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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Vffenherzigkeiten

mußte, hatten nur noch Sudermanns "Raschhoffs" Glück. Will sagen Premteren-
glück. Bei der szenischen Gewandtheit der Herren Roller-schaler, die das Wert
managten, kann man ja nie klar unterscheiden, was am Jubel der Geladenen halb¬
echt und was ganz unecht ist. Von den übrigen Neuheiten zu sprechen, wäre Ver¬
legenheit, und die meisten Neueinstudierungen schössen gleichfalls am Ziel vorbei.
Hatten sie schon literarisches Interesse. -- manchmal sogar sehr hohes, wie die
packende Wozzek-Aufführung des Lessingtheaters --, so blieb das Publikumsinteresse
aus, und Quälereien nach Art von "Frau Warrens Gewerbe" vermochten es
überhaupt keinem Teil rechtzumachen. Gegen Ende der Spielzeit erlosch dann mich
fast allenthalben selbst das kümmerliche Restchen von Teilnahme.

Die Berliner Theater stehen beinahe durchweg vor sehr ernsten Prüfungen.
In ihrer jetzigen Lage sind sie der Lustbarkeitssteuer schon darum nicht gewachsen,
weil diese Steuer am falschen Objekt arbeitet. Lustbarkeiten kann man ihre Dar¬
bietungen nicht mehr nennen. Wird das Steuer nicht entschlossen herumgerissen,
dann kann der erbarmungslose Plan der Asa, alle Berliner Bühnenhäuser in Kinos
zu verwandeln, vielleicht bald aus einem Menschenfressermärchen zu grauser Wirk¬
lichk Richard Nordhausen eit werden.




Offenherzigkeiten
Ungarische Roheit.

Ein Zwanzigjähriger hat auf Hindenburg, in dessen Wohnung er sich ein¬
geschlichen hatte, geschossen.

Durch die Schändung der Bismarckgruft, des Charlottenburger Mausoleums
und der Grabstätte Schillers und Goethes in Weimar ist den großen Toten
Deutschlands dieselbe volkstümliche Ehrung widerfahren wie dem großen Lebenden,
dem unsterblichen Sieger von Tannenberg.

Während all dieser Handlungen fortgeschrittener Aufklärung wälzt sich ein
Staat Europas in den Krämpfen wüstester und dunkelster Reaktion. Bezeichnender¬
weise das gewaltsam aus den Segnungen der Räteregierung herausgerissene
Ungarn. "Die Nationalversammlung hat als eine der Strafsanktionen auch die
Prügelstrafe angenommen. Die Strafe kann auf zehn bis fünfundzwanzig Stock¬
streiche lauten."

Sie wird, was der Ordnung wegen nicht verschwiegen werde, nur Preis¬
treibern und Schiebern gegenüber angewandt. Prügelstrafe für Gruftschänder
und browningbewaffnete Einbrecher -- so rückständig und verroht ist nicht einmal
Weiß-Ungarn, als daß es diese Menschheitsschmach zu verüben wagt.


"Sein Händedruck, und ach, sein Ruß!"

Am 10. Juli meldeten deutsche Blätter, auf Grund urkundlicher Pariser
Drahtungen, daß Tags vorher zwischen Mitgliedern der alliierten und der deutschen
Delegation Händedrücke gewechselt worden seien. Nach Schluß der Sitzung habe
Lloyd George noch einige Worte mit Dr. Simons gesprochen (nach Schluß der
Sitzung, bitte!) und Delacroix sich mit Fehrenbach unterhalten.


Vffenherzigkeiten

mußte, hatten nur noch Sudermanns „Raschhoffs" Glück. Will sagen Premteren-
glück. Bei der szenischen Gewandtheit der Herren Roller-schaler, die das Wert
managten, kann man ja nie klar unterscheiden, was am Jubel der Geladenen halb¬
echt und was ganz unecht ist. Von den übrigen Neuheiten zu sprechen, wäre Ver¬
legenheit, und die meisten Neueinstudierungen schössen gleichfalls am Ziel vorbei.
Hatten sie schon literarisches Interesse. — manchmal sogar sehr hohes, wie die
packende Wozzek-Aufführung des Lessingtheaters —, so blieb das Publikumsinteresse
aus, und Quälereien nach Art von „Frau Warrens Gewerbe" vermochten es
überhaupt keinem Teil rechtzumachen. Gegen Ende der Spielzeit erlosch dann mich
fast allenthalben selbst das kümmerliche Restchen von Teilnahme.

Die Berliner Theater stehen beinahe durchweg vor sehr ernsten Prüfungen.
In ihrer jetzigen Lage sind sie der Lustbarkeitssteuer schon darum nicht gewachsen,
weil diese Steuer am falschen Objekt arbeitet. Lustbarkeiten kann man ihre Dar¬
bietungen nicht mehr nennen. Wird das Steuer nicht entschlossen herumgerissen,
dann kann der erbarmungslose Plan der Asa, alle Berliner Bühnenhäuser in Kinos
zu verwandeln, vielleicht bald aus einem Menschenfressermärchen zu grauser Wirk¬
lichk Richard Nordhausen eit werden.




Offenherzigkeiten
Ungarische Roheit.

Ein Zwanzigjähriger hat auf Hindenburg, in dessen Wohnung er sich ein¬
geschlichen hatte, geschossen.

Durch die Schändung der Bismarckgruft, des Charlottenburger Mausoleums
und der Grabstätte Schillers und Goethes in Weimar ist den großen Toten
Deutschlands dieselbe volkstümliche Ehrung widerfahren wie dem großen Lebenden,
dem unsterblichen Sieger von Tannenberg.

Während all dieser Handlungen fortgeschrittener Aufklärung wälzt sich ein
Staat Europas in den Krämpfen wüstester und dunkelster Reaktion. Bezeichnender¬
weise das gewaltsam aus den Segnungen der Räteregierung herausgerissene
Ungarn. „Die Nationalversammlung hat als eine der Strafsanktionen auch die
Prügelstrafe angenommen. Die Strafe kann auf zehn bis fünfundzwanzig Stock¬
streiche lauten."

Sie wird, was der Ordnung wegen nicht verschwiegen werde, nur Preis¬
treibern und Schiebern gegenüber angewandt. Prügelstrafe für Gruftschänder
und browningbewaffnete Einbrecher — so rückständig und verroht ist nicht einmal
Weiß-Ungarn, als daß es diese Menschheitsschmach zu verüben wagt.


„Sein Händedruck, und ach, sein Ruß!"

Am 10. Juli meldeten deutsche Blätter, auf Grund urkundlicher Pariser
Drahtungen, daß Tags vorher zwischen Mitgliedern der alliierten und der deutschen
Delegation Händedrücke gewechselt worden seien. Nach Schluß der Sitzung habe
Lloyd George noch einige Worte mit Dr. Simons gesprochen (nach Schluß der
Sitzung, bitte!) und Delacroix sich mit Fehrenbach unterhalten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/115>, abgerufen am 22.07.2024.