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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Die ploletarisierung der geistigen Arbeit

Errichtung von Arbeitsnachweisen und Berufsberatungsstellen für geistige Arbeiter
die Regelung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkte der geistigen
Arbeit zu fördern haben. Er wird den Abschluß tariflicher Vereinbarungen
zwischen geistigen Arbeitern und deren Arbeitgebern, sei es in beratender Mit¬
wirkung, sei es durch die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit solcher Verträge,
stützen können. Er wird in der Statuierung gutachtlicher Einvernahme der
Berufsverbände geistiger Arbeiter vor der Erteilung beziehungsweise der Zurück¬
nahme der Erlaubnis zum Betriebe bestimmter Unternehmen (Theater, Singspiele,
Schauspielunternehmungen, Stellenvermittlung für Bühnenangehörige und andere
geistige Berufe) diese Bcrufsverbände stärken können. Er wird in der Warnung
vor dem Eintritt in eine überfüllte geistige Berufslaufbahn den geistigen Arbeiter
vor wirtschaftlichem Elend und sozialer Enttäuschung bewahren müssen.

Er wird in einer gründlichen Revision der Schutzbestimmungen für geistige
Arbeit, in der Regelung des Erfinderrechtes für Angestellte, in dem Erlaß eines
Kunstverlagsgesetzes, in der Umwandlung des bestehenden Verlagsgesetzes zugunsten
der Autoren und anderen, nicht zuletzt in der Schonung der geistigen Arbeiter bei
der generellen Besteuerung seine Fürsorge zu betätigen haben. Er wird in der
Erhaltung und Förderung wissenschaftlicher, künstlerischer und kunsthandwerklicher
Institute, in der freimütiger Unterstützung wahrhafter Forschung und künstlerischer
Größe die Kontinuität des geistigen Lebens zu bewahren haben.

Jede dieser vorgeschlagenen Maßnahmen bedarf indessen der Stoßkraft fest¬
gefügter, eine Mehrzahl der Standesgenossen umfassenden Organisationen. Die
Bildung solcher Organisationen wiederum wird abhängig sein von dem Maße
und dem Grade, in dem der Individualismus, das Eigenbrödlertum, die Selbst-
Herrlichkeit der Geistigen dem Solidaritätsempfinden bereits gewichen sind. Weder
die Künstler noch die Gelehrten noch die Schriftsteller sind heute schou über lose
Verbandsbildungen wirtschaftlicher Art hinausgekommen: die lässige Geschäfts¬
gebarung des Reichsbundes geistiger Arbeiter, der im November 1918 gegründet
im Dezember 1919, ohne irgendwelche wirksame Spuren zu hinterlassen, begraben
wurde, hat dies deutlich genug gezeigt. Politische Parteiung, ästhetische Sonder¬
bündelei, litercmscher Widerwille vor den nüchtern-materiellen Zielen einer
Gewerkschaftsorganisation, Mangel an Führern und Organisatoren hat diesen
Neichsbund an praktischer Arbeit gehemmt.

Wird es möglich sein, die geistigen Arbeiter noch vor Torschluß zu belehren,
daß auch der Starke in unserer Zeit der Not keineswegs allein am mächtigsten
ist? Oder wird Verbitterung und Groll gegen Staat und Gesellschaft die unab¬
wendbare Folge ihrer Isolierung sein? Wird es gelingen, die Klüngel und
Grüppchen zusammenzuschweißen zu festem, geschlossenem Kampf und Widerstand?
Die nächste Zeit wird hierüber entscheiden; die Fülle und Tiefe unserer Kultur
aber wird von der Beantwortung dieser Fragen nachdrücklichst beeinflußt werden,
denn schon Michael von BeHeim aus Sulzbach sang um 1450:




Die ploletarisierung der geistigen Arbeit

Errichtung von Arbeitsnachweisen und Berufsberatungsstellen für geistige Arbeiter
die Regelung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkte der geistigen
Arbeit zu fördern haben. Er wird den Abschluß tariflicher Vereinbarungen
zwischen geistigen Arbeitern und deren Arbeitgebern, sei es in beratender Mit¬
wirkung, sei es durch die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit solcher Verträge,
stützen können. Er wird in der Statuierung gutachtlicher Einvernahme der
Berufsverbände geistiger Arbeiter vor der Erteilung beziehungsweise der Zurück¬
nahme der Erlaubnis zum Betriebe bestimmter Unternehmen (Theater, Singspiele,
Schauspielunternehmungen, Stellenvermittlung für Bühnenangehörige und andere
geistige Berufe) diese Bcrufsverbände stärken können. Er wird in der Warnung
vor dem Eintritt in eine überfüllte geistige Berufslaufbahn den geistigen Arbeiter
vor wirtschaftlichem Elend und sozialer Enttäuschung bewahren müssen.

Er wird in einer gründlichen Revision der Schutzbestimmungen für geistige
Arbeit, in der Regelung des Erfinderrechtes für Angestellte, in dem Erlaß eines
Kunstverlagsgesetzes, in der Umwandlung des bestehenden Verlagsgesetzes zugunsten
der Autoren und anderen, nicht zuletzt in der Schonung der geistigen Arbeiter bei
der generellen Besteuerung seine Fürsorge zu betätigen haben. Er wird in der
Erhaltung und Förderung wissenschaftlicher, künstlerischer und kunsthandwerklicher
Institute, in der freimütiger Unterstützung wahrhafter Forschung und künstlerischer
Größe die Kontinuität des geistigen Lebens zu bewahren haben.

Jede dieser vorgeschlagenen Maßnahmen bedarf indessen der Stoßkraft fest¬
gefügter, eine Mehrzahl der Standesgenossen umfassenden Organisationen. Die
Bildung solcher Organisationen wiederum wird abhängig sein von dem Maße
und dem Grade, in dem der Individualismus, das Eigenbrödlertum, die Selbst-
Herrlichkeit der Geistigen dem Solidaritätsempfinden bereits gewichen sind. Weder
die Künstler noch die Gelehrten noch die Schriftsteller sind heute schou über lose
Verbandsbildungen wirtschaftlicher Art hinausgekommen: die lässige Geschäfts¬
gebarung des Reichsbundes geistiger Arbeiter, der im November 1918 gegründet
im Dezember 1919, ohne irgendwelche wirksame Spuren zu hinterlassen, begraben
wurde, hat dies deutlich genug gezeigt. Politische Parteiung, ästhetische Sonder¬
bündelei, litercmscher Widerwille vor den nüchtern-materiellen Zielen einer
Gewerkschaftsorganisation, Mangel an Führern und Organisatoren hat diesen
Neichsbund an praktischer Arbeit gehemmt.

Wird es möglich sein, die geistigen Arbeiter noch vor Torschluß zu belehren,
daß auch der Starke in unserer Zeit der Not keineswegs allein am mächtigsten
ist? Oder wird Verbitterung und Groll gegen Staat und Gesellschaft die unab¬
wendbare Folge ihrer Isolierung sein? Wird es gelingen, die Klüngel und
Grüppchen zusammenzuschweißen zu festem, geschlossenem Kampf und Widerstand?
Die nächste Zeit wird hierüber entscheiden; die Fülle und Tiefe unserer Kultur
aber wird von der Beantwortung dieser Fragen nachdrücklichst beeinflußt werden,
denn schon Michael von BeHeim aus Sulzbach sang um 1450:




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[0056] Die ploletarisierung der geistigen Arbeit Errichtung von Arbeitsnachweisen und Berufsberatungsstellen für geistige Arbeiter die Regelung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkte der geistigen Arbeit zu fördern haben. Er wird den Abschluß tariflicher Vereinbarungen zwischen geistigen Arbeitern und deren Arbeitgebern, sei es in beratender Mit¬ wirkung, sei es durch die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit solcher Verträge, stützen können. Er wird in der Statuierung gutachtlicher Einvernahme der Berufsverbände geistiger Arbeiter vor der Erteilung beziehungsweise der Zurück¬ nahme der Erlaubnis zum Betriebe bestimmter Unternehmen (Theater, Singspiele, Schauspielunternehmungen, Stellenvermittlung für Bühnenangehörige und andere geistige Berufe) diese Bcrufsverbände stärken können. Er wird in der Warnung vor dem Eintritt in eine überfüllte geistige Berufslaufbahn den geistigen Arbeiter vor wirtschaftlichem Elend und sozialer Enttäuschung bewahren müssen. Er wird in einer gründlichen Revision der Schutzbestimmungen für geistige Arbeit, in der Regelung des Erfinderrechtes für Angestellte, in dem Erlaß eines Kunstverlagsgesetzes, in der Umwandlung des bestehenden Verlagsgesetzes zugunsten der Autoren und anderen, nicht zuletzt in der Schonung der geistigen Arbeiter bei der generellen Besteuerung seine Fürsorge zu betätigen haben. Er wird in der Erhaltung und Förderung wissenschaftlicher, künstlerischer und kunsthandwerklicher Institute, in der freimütiger Unterstützung wahrhafter Forschung und künstlerischer Größe die Kontinuität des geistigen Lebens zu bewahren haben. Jede dieser vorgeschlagenen Maßnahmen bedarf indessen der Stoßkraft fest¬ gefügter, eine Mehrzahl der Standesgenossen umfassenden Organisationen. Die Bildung solcher Organisationen wiederum wird abhängig sein von dem Maße und dem Grade, in dem der Individualismus, das Eigenbrödlertum, die Selbst- Herrlichkeit der Geistigen dem Solidaritätsempfinden bereits gewichen sind. Weder die Künstler noch die Gelehrten noch die Schriftsteller sind heute schou über lose Verbandsbildungen wirtschaftlicher Art hinausgekommen: die lässige Geschäfts¬ gebarung des Reichsbundes geistiger Arbeiter, der im November 1918 gegründet im Dezember 1919, ohne irgendwelche wirksame Spuren zu hinterlassen, begraben wurde, hat dies deutlich genug gezeigt. Politische Parteiung, ästhetische Sonder¬ bündelei, litercmscher Widerwille vor den nüchtern-materiellen Zielen einer Gewerkschaftsorganisation, Mangel an Führern und Organisatoren hat diesen Neichsbund an praktischer Arbeit gehemmt. Wird es möglich sein, die geistigen Arbeiter noch vor Torschluß zu belehren, daß auch der Starke in unserer Zeit der Not keineswegs allein am mächtigsten ist? Oder wird Verbitterung und Groll gegen Staat und Gesellschaft die unab¬ wendbare Folge ihrer Isolierung sein? Wird es gelingen, die Klüngel und Grüppchen zusammenzuschweißen zu festem, geschlossenem Kampf und Widerstand? Die nächste Zeit wird hierüber entscheiden; die Fülle und Tiefe unserer Kultur aber wird von der Beantwortung dieser Fragen nachdrücklichst beeinflußt werden, denn schon Michael von BeHeim aus Sulzbach sang um 1450:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/56>, abgerufen am 25.08.2024.