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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

setzen wir nicht auf Zugeständnisse von außen, sondern auf die inneren Kräfte der
Nation und ihre unverwüstliche Lebenskraft, für die und aus der heraus wir wirken,

Immer war es ein Fehler der deutschen Nation, daß sie das Heil von außen
her erwartete. Die .Kraft zum Widerstande und zur Selbstbehauptung aber kann
letzten Endes doch nur von innen kommen. Und die Zukunft der Nation hängt a"
ihrer Fähigkeit zur Verjüngung,




Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling*)
et^5-^?)
v Franz von Stockhammern, Ministerialdirektor im Reichsfinanzministerium on III.

Luzern, den 9. November 1915.

!MHsie angebliche Friedensmission des Fürsten Bülow beschäftigt nach
wie vor die politischen Kreise in Bern, wie die publizistischen
Elemente des Vierverbandes. Ich habe in den nunmehr
10 Tagen der Anwesenheit des Fürsten in der Schweiz Gelegen¬
heit gehabt, die Ansicht einer Reihe von Persönlichkeiten zu
hören, die mit den am Genfer See etablierten politischen Zirkeln und mit
den diplomatischen Kreisen der Jntesa in Bern in direkter oder indirekter Be¬
rührung stehen. Scheide ich die Vorfrage, ob Deutschland gegenwärtig nach
dem Frieden begehre, als nicht bestehend und in ihrer Berechtigung auch kate¬
gorisch dementiert, aus der Erörterung aus, so bleibt als die gemeinsame Note,
die sämtliche Äußerungen der in Betracht kommenden politischen Persönlichkeiten
beherrscht, der Ausdruck der geradezu verblüffenden Selbstverständlichkeit, mit
der man in ganz Europa annimmt und erwartet, daß der Fürst uns den Frieden
machen wird. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß niemand begreifen würde,
wenn Deutschland sich freiwillig des Gewichtes einer Persönlichkeit berauben
würde, die im Auslande unter allen unseren Staatsmännern auch heute noch
als die stärkste bewertet wird. Ja, ich möchte fast annehmen, daß der Glanz, der
seinen Namen und seine Person in den Augen der diplomatischen Kreise Europas
umstrahlt, unter dem Eindruck seiner mit Würde und Selbstbeherrschung er¬
tragenen Zurückgezogenheit von den Geschäften unseres Vaterlandes eher zu¬
genommen hat. Die zum Teil sehr üblen Elemente, die in Berlin gegen eine
eventuelle Friedensmission des Fürsten zu arbeiten voraussichtlich bald am
Werke sein werden, können, wenn sie einigermaßen über die Stimmung im
Auslande unterrichtet sind, sich nicht einmal damit selbst belügen, daß sie damit
dem Vaterlande einen Dienst erweisen. Denn darüber kann für jemand, der
hier im neutralen Ausland die Stimmen aus allen Lagern hört, ein Zweifel



*) Vgl. Grenzboten Heft 23/24, S, SS7ff. und SS, S. 344ff.
Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling

setzen wir nicht auf Zugeständnisse von außen, sondern auf die inneren Kräfte der
Nation und ihre unverwüstliche Lebenskraft, für die und aus der heraus wir wirken,

Immer war es ein Fehler der deutschen Nation, daß sie das Heil von außen
her erwartete. Die .Kraft zum Widerstande und zur Selbstbehauptung aber kann
letzten Endes doch nur von innen kommen. Und die Zukunft der Nation hängt a»
ihrer Fähigkeit zur Verjüngung,




Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling*)
et^5-^?)
v Franz von Stockhammern, Ministerialdirektor im Reichsfinanzministerium on III.

Luzern, den 9. November 1915.

!MHsie angebliche Friedensmission des Fürsten Bülow beschäftigt nach
wie vor die politischen Kreise in Bern, wie die publizistischen
Elemente des Vierverbandes. Ich habe in den nunmehr
10 Tagen der Anwesenheit des Fürsten in der Schweiz Gelegen¬
heit gehabt, die Ansicht einer Reihe von Persönlichkeiten zu
hören, die mit den am Genfer See etablierten politischen Zirkeln und mit
den diplomatischen Kreisen der Jntesa in Bern in direkter oder indirekter Be¬
rührung stehen. Scheide ich die Vorfrage, ob Deutschland gegenwärtig nach
dem Frieden begehre, als nicht bestehend und in ihrer Berechtigung auch kate¬
gorisch dementiert, aus der Erörterung aus, so bleibt als die gemeinsame Note,
die sämtliche Äußerungen der in Betracht kommenden politischen Persönlichkeiten
beherrscht, der Ausdruck der geradezu verblüffenden Selbstverständlichkeit, mit
der man in ganz Europa annimmt und erwartet, daß der Fürst uns den Frieden
machen wird. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß niemand begreifen würde,
wenn Deutschland sich freiwillig des Gewichtes einer Persönlichkeit berauben
würde, die im Auslande unter allen unseren Staatsmännern auch heute noch
als die stärkste bewertet wird. Ja, ich möchte fast annehmen, daß der Glanz, der
seinen Namen und seine Person in den Augen der diplomatischen Kreise Europas
umstrahlt, unter dem Eindruck seiner mit Würde und Selbstbeherrschung er¬
tragenen Zurückgezogenheit von den Geschäften unseres Vaterlandes eher zu¬
genommen hat. Die zum Teil sehr üblen Elemente, die in Berlin gegen eine
eventuelle Friedensmission des Fürsten zu arbeiten voraussichtlich bald am
Werke sein werden, können, wenn sie einigermaßen über die Stimmung im
Auslande unterrichtet sind, sich nicht einmal damit selbst belügen, daß sie damit
dem Vaterlande einen Dienst erweisen. Denn darüber kann für jemand, der
hier im neutralen Ausland die Stimmen aus allen Lagern hört, ein Zweifel



*) Vgl. Grenzboten Heft 23/24, S, SS7ff. und SS, S. 344ff.
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[0378] Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling setzen wir nicht auf Zugeständnisse von außen, sondern auf die inneren Kräfte der Nation und ihre unverwüstliche Lebenskraft, für die und aus der heraus wir wirken, Immer war es ein Fehler der deutschen Nation, daß sie das Heil von außen her erwartete. Die .Kraft zum Widerstande und zur Selbstbehauptung aber kann letzten Endes doch nur von innen kommen. Und die Zukunft der Nation hängt a» ihrer Fähigkeit zur Verjüngung, Aus Geheimberichten an den Grafen Hertling*) et^5-^?) v Franz von Stockhammern, Ministerialdirektor im Reichsfinanzministerium on III. Luzern, den 9. November 1915. !MHsie angebliche Friedensmission des Fürsten Bülow beschäftigt nach wie vor die politischen Kreise in Bern, wie die publizistischen Elemente des Vierverbandes. Ich habe in den nunmehr 10 Tagen der Anwesenheit des Fürsten in der Schweiz Gelegen¬ heit gehabt, die Ansicht einer Reihe von Persönlichkeiten zu hören, die mit den am Genfer See etablierten politischen Zirkeln und mit den diplomatischen Kreisen der Jntesa in Bern in direkter oder indirekter Be¬ rührung stehen. Scheide ich die Vorfrage, ob Deutschland gegenwärtig nach dem Frieden begehre, als nicht bestehend und in ihrer Berechtigung auch kate¬ gorisch dementiert, aus der Erörterung aus, so bleibt als die gemeinsame Note, die sämtliche Äußerungen der in Betracht kommenden politischen Persönlichkeiten beherrscht, der Ausdruck der geradezu verblüffenden Selbstverständlichkeit, mit der man in ganz Europa annimmt und erwartet, daß der Fürst uns den Frieden machen wird. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß niemand begreifen würde, wenn Deutschland sich freiwillig des Gewichtes einer Persönlichkeit berauben würde, die im Auslande unter allen unseren Staatsmännern auch heute noch als die stärkste bewertet wird. Ja, ich möchte fast annehmen, daß der Glanz, der seinen Namen und seine Person in den Augen der diplomatischen Kreise Europas umstrahlt, unter dem Eindruck seiner mit Würde und Selbstbeherrschung er¬ tragenen Zurückgezogenheit von den Geschäften unseres Vaterlandes eher zu¬ genommen hat. Die zum Teil sehr üblen Elemente, die in Berlin gegen eine eventuelle Friedensmission des Fürsten zu arbeiten voraussichtlich bald am Werke sein werden, können, wenn sie einigermaßen über die Stimmung im Auslande unterrichtet sind, sich nicht einmal damit selbst belügen, daß sie damit dem Vaterlande einen Dienst erweisen. Denn darüber kann für jemand, der hier im neutralen Ausland die Stimmen aus allen Lagern hört, ein Zweifel *) Vgl. Grenzboten Heft 23/24, S, SS7ff. und SS, S. 344ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/378>, abgerufen am 22.07.2024.