Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.vom Geist des Bolschewismus setzen zu Tage. Im höchsten Maße kennzeichnend hierfür ist die bolschewistische Es würde nun die Voraussetzung nahe liegen, daß die Bolschewisten Gänzlich ideenlos ist auch die Durchführung der zu bolschewistischer Zeit vom Geist des Bolschewismus setzen zu Tage. Im höchsten Maße kennzeichnend hierfür ist die bolschewistische Es würde nun die Voraussetzung nahe liegen, daß die Bolschewisten Gänzlich ideenlos ist auch die Durchführung der zu bolschewistischer Zeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337281"/> <fw type="header" place="top"> vom Geist des Bolschewismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_154" prev="#ID_153"> setzen zu Tage. Im höchsten Maße kennzeichnend hierfür ist die bolschewistische<lb/> Gerichtsverfassung, wie sie in zwei Gesetzen vom 7. Dezember 1917 und 17.<lb/> Februar 1918 festgelegt wurde. Sie war nichts anderes als eine Nachäffung der<lb/> im Jahre 1864 unter Kaiser Alexander II. geschaffenen Gerichtsverfassung. Selbst<lb/> deren augenfälligste Mängel wurden sorgfältig erhalten. Insbesondere blieb das<lb/> System der zwei von einander unabhängigen Jnstanzenzüge, des Friedensgerichis<lb/> und des sogenannten allgemeinen Gerichts bestehen, die nur im Senat eine<lb/> gemeinsame Kassationsinstanz besaßen. Die schöpferische Tätigreit der Bolschewisten<lb/> beschränkte sich darauf, das alte Gebäude rot anzupinseln. Das geschah in fast<lb/> kindischer Weise, indem alle Gerichte fortan als Volksgerichte bezeichnet wurden.<lb/> Weiter wurde jede theoretische und praktische Ausbildung der Richter für über¬<lb/> flüssig erklärt. Die Räte konnten jeden beliebigen Bewerber wählen, selbst einen<lb/> des Lesens und Schreibens Unkundigen. Von einer Unabsetzbarkeit der Richter<lb/> war selbstverständlich keine Rede, vielmehr unterlagen auch sie der unbefristeten<lb/> Abberufung durch ihre Wähler. Unabhängigkeit wurde den Richtern nur dem<lb/> Gesetze gegenüber zugestanden. Grundsätzlich freilich wurde erklärt, daß die<lb/> geltenden Gesetze in Kraft blieben mit den: Vorbehalt jedoch, daß diejenigen<lb/> ihrer Bestimmungen, die dem revolutionären Rechtsbewußtsein widersprechen, nicht<lb/> anzuwenden seien.</p><lb/> <p xml:id="ID_155"> Es würde nun die Voraussetzung nahe liegen, daß die Bolschewisten<lb/> wenigstens aus dem Gebiet der sozialen Gesetzgebung etwas Neues geschaffen<lb/> haben. Auch das ist nicht der Fall. Zu zarischer Zeit bestanden in Rußland<lb/> die Ansätze zu einer Arbeitsschutzgesetzgebung, insbesondere zu einer Arbeiter¬<lb/> versicherung nach deutschem Muster. Die einstweilige Regierung hat diese<lb/> Gesetzgebung ausgestaltet, indem sie die Lasten der Arbeitgeber vergrößerte, ihre<lb/> Rechte hingegen verminderte. Die Bolschewisten haben sich damit begnügt, auf<lb/> diesem Wege fortzuschreiten. Nachdem zuerst zahlreiche Einzelgssetze erlassen<lb/> waren, erging am 31. Oktober 1918 ein zusammenfassendes Dekret. Als neuer<lb/> grundlegender Gedanke wurde hierbei verkündet, daß die soziale Versicherung<lb/> hinfort nicht mehr den Ersatz ausgefallenen Arbeitslohnes anstrebe, sondern viel¬<lb/> mehr die Gewährung von Unterhaltsmitteln im Falle eines solchen Ausfalle?.<lb/> Daß das nur eine andere Formulierung de5 Leitgedankens der bürgerlichen<lb/> Gesetzgebung, insbesondere der Gesetzgebung des kaiserlichen Deutschlands be¬<lb/> deutet, liegt auf der Hand. Und ebensowenig findet sich ein neuer Gedanke in<lb/> den Einzelbestimmungen des Dekrets vom 3l. Oktober. Vielmehr unterscheidet<lb/> sich dieses von seinen Vorgängern ausschließlich durch eine quantitative Ver¬<lb/> besserung der Lage der Arbeiter und völlige Entrechtung der Unternehmer, ver¬<lb/> bunden mit einer Abwälzung aller Lasten auf diese.</p><lb/> <p xml:id="ID_156" next="#ID_157"> Gänzlich ideenlos ist auch die Durchführung der zu bolschewistischer Zeit<lb/> verwirklichten großen wirtschaftlichen Umwälzungen. Das Privateigentum an<lb/> Grund und Boden ist durch eines der ersten Dekrete der Nätsregierung am'<lb/> gehoben worden. Zugleich wurde verkündet, daß alles Land in das Eigentum<lb/> des Volkes übergehe, daß aber jeder Bürger einen Anspruch darauf habe, Land<lb/> zu eigner Bewirtschaftung zu erhalten. Abgesehen von der stümperhaften Durch-<lb/> führung dieses Grundsatzes im Dekret selbst, baut er sich auf dem Henry George,<lb/> Tolstoi und anderen Schriftstellern entnommenen Programm der russischen Sozial'</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
vom Geist des Bolschewismus
setzen zu Tage. Im höchsten Maße kennzeichnend hierfür ist die bolschewistische
Gerichtsverfassung, wie sie in zwei Gesetzen vom 7. Dezember 1917 und 17.
Februar 1918 festgelegt wurde. Sie war nichts anderes als eine Nachäffung der
im Jahre 1864 unter Kaiser Alexander II. geschaffenen Gerichtsverfassung. Selbst
deren augenfälligste Mängel wurden sorgfältig erhalten. Insbesondere blieb das
System der zwei von einander unabhängigen Jnstanzenzüge, des Friedensgerichis
und des sogenannten allgemeinen Gerichts bestehen, die nur im Senat eine
gemeinsame Kassationsinstanz besaßen. Die schöpferische Tätigreit der Bolschewisten
beschränkte sich darauf, das alte Gebäude rot anzupinseln. Das geschah in fast
kindischer Weise, indem alle Gerichte fortan als Volksgerichte bezeichnet wurden.
Weiter wurde jede theoretische und praktische Ausbildung der Richter für über¬
flüssig erklärt. Die Räte konnten jeden beliebigen Bewerber wählen, selbst einen
des Lesens und Schreibens Unkundigen. Von einer Unabsetzbarkeit der Richter
war selbstverständlich keine Rede, vielmehr unterlagen auch sie der unbefristeten
Abberufung durch ihre Wähler. Unabhängigkeit wurde den Richtern nur dem
Gesetze gegenüber zugestanden. Grundsätzlich freilich wurde erklärt, daß die
geltenden Gesetze in Kraft blieben mit den: Vorbehalt jedoch, daß diejenigen
ihrer Bestimmungen, die dem revolutionären Rechtsbewußtsein widersprechen, nicht
anzuwenden seien.
Es würde nun die Voraussetzung nahe liegen, daß die Bolschewisten
wenigstens aus dem Gebiet der sozialen Gesetzgebung etwas Neues geschaffen
haben. Auch das ist nicht der Fall. Zu zarischer Zeit bestanden in Rußland
die Ansätze zu einer Arbeitsschutzgesetzgebung, insbesondere zu einer Arbeiter¬
versicherung nach deutschem Muster. Die einstweilige Regierung hat diese
Gesetzgebung ausgestaltet, indem sie die Lasten der Arbeitgeber vergrößerte, ihre
Rechte hingegen verminderte. Die Bolschewisten haben sich damit begnügt, auf
diesem Wege fortzuschreiten. Nachdem zuerst zahlreiche Einzelgssetze erlassen
waren, erging am 31. Oktober 1918 ein zusammenfassendes Dekret. Als neuer
grundlegender Gedanke wurde hierbei verkündet, daß die soziale Versicherung
hinfort nicht mehr den Ersatz ausgefallenen Arbeitslohnes anstrebe, sondern viel¬
mehr die Gewährung von Unterhaltsmitteln im Falle eines solchen Ausfalle?.
Daß das nur eine andere Formulierung de5 Leitgedankens der bürgerlichen
Gesetzgebung, insbesondere der Gesetzgebung des kaiserlichen Deutschlands be¬
deutet, liegt auf der Hand. Und ebensowenig findet sich ein neuer Gedanke in
den Einzelbestimmungen des Dekrets vom 3l. Oktober. Vielmehr unterscheidet
sich dieses von seinen Vorgängern ausschließlich durch eine quantitative Ver¬
besserung der Lage der Arbeiter und völlige Entrechtung der Unternehmer, ver¬
bunden mit einer Abwälzung aller Lasten auf diese.
Gänzlich ideenlos ist auch die Durchführung der zu bolschewistischer Zeit
verwirklichten großen wirtschaftlichen Umwälzungen. Das Privateigentum an
Grund und Boden ist durch eines der ersten Dekrete der Nätsregierung am'
gehoben worden. Zugleich wurde verkündet, daß alles Land in das Eigentum
des Volkes übergehe, daß aber jeder Bürger einen Anspruch darauf habe, Land
zu eigner Bewirtschaftung zu erhalten. Abgesehen von der stümperhaften Durch-
führung dieses Grundsatzes im Dekret selbst, baut er sich auf dem Henry George,
Tolstoi und anderen Schriftstellern entnommenen Programm der russischen Sozial'
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