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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

Deutschland nicht so günstig auszufallen scheine als ursprünglich angenommen und-
bedauerlicherweise in der Öffentlichkeit (Presse) für notwendig erklärt worden sei.
Ich gewann den Eindruck, daß Graf L, sich darüber wundert, daß die Zensur,
die bei uns doch musterhaft arbeite, der Erörterung der Ernährungsfragen so
weiten Spielraum gewähre, während doch gerade diese Dinge von der Presse
und den Agenten des Vierverbandes auf das sorgsamste verfolgt würden. Außerdem
scheint Graf L., der in Österreich-Ungarn selbstverständlich sehr viele Attaches
besitzt und über die dortigen Verhältnisse genau unterrichtet ist, zu befürchten, das;
die Donaumonarchie auf die Dauer mit dem Menschenmaterial nicht nach¬
halten kann.




Luzern, den 17. Juli 1916.

Sowohl aus Genf wie aus Bern sind mir über die von den Russen gegen
Galizien vorbereitete, neue und gewaltige Offensive Informationen zugegangen,
die dadurch, daß sie, obwohl aus so diametral verschiedenen Quellen stammend,
dasselbe besagen, selbstverständlich an Bedeutung gewinnen.

Wenn die österreichische Heeresleitung nicht bereits einmal gegenüber
dem ersten Stoß Brussilows versagt hätte, könnte es überflüssig erscheinen, auf
derartige Meldungen besonders hinzuweisen. Angesichts der alles Glaubliche
übersteigenden Bummelei jedoch, die anfangs Juli an der österreichischen Ost¬
front herrschte und die die Armee Brussilow sich mit dem von uns bitter emp¬
fundenen Erfolge zunutze machte, scheint es veranlaßt, nichts außer acht zu
lassen, was zu einem Druck auf die Österreicher verwandt werden kann. Wie ich
gestern gehört habe, waren die Verhältnisse in den von Brussilow eingestoßenen
Abschnitten der österreichischen Front sehr idyllische. Es steht fest, daß öster¬
reichische und russische Offiziere hinter der Front gemeinsame Jagden ritten,
sowie daß der inzwischen allerdings ziemlich unsanft vom Kommando entfernte
Erzherzog Josef Ferdinand an dem Tag, an dem die russische Offensive einsetzte,
irgendwo dem Weidwerk nachging. Die Sorge, mit der mein Genfer Gewährs¬
mann unter diesen Umständen den kommenden Ereignissen in Galizien ent¬
gegensieht, begreift sich ebenso, wie die dringliche Form, in die er seine War¬
nungen kleidete.

Sehr besorgt fand ich ihn auch hinsichtlich Englands. Nach seinen Infor¬
mationen ist die englische Regierung entschlossen, alles zu tun, was in ihren
Kräften steht, um die Verbündeten mindestens bis Herbst 1917 bei der Stange
zu halten. Daß es Joffre gelang, die englische Heeresleitung jetzt schon zu einem,
von General Douglas-High als verfrüht erklärten Losschlagen zu bestimmen,
sei ein Faktor, der Herrn Asquith einigermaßen die Rechnung verdorben zu
haben scheint.




Luzern, den 13. August 1916.

England ist -- damit stimmen alle glaubwürdigen Berichte überein mehr
als je entschlossen, durchzuhalten. Wie ich höre, wird es in diesem seinem Entschluß
nicht zuletzt durch die Berichte bestärkt, die der derzeitige amerikanische Botschafter


Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

Deutschland nicht so günstig auszufallen scheine als ursprünglich angenommen und-
bedauerlicherweise in der Öffentlichkeit (Presse) für notwendig erklärt worden sei.
Ich gewann den Eindruck, daß Graf L, sich darüber wundert, daß die Zensur,
die bei uns doch musterhaft arbeite, der Erörterung der Ernährungsfragen so
weiten Spielraum gewähre, während doch gerade diese Dinge von der Presse
und den Agenten des Vierverbandes auf das sorgsamste verfolgt würden. Außerdem
scheint Graf L., der in Österreich-Ungarn selbstverständlich sehr viele Attaches
besitzt und über die dortigen Verhältnisse genau unterrichtet ist, zu befürchten, das;
die Donaumonarchie auf die Dauer mit dem Menschenmaterial nicht nach¬
halten kann.




Luzern, den 17. Juli 1916.

Sowohl aus Genf wie aus Bern sind mir über die von den Russen gegen
Galizien vorbereitete, neue und gewaltige Offensive Informationen zugegangen,
die dadurch, daß sie, obwohl aus so diametral verschiedenen Quellen stammend,
dasselbe besagen, selbstverständlich an Bedeutung gewinnen.

Wenn die österreichische Heeresleitung nicht bereits einmal gegenüber
dem ersten Stoß Brussilows versagt hätte, könnte es überflüssig erscheinen, auf
derartige Meldungen besonders hinzuweisen. Angesichts der alles Glaubliche
übersteigenden Bummelei jedoch, die anfangs Juli an der österreichischen Ost¬
front herrschte und die die Armee Brussilow sich mit dem von uns bitter emp¬
fundenen Erfolge zunutze machte, scheint es veranlaßt, nichts außer acht zu
lassen, was zu einem Druck auf die Österreicher verwandt werden kann. Wie ich
gestern gehört habe, waren die Verhältnisse in den von Brussilow eingestoßenen
Abschnitten der österreichischen Front sehr idyllische. Es steht fest, daß öster¬
reichische und russische Offiziere hinter der Front gemeinsame Jagden ritten,
sowie daß der inzwischen allerdings ziemlich unsanft vom Kommando entfernte
Erzherzog Josef Ferdinand an dem Tag, an dem die russische Offensive einsetzte,
irgendwo dem Weidwerk nachging. Die Sorge, mit der mein Genfer Gewährs¬
mann unter diesen Umständen den kommenden Ereignissen in Galizien ent¬
gegensieht, begreift sich ebenso, wie die dringliche Form, in die er seine War¬
nungen kleidete.

Sehr besorgt fand ich ihn auch hinsichtlich Englands. Nach seinen Infor¬
mationen ist die englische Regierung entschlossen, alles zu tun, was in ihren
Kräften steht, um die Verbündeten mindestens bis Herbst 1917 bei der Stange
zu halten. Daß es Joffre gelang, die englische Heeresleitung jetzt schon zu einem,
von General Douglas-High als verfrüht erklärten Losschlagen zu bestimmen,
sei ein Faktor, der Herrn Asquith einigermaßen die Rechnung verdorben zu
haben scheint.




Luzern, den 13. August 1916.

England ist — damit stimmen alle glaubwürdigen Berichte überein mehr
als je entschlossen, durchzuhalten. Wie ich höre, wird es in diesem seinem Entschluß
nicht zuletzt durch die Berichte bestärkt, die der derzeitige amerikanische Botschafter


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[0108] Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling Deutschland nicht so günstig auszufallen scheine als ursprünglich angenommen und- bedauerlicherweise in der Öffentlichkeit (Presse) für notwendig erklärt worden sei. Ich gewann den Eindruck, daß Graf L, sich darüber wundert, daß die Zensur, die bei uns doch musterhaft arbeite, der Erörterung der Ernährungsfragen so weiten Spielraum gewähre, während doch gerade diese Dinge von der Presse und den Agenten des Vierverbandes auf das sorgsamste verfolgt würden. Außerdem scheint Graf L., der in Österreich-Ungarn selbstverständlich sehr viele Attaches besitzt und über die dortigen Verhältnisse genau unterrichtet ist, zu befürchten, das; die Donaumonarchie auf die Dauer mit dem Menschenmaterial nicht nach¬ halten kann. Luzern, den 17. Juli 1916. Sowohl aus Genf wie aus Bern sind mir über die von den Russen gegen Galizien vorbereitete, neue und gewaltige Offensive Informationen zugegangen, die dadurch, daß sie, obwohl aus so diametral verschiedenen Quellen stammend, dasselbe besagen, selbstverständlich an Bedeutung gewinnen. Wenn die österreichische Heeresleitung nicht bereits einmal gegenüber dem ersten Stoß Brussilows versagt hätte, könnte es überflüssig erscheinen, auf derartige Meldungen besonders hinzuweisen. Angesichts der alles Glaubliche übersteigenden Bummelei jedoch, die anfangs Juli an der österreichischen Ost¬ front herrschte und die die Armee Brussilow sich mit dem von uns bitter emp¬ fundenen Erfolge zunutze machte, scheint es veranlaßt, nichts außer acht zu lassen, was zu einem Druck auf die Österreicher verwandt werden kann. Wie ich gestern gehört habe, waren die Verhältnisse in den von Brussilow eingestoßenen Abschnitten der österreichischen Front sehr idyllische. Es steht fest, daß öster¬ reichische und russische Offiziere hinter der Front gemeinsame Jagden ritten, sowie daß der inzwischen allerdings ziemlich unsanft vom Kommando entfernte Erzherzog Josef Ferdinand an dem Tag, an dem die russische Offensive einsetzte, irgendwo dem Weidwerk nachging. Die Sorge, mit der mein Genfer Gewährs¬ mann unter diesen Umständen den kommenden Ereignissen in Galizien ent¬ gegensieht, begreift sich ebenso, wie die dringliche Form, in die er seine War¬ nungen kleidete. Sehr besorgt fand ich ihn auch hinsichtlich Englands. Nach seinen Infor¬ mationen ist die englische Regierung entschlossen, alles zu tun, was in ihren Kräften steht, um die Verbündeten mindestens bis Herbst 1917 bei der Stange zu halten. Daß es Joffre gelang, die englische Heeresleitung jetzt schon zu einem, von General Douglas-High als verfrüht erklärten Losschlagen zu bestimmen, sei ein Faktor, der Herrn Asquith einigermaßen die Rechnung verdorben zu haben scheint. Luzern, den 13. August 1916. England ist — damit stimmen alle glaubwürdigen Berichte überein mehr als je entschlossen, durchzuhalten. Wie ich höre, wird es in diesem seinem Entschluß nicht zuletzt durch die Berichte bestärkt, die der derzeitige amerikanische Botschafter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/108>, abgerufen am 22.07.2024.