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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

Luzern, den 26. Januar 1916.

Man wünscht in Berlin die Ansicht meines vatikanischen Gewährsmannes
über die Wirkung zu hören, die die Freigabe der Erörterung der Friedensziele
durch die deutsche Presse im Auslande machen würde, und man wünscht weiters
über den Stand der Friedensströmungen in den Ländern des Vierverbandes
unterrichtet zu werden. Mein Gewährsmann warnt mit allem Nachdruck vor
der Freigabe der Erörterung der Friedensziele, da der Vierverband aus dieser
Maßregel nicht das Bewußtsein der Sicherheit, die uns als beati possiäentös
beseelt, herauslesen, sondern sie lediglich als Zeichen der Schwäche deuten
würde. Außerdem, und damit dürfte er Recht haben, könnte dieser Schritt nur
als Kitt oder besser gesagt Zement für die Entente wirken, deren ohnehin schon
künstlich genug konstruiertes Gebäude eine Menge Risse aufweist. Wie wir
hier hören, ist man in Berlin zur Zeit mehr als je auf den Frieden erpicht. Zu
bedauern ist nur, daß man dies auch im Ausland merkt, und zwar mehr, als
unserem Prestige nützlich ist. Ich hatte neulich Gelegenheit, einer in ziemlich
ungeniertem Ton geführten Unterhaltung österreichischer Diplomaten anzu¬
wohnen und konnte mich nicht genug wundern, wie genau man in diesen Kreisen
über die Tastversuche Berlins unterrichtet scheint. Ich trage daher auch nach¬
gerade Bedeuten, meine Freunde beständig für Fragen zu interessieren, die mehr
und weniger unser Friedensbedürfnis zeigen und uns, die wir militärisch so
stolz und stark dastehen, politisch auf das Niveau einer alten Jungfer Herab¬
drücken, die, von Torschlußpanik befallen, nicht deutlich genug verraten zu
können glaubt, wie sehr ihr Sinn nach dem Standesamt, hier nach dem Friedens¬
protokoll drängt. Was die Sache mißlich macht, ist, daß man in Österreich-
Ungarn, und zwar nicht etwa in politischen Klubs, sondern in Regierungs¬
kreisen diese Friedenssehnsucht mit dem Ergebnis unserer letzten Ernte und mit
den schlechten Aussichten erklären will, die die nächste Ernte angesichts der
anormalen Witterungsverhältnisse dieses Jahres verspreche. Ich bin hier selbst¬
verständlich nicht in der Lage, die Richtigkeit dieser Annahmen nachzuprüfen.
Sie bestehen aber, und es ist jedenfalls charakteristisch sür unsere Verbündeten,
daß sie uns so genau auf die Finger sehen.




Zürich, den 2, Februar 1916,

Die Fäden, die von Konstantinopel aus früher nach dem Großorient Paris
gingen, waren, wie bekannt, sehr zahlreich und eng geknüpfte und sie sind auch nach
Ausbruch des Krieges, wie die Anlage ersehen läßt, nicht ganz abgerissen. In¬
wieweit dies für die deutsche Politik Anlaß zu einer gewissen Vorsicht werden kann,
vermag ich vo" hier aus nicht zu beurteilen; soviel aber scheint mir auf Grund
meiner Informationen festzustehen, daß die leitenden Kreise der Türkei sich mehr
und mehr zu fühlen beginnen, und daß sie im stillen den Tag herbeisehnen, an dem
sie den deutschen Lehrmeister auf gute Art anbringen können. Vom Standpunkt der
Würdigung der großen internationalen Zusammenhänge der Loge ist auch dieses
heutige Türkenkapitel ein wertvoller Beitrag, da es zeigt, daß die Freimauerei mit
Geschick selbst in Ländern, in denen für sie angesichts religiöser oder politischer


Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

Luzern, den 26. Januar 1916.

Man wünscht in Berlin die Ansicht meines vatikanischen Gewährsmannes
über die Wirkung zu hören, die die Freigabe der Erörterung der Friedensziele
durch die deutsche Presse im Auslande machen würde, und man wünscht weiters
über den Stand der Friedensströmungen in den Ländern des Vierverbandes
unterrichtet zu werden. Mein Gewährsmann warnt mit allem Nachdruck vor
der Freigabe der Erörterung der Friedensziele, da der Vierverband aus dieser
Maßregel nicht das Bewußtsein der Sicherheit, die uns als beati possiäentös
beseelt, herauslesen, sondern sie lediglich als Zeichen der Schwäche deuten
würde. Außerdem, und damit dürfte er Recht haben, könnte dieser Schritt nur
als Kitt oder besser gesagt Zement für die Entente wirken, deren ohnehin schon
künstlich genug konstruiertes Gebäude eine Menge Risse aufweist. Wie wir
hier hören, ist man in Berlin zur Zeit mehr als je auf den Frieden erpicht. Zu
bedauern ist nur, daß man dies auch im Ausland merkt, und zwar mehr, als
unserem Prestige nützlich ist. Ich hatte neulich Gelegenheit, einer in ziemlich
ungeniertem Ton geführten Unterhaltung österreichischer Diplomaten anzu¬
wohnen und konnte mich nicht genug wundern, wie genau man in diesen Kreisen
über die Tastversuche Berlins unterrichtet scheint. Ich trage daher auch nach¬
gerade Bedeuten, meine Freunde beständig für Fragen zu interessieren, die mehr
und weniger unser Friedensbedürfnis zeigen und uns, die wir militärisch so
stolz und stark dastehen, politisch auf das Niveau einer alten Jungfer Herab¬
drücken, die, von Torschlußpanik befallen, nicht deutlich genug verraten zu
können glaubt, wie sehr ihr Sinn nach dem Standesamt, hier nach dem Friedens¬
protokoll drängt. Was die Sache mißlich macht, ist, daß man in Österreich-
Ungarn, und zwar nicht etwa in politischen Klubs, sondern in Regierungs¬
kreisen diese Friedenssehnsucht mit dem Ergebnis unserer letzten Ernte und mit
den schlechten Aussichten erklären will, die die nächste Ernte angesichts der
anormalen Witterungsverhältnisse dieses Jahres verspreche. Ich bin hier selbst¬
verständlich nicht in der Lage, die Richtigkeit dieser Annahmen nachzuprüfen.
Sie bestehen aber, und es ist jedenfalls charakteristisch sür unsere Verbündeten,
daß sie uns so genau auf die Finger sehen.




Zürich, den 2, Februar 1916,

Die Fäden, die von Konstantinopel aus früher nach dem Großorient Paris
gingen, waren, wie bekannt, sehr zahlreich und eng geknüpfte und sie sind auch nach
Ausbruch des Krieges, wie die Anlage ersehen läßt, nicht ganz abgerissen. In¬
wieweit dies für die deutsche Politik Anlaß zu einer gewissen Vorsicht werden kann,
vermag ich vo« hier aus nicht zu beurteilen; soviel aber scheint mir auf Grund
meiner Informationen festzustehen, daß die leitenden Kreise der Türkei sich mehr
und mehr zu fühlen beginnen, und daß sie im stillen den Tag herbeisehnen, an dem
sie den deutschen Lehrmeister auf gute Art anbringen können. Vom Standpunkt der
Würdigung der großen internationalen Zusammenhänge der Loge ist auch dieses
heutige Türkenkapitel ein wertvoller Beitrag, da es zeigt, daß die Freimauerei mit
Geschick selbst in Ländern, in denen für sie angesichts religiöser oder politischer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/22>, abgerufen am 22.07.2024.