Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.Offenherzigkeiten Außerdem erfuhren wir, Lloyd George habe schon vorher einmal den deutschen Herr Huc hat diese überheblicher Ungezogenheiten, diese herablassende Be¬ Bei dieser Gelegenheit müßten auch gleich einige alberne militaristische Ge¬ Aem Hüsung. Von sechzig Siedlungshäusern, die die Stadt Wilmersdorf für Wohnungs¬ "Etwas muß er sein eigen nennen, oder der Mensch wird rauben und "Arbeiter und Arbeiterinnen Berlins! Demonstriert in Massen gegen das drohende Gespenst der Arbeitslosigkeit!" Die ganze Seitenbreite des "Vorwärts" war mit diesem Aufruf bedruckt. Dichtung und "Wahrheit". "Wir denken", so schrieb vor sechs Wochen anläßlich der Schweizerreise unter¬ Offenherzigkeiten Außerdem erfuhren wir, Lloyd George habe schon vorher einmal den deutschen Herr Huc hat diese überheblicher Ungezogenheiten, diese herablassende Be¬ Bei dieser Gelegenheit müßten auch gleich einige alberne militaristische Ge¬ Aem Hüsung. Von sechzig Siedlungshäusern, die die Stadt Wilmersdorf für Wohnungs¬ „Etwas muß er sein eigen nennen, oder der Mensch wird rauben und „Arbeiter und Arbeiterinnen Berlins! Demonstriert in Massen gegen das drohende Gespenst der Arbeitslosigkeit!" Die ganze Seitenbreite des „Vorwärts" war mit diesem Aufruf bedruckt. Dichtung und „Wahrheit". „Wir denken", so schrieb vor sechs Wochen anläßlich der Schweizerreise unter¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337757"/> <fw type="header" place="top"> Offenherzigkeiten</fw><lb/> <p xml:id="ID_405"> Außerdem erfuhren wir, Lloyd George habe schon vorher einmal den deutschen<lb/> Außenminister eines kurzen Kopfnickens gewürdigt und Herrn HuL gesagt, seine<lb/> Rede sei gut gewesen. Er selbst mache einen sehr guten Eindruck auf Lloyd George.</p><lb/> <p xml:id="ID_406"> Herr Huc hat diese überheblicher Ungezogenheiten, diese herablassende Be¬<lb/> gönnerei nicht abgelehnt, der Außenminister sich das kurze Kopfnicken gefallen<lb/> lassen) der Händedruck und die paar Worte in der Teestunde sind historisch ge¬<lb/> worden. Vielleicht ersetzen sie in den Schullesebüchern, die Konrad Haenisch soeben<lb/> neu bearbeiten läßt, demnächst die Hohenzollerngeschichte.</p><lb/> <p xml:id="ID_407"> Bei dieser Gelegenheit müßten auch gleich einige alberne militaristische Ge¬<lb/> dichte Kleists, Ernst Moritz Arndts, Theodor Körners usw. ausgemerzt werden,<lb/> die beträchtlich von deutschem Stolz schwafeln. Dafür wäre dann das bekannte<lb/> Wort Seumes einzufügen und auf die Tatsache hinzuweisen, daß deutsche Kellner<lb/> und Bediente vor dem Kriege in England sehr beliebt gewesen sind. Nur wegen<lb/> ihrer Billigkeit, natürlich.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Aem Hüsung.</head><lb/> <p xml:id="ID_408"> Von sechzig Siedlungshäusern, die die Stadt Wilmersdorf für Wohnungs¬<lb/> lose, Kriegsbeschädigte und Minderbemittelte erbauen ließ und von denen jedes<lb/> durchschnittlich 65 000 Mark städtischen Zuschuß erforderte, sind neun an sozial¬<lb/> demokratische Stadtverordnete und Mitglieder des Magistrats vergeben worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_409"> „Etwas muß er sein eigen nennen, oder der Mensch wird rauben und<lb/> brennen." Wilmersdorf, das trotz seiner bürgerlichen Gemeinderatsmehrheit die<lb/> rote Futterkrippenwirtschaft ergebungsvoll allaient, glaubt offenbar die sozialistischen<lb/> Führer dadurch von der Partei abspenstig machen zu können, daß es sie zu<lb/> bourgeoisen Hauseigentümern erhebt. Diese soziale Versöhnungspolitik hat leider<lb/> einen Haken: den, daran sich das steuerzahlende Bürgertum aufhängen kann, wenn die<lb/> fahrlässige und schimpfliche Verschleuderung von allgemeinen Mitteln an rote<lb/> Beutepolitiker nun feigerweise auch von den nichtsozialistischen Stadtverwaltungen<lb/> betrieben wird.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> „Arbeiter und Arbeiterinnen Berlins! Demonstriert in Massen<lb/> gegen das drohende Gespenst der Arbeitslosigkeit!"</head><lb/> <p xml:id="ID_410"> Die ganze Seitenbreite des „Vorwärts" war mit diesem Aufruf bedruckt.<lb/> Gespenster mit Massendemonstrationen zu beschwören, ist selbst den abergläubischsten<lb/> Exorzisten nicht eingefallen,' wie man der Arbeitslosigkeit, einer schweren wirtschaft¬<lb/> lichen Krankheit, durch Volksversammlungen abhelfen zu können hofft, ist magisches<lb/> Geheimnis der Funktionäre. Schade um die sinnlos verläpperten Stunden<lb/> Tausender, ein Jammer um den Volksbetrug, der auf die nie alle Werdenden<lb/> berechnet ist und späteren Juvenalen einen Maßstab bieten wird für den gerade<lb/> in sozialistischen Liederbüchern bekämpften Unverstand der Massen, „den Feind,<lb/> den wir am meisten hassen". Die Arbeitslosigkeit vor Demonstrationsversammlungen<lb/> zu besprechen, ist gerade so weise wie das früher beliebte Besprechen anderer<lb/> Krankheiten — nur daß man derlei Besprechungen früher weisen alten Damen<lb/> überließ und nicht etwa Frau Luise Zietz bemühte.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Dichtung und „Wahrheit".</head><lb/> <p xml:id="ID_411"> „Wir denken", so schrieb vor sechs Wochen anläßlich der Schweizerreise unter¬<lb/> ernährter Berliner Kinder die Rote Fahne, „an Rußland, wo trotz der Not den<lb/> Kindern ein Paradies errichtet ist. Vielleicht ist es das Größte, was die<lb/> Bolschewiki geschaffen, das, was sie allein unvergänglich werden läßt in der<lb/> Geschichte, daß sie für die Kinder sorgen. In Rußland, wo die Erwachsenen<lb/> ein Vieles an Entbehrungen tragen, spüren die Kinder nichts von Hunger<lb/> und Not. Den proletarischen Eltern hat man die Erziehung abgenommen? die<lb/> Kommune ist an ihre Stelle getreten, und in großen Kindergärten wird den<lb/> Kleinen alle nur erdenkliche Sorgfalt und Liebe angetan. Die Schule<lb/> in Rußland ist etwas Lebendiges geworden."</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0116]
Offenherzigkeiten
Außerdem erfuhren wir, Lloyd George habe schon vorher einmal den deutschen
Außenminister eines kurzen Kopfnickens gewürdigt und Herrn HuL gesagt, seine
Rede sei gut gewesen. Er selbst mache einen sehr guten Eindruck auf Lloyd George.
Herr Huc hat diese überheblicher Ungezogenheiten, diese herablassende Be¬
gönnerei nicht abgelehnt, der Außenminister sich das kurze Kopfnicken gefallen
lassen) der Händedruck und die paar Worte in der Teestunde sind historisch ge¬
worden. Vielleicht ersetzen sie in den Schullesebüchern, die Konrad Haenisch soeben
neu bearbeiten läßt, demnächst die Hohenzollerngeschichte.
Bei dieser Gelegenheit müßten auch gleich einige alberne militaristische Ge¬
dichte Kleists, Ernst Moritz Arndts, Theodor Körners usw. ausgemerzt werden,
die beträchtlich von deutschem Stolz schwafeln. Dafür wäre dann das bekannte
Wort Seumes einzufügen und auf die Tatsache hinzuweisen, daß deutsche Kellner
und Bediente vor dem Kriege in England sehr beliebt gewesen sind. Nur wegen
ihrer Billigkeit, natürlich.
Aem Hüsung.
Von sechzig Siedlungshäusern, die die Stadt Wilmersdorf für Wohnungs¬
lose, Kriegsbeschädigte und Minderbemittelte erbauen ließ und von denen jedes
durchschnittlich 65 000 Mark städtischen Zuschuß erforderte, sind neun an sozial¬
demokratische Stadtverordnete und Mitglieder des Magistrats vergeben worden.
„Etwas muß er sein eigen nennen, oder der Mensch wird rauben und
brennen." Wilmersdorf, das trotz seiner bürgerlichen Gemeinderatsmehrheit die
rote Futterkrippenwirtschaft ergebungsvoll allaient, glaubt offenbar die sozialistischen
Führer dadurch von der Partei abspenstig machen zu können, daß es sie zu
bourgeoisen Hauseigentümern erhebt. Diese soziale Versöhnungspolitik hat leider
einen Haken: den, daran sich das steuerzahlende Bürgertum aufhängen kann, wenn die
fahrlässige und schimpfliche Verschleuderung von allgemeinen Mitteln an rote
Beutepolitiker nun feigerweise auch von den nichtsozialistischen Stadtverwaltungen
betrieben wird.
„Arbeiter und Arbeiterinnen Berlins! Demonstriert in Massen
gegen das drohende Gespenst der Arbeitslosigkeit!"
Die ganze Seitenbreite des „Vorwärts" war mit diesem Aufruf bedruckt.
Gespenster mit Massendemonstrationen zu beschwören, ist selbst den abergläubischsten
Exorzisten nicht eingefallen,' wie man der Arbeitslosigkeit, einer schweren wirtschaft¬
lichen Krankheit, durch Volksversammlungen abhelfen zu können hofft, ist magisches
Geheimnis der Funktionäre. Schade um die sinnlos verläpperten Stunden
Tausender, ein Jammer um den Volksbetrug, der auf die nie alle Werdenden
berechnet ist und späteren Juvenalen einen Maßstab bieten wird für den gerade
in sozialistischen Liederbüchern bekämpften Unverstand der Massen, „den Feind,
den wir am meisten hassen". Die Arbeitslosigkeit vor Demonstrationsversammlungen
zu besprechen, ist gerade so weise wie das früher beliebte Besprechen anderer
Krankheiten — nur daß man derlei Besprechungen früher weisen alten Damen
überließ und nicht etwa Frau Luise Zietz bemühte.
Dichtung und „Wahrheit".
„Wir denken", so schrieb vor sechs Wochen anläßlich der Schweizerreise unter¬
ernährter Berliner Kinder die Rote Fahne, „an Rußland, wo trotz der Not den
Kindern ein Paradies errichtet ist. Vielleicht ist es das Größte, was die
Bolschewiki geschaffen, das, was sie allein unvergänglich werden läßt in der
Geschichte, daß sie für die Kinder sorgen. In Rußland, wo die Erwachsenen
ein Vieles an Entbehrungen tragen, spüren die Kinder nichts von Hunger
und Not. Den proletarischen Eltern hat man die Erziehung abgenommen? die
Kommune ist an ihre Stelle getreten, und in großen Kindergärten wird den
Kleinen alle nur erdenkliche Sorgfalt und Liebe angetan. Die Schule
in Rußland ist etwas Lebendiges geworden."
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