Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.Aus Geheimberichte" an den Grafen Hertling wird außer durch den im Abdruck beiliegenden Bericht noch durch die nur gestern Ich habe mich mit der Beantwortung der Anfrage beschäftigt, welchen Aus Geheimberichte» an den Grafen Hertling wird außer durch den im Abdruck beiliegenden Bericht noch durch die nur gestern Ich habe mich mit der Beantwortung der Anfrage beschäftigt, welchen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0382" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337619"/> <fw type="header" place="top"> Aus Geheimberichte» an den Grafen Hertling</fw><lb/> <p xml:id="ID_1325" prev="#ID_1324"> wird außer durch den im Abdruck beiliegenden Bericht noch durch die nur gestern<lb/> gewährte Einsichtnahme in den Brief eines ehemaligen österreichisch-ungarischen<lb/> Botschafters verstärkt, der im Auftrag seiner Regierung sich einige Wochen<lb/> unauffällig in den Niederlanden aufgehalten und auf dem Wege über die ver¬<lb/> wandtschaftlichen Beziehungen seiner der englischen Aristokratie angehörenden<lb/> Gemahlin die Stimmung in England abgetastet hat. Das Resümee der Ein¬<lb/> drücke dieses Diplomaten geht dahin, daß England stärker als je von der Not¬<lb/> wendigkeit durchdrungen ist, den Krieg noch etwa zwei Jahre weiterzuführen<lb/> und daß die englischen Staatsmänner überzeugt sind, daß in dieser zeitlichen<lb/> Ausdehnung des Krieges die sicherste Gewähr liege, unseren wirtschaftlichen<lb/> Zusammenbruch und unseren Staatsbankerott vorzubereiten. Es scheint mir<lb/> angesichts aller dieser wahrhaftig ernst zu nehmenden Einzelsymptome sicher»<lb/> daß wir uns zum allermindesten noch auf ein Jahr werden einrichten müssen.<lb/> Daß die Ausführungen des Herrn Reichsschatzsekretärs Helfferich, von denen ich<lb/> habe sagen hören, daß sie dem Herrn Kanzler durch die Nachdrücklichkeit ihres<lb/> Tones den Wind etwas aus den Segeln nehmen sollen, in England wirklich<lb/> den Eindruck machen werden, den er sich davon verspricht, erscheint dem außer¬<lb/> halb Deutschlands Lebenden etwas zweifelhaft. Aller Optimismus sei^in Ehren<lb/> gehalten und jeder Bluff sei zugelassen: aber, daß wir reicher und wirtschaftlich<lb/> stärker konsolidiert sind als England, das ist eine Behauptung von bedenklicher<lb/> Neuheit, von der zu fürchten ist, daß sie gerade ins Gegenteil umschlägt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1326"> Ich habe mich mit der Beantwortung der Anfrage beschäftigt, welchen<lb/> Eindruck die Rede des Herrn Reichskanzlers auf die ihm zugänglichen Kreise<lb/> Italiens und Frankreichs gemacht habe. Soweit sich bis jetzt hier ein Überblick<lb/> über die Presse Englands, Frankreichs und Italiens gewinnen hat lassen, ist die<lb/> Rede von der öffentlichen Meinung des Vierverbandes, und zwar besonders<lb/> scharf in England und Frankreich abgelehnt worden. Die englische Presse, von<lb/> der hier fast sämtliche großen Organe zur Verfügung stehen, hat in verschiedener<lb/> Form den Gedanken zum Ausdruck gebracht, der mir schon früher bei einem<lb/> wohl unterrichteten neutralen Diplomaten begegnet war, nämlich, daß England<lb/> mit Herrn von Bethmann-Hollweg mit Rücksicht auf die von ihm anläßlich<lb/> unseres Einmarsches in Belgien proklamierten Grundsätze unter keinen Um¬<lb/> ständen einen Frieden abschließen werde. Da, wie man weiß, der Herr Kanzler<lb/> unter allen Umständen im Amt zu verbleiben wünscht, sind derartige Äußerungen<lb/> der Auslandspresse sehr mißlich, um so mehr, als bei uns ein Freimut, der bericht¬<lb/> lich etwa auf derartige Strömungen Bezug nehmen wollte, lediglich mit persön¬<lb/> licher Pikiertheit quittiert werden würde. Man will in Berlin nur Angenehmes<lb/> hören, für Unangenehmes ist kaum in einem Privatbrief Platz.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0382]
Aus Geheimberichte» an den Grafen Hertling
wird außer durch den im Abdruck beiliegenden Bericht noch durch die nur gestern
gewährte Einsichtnahme in den Brief eines ehemaligen österreichisch-ungarischen
Botschafters verstärkt, der im Auftrag seiner Regierung sich einige Wochen
unauffällig in den Niederlanden aufgehalten und auf dem Wege über die ver¬
wandtschaftlichen Beziehungen seiner der englischen Aristokratie angehörenden
Gemahlin die Stimmung in England abgetastet hat. Das Resümee der Ein¬
drücke dieses Diplomaten geht dahin, daß England stärker als je von der Not¬
wendigkeit durchdrungen ist, den Krieg noch etwa zwei Jahre weiterzuführen
und daß die englischen Staatsmänner überzeugt sind, daß in dieser zeitlichen
Ausdehnung des Krieges die sicherste Gewähr liege, unseren wirtschaftlichen
Zusammenbruch und unseren Staatsbankerott vorzubereiten. Es scheint mir
angesichts aller dieser wahrhaftig ernst zu nehmenden Einzelsymptome sicher»
daß wir uns zum allermindesten noch auf ein Jahr werden einrichten müssen.
Daß die Ausführungen des Herrn Reichsschatzsekretärs Helfferich, von denen ich
habe sagen hören, daß sie dem Herrn Kanzler durch die Nachdrücklichkeit ihres
Tones den Wind etwas aus den Segeln nehmen sollen, in England wirklich
den Eindruck machen werden, den er sich davon verspricht, erscheint dem außer¬
halb Deutschlands Lebenden etwas zweifelhaft. Aller Optimismus sei^in Ehren
gehalten und jeder Bluff sei zugelassen: aber, daß wir reicher und wirtschaftlich
stärker konsolidiert sind als England, das ist eine Behauptung von bedenklicher
Neuheit, von der zu fürchten ist, daß sie gerade ins Gegenteil umschlägt.
Ich habe mich mit der Beantwortung der Anfrage beschäftigt, welchen
Eindruck die Rede des Herrn Reichskanzlers auf die ihm zugänglichen Kreise
Italiens und Frankreichs gemacht habe. Soweit sich bis jetzt hier ein Überblick
über die Presse Englands, Frankreichs und Italiens gewinnen hat lassen, ist die
Rede von der öffentlichen Meinung des Vierverbandes, und zwar besonders
scharf in England und Frankreich abgelehnt worden. Die englische Presse, von
der hier fast sämtliche großen Organe zur Verfügung stehen, hat in verschiedener
Form den Gedanken zum Ausdruck gebracht, der mir schon früher bei einem
wohl unterrichteten neutralen Diplomaten begegnet war, nämlich, daß England
mit Herrn von Bethmann-Hollweg mit Rücksicht auf die von ihm anläßlich
unseres Einmarsches in Belgien proklamierten Grundsätze unter keinen Um¬
ständen einen Frieden abschließen werde. Da, wie man weiß, der Herr Kanzler
unter allen Umständen im Amt zu verbleiben wünscht, sind derartige Äußerungen
der Auslandspresse sehr mißlich, um so mehr, als bei uns ein Freimut, der bericht¬
lich etwa auf derartige Strömungen Bezug nehmen wollte, lediglich mit persön¬
licher Pikiertheit quittiert werden würde. Man will in Berlin nur Angenehmes
hören, für Unangenehmes ist kaum in einem Privatbrief Platz.
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