N^<lb/> Fülle seiner Melodie, der Glanz seiner Farben.</p><lb/> <p xml:id="ID_882" next="#ID_883"> Droem hat weder Melodie noch Farbe. Seine Sprache ist, genau wie ti<lb/> Spenglers, das sang- und klangloseste Deutsch, das man sich denken kann, die Fa^<lb/> seiner Verse ist die der Nacht, nicht jener Nacht, „in deren Glut neue, wahre Ding^<lb/> erstrahlen", sondern der langweiligen, spießbürgerlichen Nacht, in der alle Ko^en<lb/> grau sind. Die gewollte, ja raffinierte Banalität seiner Strophen, die ZuchtlosiM<lb/> seiner Rhythmik, das Geleier seiner Reime ist unerträglich. Ein Gedicht ist von de<lb/> gleichen Monotonie wie das andere, und wenn man bloße Eintönigkeit Stil nenne<lb/> könnte, so wäre hier ein Stil erreicht. Ältere Formen, an die er anknüpft, sind scM</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0244]
Neue Lyrik
„Nachzügler einer vollendeten Lyrik", die er nun allerdings meisterhaft zu charakteri¬
sieren versteht und als dessen Vertreter er Baudelaire, Verlaine, George und DroeM
anführt, obwohl seine Charakteristik ausschließlich auf den letztgenannten zutrifft-
Es lohnt nicht auszuführen, wie ungeheuerlich diese Zusammenstellung von Dichtern
ist, deren Gemeinsames ausschließlich ein äußerstes Stilgefühl ist, während die Stil¬
formen, in denen sie sich bewegen, bei jedem von ihnen vollkommen eigenartig und
nahezu unvergleichbar sind. Einige Sätze von Spengler können wir der Betrachtung
der Droemschen Verse voranstellen, da sie das Wesen derselben'auf das genaueste
kennzeichnen: „Hinter dieser Natur wie hinter einer Maske liegt eine zweite, in
welcher diese verirrte und verschlagene Seele über die Welt dieser Tage siegt. Jene
immer wieder erreichte, oft in ein Bild von wenigen Worten, oft in eine kurze und
leicht zu übersehende Wendung gefaßte Höhe der Entrücktheit ist es, in der zuletzt
alles Eigene sich löst ... und in der Unbewußtes sich mit Außerbewußtem völlig
vereint..."
Was sich uns hier darstellt, ist eine Dichtung der dem Ende nahen Dekadenz,
ja Droem ist geradezu der Dichter der Dekadenz, oder besser der besonderen,
typischen Ausprägung, die sie in Deutschland erfahren konnte. Es ist die Dekadenz
des deutschen Spießers, die nicht einmal mehr zum Schrei der Verzweiflung, Zuw
freiwilligen Ende lebendig genug ist, sondern sich in völliger Laschheit und
Trägheit und Verschlammtheit dem Nichts entgegenschwemmen läßt, versunken im
Dunst einer leblosen und gottlosen Mystik. Darum sind diese Verse kultur- und
zeitpsychologisch ungeheuer interessant, — nur nicht, wie Spengler meint, als Aus¬
druck der Zeit überhaupt, sondern als das Lallen einiger lebensunfähiger Zeit"
genossen, deren Grundstimmung Beschaulichkeit gegenüber der eigenen Verwesung ist-
Vor sechs Jahren starb, durch das Erlebnis des Krieges zerbrochen, lo
Garnisonsspital zu Krakau der Dichter Georg Trakl. Auch sein Werk spiegelt den
Verfall, das Vergehen und Verrinnen, den Herbst der Dinge und der Seele. Aber
mit welcher Inbrunst der Seele sind seine Verse erfüllt, welch letzter Adel der Form
umkleidet sie, wie sind sie durchleuchtet und durchglüht von der „heißen Flamme
des Geistes"! Eine seiner Dichtungen heißt „Offenbarung und Untergang"; noch^
der Dichter untergehen, die Offenbarung bleibt uns und vergeht nicht, die Offen"
barung einer reifen und erfüllten Jugend. Im Hinblick auf Trakls Dichtung gewinnt
das meist unnütze Schlagwort „expressionistisch" einen deutlichen Sinn: es geung
ihr, das Leben der Landschaft und das Leben der in derselben schauend verweilenden
Seele in eins zu setzen und für die so gewonnene Einheit naturhaften und geistig'
persönlichen Daseins eine lyrische Form zu finden, die der gewachsene Leib, nieh
ein erborgtes Gewand jenes Einheitserlebnisses ist. Unbeschreiblich ist die Süße »N^
Fülle seiner Melodie, der Glanz seiner Farben.
Droem hat weder Melodie noch Farbe. Seine Sprache ist, genau wie ti
Spenglers, das sang- und klangloseste Deutsch, das man sich denken kann, die Fa^
seiner Verse ist die der Nacht, nicht jener Nacht, „in deren Glut neue, wahre Ding^
erstrahlen", sondern der langweiligen, spießbürgerlichen Nacht, in der alle Ko^en
grau sind. Die gewollte, ja raffinierte Banalität seiner Strophen, die ZuchtlosiM
seiner Rhythmik, das Geleier seiner Reime ist unerträglich. Ein Gedicht ist von de
gleichen Monotonie wie das andere, und wenn man bloße Eintönigkeit Stil nenne
könnte, so wäre hier ein Stil erreicht. Ältere Formen, an die er anknüpft, sind scM
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |