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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Dabei ist zu bedenken, daß wir im vorigen Jahre auch noch gewisse Warenreserven
hatten, fast keine Kohlen für die Seeschiffahrt brauchten; heute aber braucht letztere
ebenso wie die Textilindustrie dringend Kohlen, um allmählich wieder in Betrieb
zu kommen. Der Bedarf ist also gestiegen, das Angebot vermindert. Wenn ich an¬
nehme, daß eine Tonne Kohlen im neutralen Ausland etwa 1200 Wert hat, und
die aus ihr produzierte Ware durchschnittlich das Zweieinhalbfache, wenn ich also
annehme, daß durch den Ausfall von 900 000 Tonnen Kohlen ein Warenausfall von
3000 X 900 000 entsteht, so bedeutet das für uns einen monatlichen Waren¬
ausfall von 2,7 Milliarden, also ungefähr die Hälfte unserer gegenwärtigen Aus¬
fuhr, die sich, nachdem das Kohlenabkommen getroffen war, dank der Mehrförderung
seit Februar bis Mai d. I. auf 4,5 bis 5,5 Milliarden monatlich gestellt hat. Das,
was übrig bleibt, wird nicht im entferntesten ausreichen, um die fehlenden Lebens¬
mittel, Rohstoffe und sonstigen Unentbehrlichkeiten zu decken. Unserer Industrie
werden, da von der Jnlandsförderung von rund 10 bis 10,5 Millionen Tonnen für
gewisse Exporte, für Gasanstalten, Eisenbahnen, Elektrizitätswerke usw. über die
Hälfte abgeht, nur etwa 4,9 Millionen Tonnen zur Verfügung stehen, vielleicht
auch nur 3,9 Millionen Tonnen. Im vorigen Winter ist, nach den Ziffern von 1913
zu rechnen, infolge von Verkehrsstörungen die Belieferung und Versorgung der
deutschen Industrie mit Kohlen auf 54 Prozent zurückgegangen. Dieser Rückgang
wurde damals schon als eine Katastrophe sondergleichen empfunden, und diese Er¬
wägungen haben die Sachverständigen in Spa auch veranlaßt, nicht immer wieder
Nachgiebigkeit zu zeigen, sondern bis zuletzt hinsichtlich der Unterzeichnung des
Lieferungsvertrages die deutschen Interessen zu wahren.

Es darf nicht übersehen werden, daß auch die Versorgung Frankreichs und
Italiens mit Kohle sehr ernst, ja geradezu unhaltbar schlecht ist. Aber man muß
den großen Unterschied feststellen, daß bei uns die Mehrproduktion dazu dient, die
Kohlenförderung nicht bloß im Gang zu halten, sondern vor allen Dingen auch
weiter zu entwickeln, damit diese Zustände eine Verbesserung in Deutschland und
somit auch in Europa erfahren können. England hatte einen Ausfall an Export von
Kohlen von etwa 70 Millionen Tonnen. Dieser Ausfall beträgt sogar neuerdings
120 Millionen Tonnen. In Amerika herrscht ebenfalls eine so große Kohlennot,
daß in absehbarer Zeit mit einem Kohlenausfuhrverbot zu rechnen ist. Von Amerika
kann Europa daher keine Hilfe erwarten. Amerika befindet sich heute in einem Zu¬
stande größter Kohlen- und Transportkalamität, und die Verhältnisse auf dem ameri¬
kanischen Kohlenmarkt sind katastrophal geworden. Man braucht nur die Preise für
amerikanische Ausfuhrkohle zu betrachten, die auf 20 Dollar pro Tonne gestiegen
sind gegen 7 bis 8 Dollar vor etwa 3 bis 4 Monaten.

Nun hat es schließlich keinen Zweck, bei all diesen Fragen nach der Schuld
zu suchen. Das Kohlenabkommen ist geschlossen worden, und man wird sich vor
allem vor Augen halten müssen, was in der Kohlenfrage geschehen kann und soll,
um aus dieser Situation nach Möglichkeit anständig herauszukommen. Ich habe bis
zuletzt den Standpunkt vertreten, daß man nicht Zusagen machen sollte, die man
nicht halten kann. Es ist meines Erachtens kaum möglich, daß wir die Kohlen¬
lieferungen in der verlangten Form durchführen können, und ich glaube, daß im
November dieses Jahres unter weit schwierigeren Winterverhältnissen, die die Er¬
füllung der übernommenen Verpflichtungen erschweren, die Frage der Kohlen¬
lieferung und die des Einrückens ins Ruhrrevier akut werden wird. Für die deutsche
Volkswirtschaft ist das Kohlenabkommen unerträglich; die deutsche Kohlenindustrie
ist dabei erst in letzter Linie leidtragend. Es ist in Ententekreisen gesagt worden,
daß bei einer Besetzung des Ruhrreviers noch mehr als zwei Millionen Tonnen
Kohle für die Entente freigemacht werden könnten. Das dürfte allerdings transport¬
technisch unmöglich sein. Es ist schon in Spa bezweifelt worden, daß zwei Millionen
Tonnen überhaupt an die Entente abgeliefert werden könnten, daß aber gar eine
andere Ziffer in Frage käme, ist gänzlich ausgeschlossen. Viele Sachverständige,
auch Sachverständige des Kohlensyndikats, sind derselben Meinung.

Es gibt nur ein Mittel zur Verbesserung unserer Situation und das liegt in


Reichsspiegel

Dabei ist zu bedenken, daß wir im vorigen Jahre auch noch gewisse Warenreserven
hatten, fast keine Kohlen für die Seeschiffahrt brauchten; heute aber braucht letztere
ebenso wie die Textilindustrie dringend Kohlen, um allmählich wieder in Betrieb
zu kommen. Der Bedarf ist also gestiegen, das Angebot vermindert. Wenn ich an¬
nehme, daß eine Tonne Kohlen im neutralen Ausland etwa 1200 Wert hat, und
die aus ihr produzierte Ware durchschnittlich das Zweieinhalbfache, wenn ich also
annehme, daß durch den Ausfall von 900 000 Tonnen Kohlen ein Warenausfall von
3000 X 900 000 entsteht, so bedeutet das für uns einen monatlichen Waren¬
ausfall von 2,7 Milliarden, also ungefähr die Hälfte unserer gegenwärtigen Aus¬
fuhr, die sich, nachdem das Kohlenabkommen getroffen war, dank der Mehrförderung
seit Februar bis Mai d. I. auf 4,5 bis 5,5 Milliarden monatlich gestellt hat. Das,
was übrig bleibt, wird nicht im entferntesten ausreichen, um die fehlenden Lebens¬
mittel, Rohstoffe und sonstigen Unentbehrlichkeiten zu decken. Unserer Industrie
werden, da von der Jnlandsförderung von rund 10 bis 10,5 Millionen Tonnen für
gewisse Exporte, für Gasanstalten, Eisenbahnen, Elektrizitätswerke usw. über die
Hälfte abgeht, nur etwa 4,9 Millionen Tonnen zur Verfügung stehen, vielleicht
auch nur 3,9 Millionen Tonnen. Im vorigen Winter ist, nach den Ziffern von 1913
zu rechnen, infolge von Verkehrsstörungen die Belieferung und Versorgung der
deutschen Industrie mit Kohlen auf 54 Prozent zurückgegangen. Dieser Rückgang
wurde damals schon als eine Katastrophe sondergleichen empfunden, und diese Er¬
wägungen haben die Sachverständigen in Spa auch veranlaßt, nicht immer wieder
Nachgiebigkeit zu zeigen, sondern bis zuletzt hinsichtlich der Unterzeichnung des
Lieferungsvertrages die deutschen Interessen zu wahren.

Es darf nicht übersehen werden, daß auch die Versorgung Frankreichs und
Italiens mit Kohle sehr ernst, ja geradezu unhaltbar schlecht ist. Aber man muß
den großen Unterschied feststellen, daß bei uns die Mehrproduktion dazu dient, die
Kohlenförderung nicht bloß im Gang zu halten, sondern vor allen Dingen auch
weiter zu entwickeln, damit diese Zustände eine Verbesserung in Deutschland und
somit auch in Europa erfahren können. England hatte einen Ausfall an Export von
Kohlen von etwa 70 Millionen Tonnen. Dieser Ausfall beträgt sogar neuerdings
120 Millionen Tonnen. In Amerika herrscht ebenfalls eine so große Kohlennot,
daß in absehbarer Zeit mit einem Kohlenausfuhrverbot zu rechnen ist. Von Amerika
kann Europa daher keine Hilfe erwarten. Amerika befindet sich heute in einem Zu¬
stande größter Kohlen- und Transportkalamität, und die Verhältnisse auf dem ameri¬
kanischen Kohlenmarkt sind katastrophal geworden. Man braucht nur die Preise für
amerikanische Ausfuhrkohle zu betrachten, die auf 20 Dollar pro Tonne gestiegen
sind gegen 7 bis 8 Dollar vor etwa 3 bis 4 Monaten.

Nun hat es schließlich keinen Zweck, bei all diesen Fragen nach der Schuld
zu suchen. Das Kohlenabkommen ist geschlossen worden, und man wird sich vor
allem vor Augen halten müssen, was in der Kohlenfrage geschehen kann und soll,
um aus dieser Situation nach Möglichkeit anständig herauszukommen. Ich habe bis
zuletzt den Standpunkt vertreten, daß man nicht Zusagen machen sollte, die man
nicht halten kann. Es ist meines Erachtens kaum möglich, daß wir die Kohlen¬
lieferungen in der verlangten Form durchführen können, und ich glaube, daß im
November dieses Jahres unter weit schwierigeren Winterverhältnissen, die die Er¬
füllung der übernommenen Verpflichtungen erschweren, die Frage der Kohlen¬
lieferung und die des Einrückens ins Ruhrrevier akut werden wird. Für die deutsche
Volkswirtschaft ist das Kohlenabkommen unerträglich; die deutsche Kohlenindustrie
ist dabei erst in letzter Linie leidtragend. Es ist in Ententekreisen gesagt worden,
daß bei einer Besetzung des Ruhrreviers noch mehr als zwei Millionen Tonnen
Kohle für die Entente freigemacht werden könnten. Das dürfte allerdings transport¬
technisch unmöglich sein. Es ist schon in Spa bezweifelt worden, daß zwei Millionen
Tonnen überhaupt an die Entente abgeliefert werden könnten, daß aber gar eine
andere Ziffer in Frage käme, ist gänzlich ausgeschlossen. Viele Sachverständige,
auch Sachverständige des Kohlensyndikats, sind derselben Meinung.

Es gibt nur ein Mittel zur Verbesserung unserer Situation und das liegt in


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[0196] Reichsspiegel Dabei ist zu bedenken, daß wir im vorigen Jahre auch noch gewisse Warenreserven hatten, fast keine Kohlen für die Seeschiffahrt brauchten; heute aber braucht letztere ebenso wie die Textilindustrie dringend Kohlen, um allmählich wieder in Betrieb zu kommen. Der Bedarf ist also gestiegen, das Angebot vermindert. Wenn ich an¬ nehme, daß eine Tonne Kohlen im neutralen Ausland etwa 1200 Wert hat, und die aus ihr produzierte Ware durchschnittlich das Zweieinhalbfache, wenn ich also annehme, daß durch den Ausfall von 900 000 Tonnen Kohlen ein Warenausfall von 3000 X 900 000 entsteht, so bedeutet das für uns einen monatlichen Waren¬ ausfall von 2,7 Milliarden, also ungefähr die Hälfte unserer gegenwärtigen Aus¬ fuhr, die sich, nachdem das Kohlenabkommen getroffen war, dank der Mehrförderung seit Februar bis Mai d. I. auf 4,5 bis 5,5 Milliarden monatlich gestellt hat. Das, was übrig bleibt, wird nicht im entferntesten ausreichen, um die fehlenden Lebens¬ mittel, Rohstoffe und sonstigen Unentbehrlichkeiten zu decken. Unserer Industrie werden, da von der Jnlandsförderung von rund 10 bis 10,5 Millionen Tonnen für gewisse Exporte, für Gasanstalten, Eisenbahnen, Elektrizitätswerke usw. über die Hälfte abgeht, nur etwa 4,9 Millionen Tonnen zur Verfügung stehen, vielleicht auch nur 3,9 Millionen Tonnen. Im vorigen Winter ist, nach den Ziffern von 1913 zu rechnen, infolge von Verkehrsstörungen die Belieferung und Versorgung der deutschen Industrie mit Kohlen auf 54 Prozent zurückgegangen. Dieser Rückgang wurde damals schon als eine Katastrophe sondergleichen empfunden, und diese Er¬ wägungen haben die Sachverständigen in Spa auch veranlaßt, nicht immer wieder Nachgiebigkeit zu zeigen, sondern bis zuletzt hinsichtlich der Unterzeichnung des Lieferungsvertrages die deutschen Interessen zu wahren. Es darf nicht übersehen werden, daß auch die Versorgung Frankreichs und Italiens mit Kohle sehr ernst, ja geradezu unhaltbar schlecht ist. Aber man muß den großen Unterschied feststellen, daß bei uns die Mehrproduktion dazu dient, die Kohlenförderung nicht bloß im Gang zu halten, sondern vor allen Dingen auch weiter zu entwickeln, damit diese Zustände eine Verbesserung in Deutschland und somit auch in Europa erfahren können. England hatte einen Ausfall an Export von Kohlen von etwa 70 Millionen Tonnen. Dieser Ausfall beträgt sogar neuerdings 120 Millionen Tonnen. In Amerika herrscht ebenfalls eine so große Kohlennot, daß in absehbarer Zeit mit einem Kohlenausfuhrverbot zu rechnen ist. Von Amerika kann Europa daher keine Hilfe erwarten. Amerika befindet sich heute in einem Zu¬ stande größter Kohlen- und Transportkalamität, und die Verhältnisse auf dem ameri¬ kanischen Kohlenmarkt sind katastrophal geworden. Man braucht nur die Preise für amerikanische Ausfuhrkohle zu betrachten, die auf 20 Dollar pro Tonne gestiegen sind gegen 7 bis 8 Dollar vor etwa 3 bis 4 Monaten. Nun hat es schließlich keinen Zweck, bei all diesen Fragen nach der Schuld zu suchen. Das Kohlenabkommen ist geschlossen worden, und man wird sich vor allem vor Augen halten müssen, was in der Kohlenfrage geschehen kann und soll, um aus dieser Situation nach Möglichkeit anständig herauszukommen. Ich habe bis zuletzt den Standpunkt vertreten, daß man nicht Zusagen machen sollte, die man nicht halten kann. Es ist meines Erachtens kaum möglich, daß wir die Kohlen¬ lieferungen in der verlangten Form durchführen können, und ich glaube, daß im November dieses Jahres unter weit schwierigeren Winterverhältnissen, die die Er¬ füllung der übernommenen Verpflichtungen erschweren, die Frage der Kohlen¬ lieferung und die des Einrückens ins Ruhrrevier akut werden wird. Für die deutsche Volkswirtschaft ist das Kohlenabkommen unerträglich; die deutsche Kohlenindustrie ist dabei erst in letzter Linie leidtragend. Es ist in Ententekreisen gesagt worden, daß bei einer Besetzung des Ruhrreviers noch mehr als zwei Millionen Tonnen Kohle für die Entente freigemacht werden könnten. Das dürfte allerdings transport¬ technisch unmöglich sein. Es ist schon in Spa bezweifelt worden, daß zwei Millionen Tonnen überhaupt an die Entente abgeliefert werden könnten, daß aber gar eine andere Ziffer in Frage käme, ist gänzlich ausgeschlossen. Viele Sachverständige, auch Sachverständige des Kohlensyndikats, sind derselben Meinung. Es gibt nur ein Mittel zur Verbesserung unserer Situation und das liegt in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/196>, abgerufen am 22.07.2024.