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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Hochseeflotte im Weltkrieg

politische Umwälzung und durch die Weigerung der verantwortlichen Stellen, vom
deutschen Volk eine letzte Kraftanstrengung zu verlangen.

So konnte die O, H. L. und der deutsche Generalstab nur noch einmal ein
Meisterwerk in der Organisierung des Rückzuges leisten, welcher die Heere in
der unmöglich scheinenden kurzen Zeit umgeschlagen in die vereinbarten Linien
zurückführte.

Soweit die Knappheit des Raumes gestattete, sind vorstehend die Gedanken
des Verfassers auszugsweise wiedergegeben worden. DaS kurze Schlußwort seines
Werkes muß aber jeder selber Ksen, den der Stoff fesselt.

Nur eins muß noch erwähnt werden als Kern aller Ausführungen. Der
deutsche Operatioiisplcm, den Graf Schliessen erdachte, ragt hoch hinaus als
Meisterwerk über alle Dilettantentritik. Da er ein Kunstwerk war, fügte er sich
nur der Hand des Künstlers. Die Künstler im deutschen Heere ließ das
Schicksal 1914 aber nicht an der leitenden Stelle erscheinen, und demi handwerks¬
mäßigen Betriebe gelang die Durchführung des Werkes nicht. Als im Wechsel
des Krieges der Künstler auf deutscher Seite endlich zu Worte kam, da war der
Augenblick verpaßt.

Nichts aber ist ewig in der Geschichte der Welt. Was heute unten ist, steigt
morgen zur Höhe von gestern.




Deutschlands Hochseeflotte im Weltkrieg
Betrachtungen zum gleichnamigen Werk des Admiral" Scheer*) Kapitän z. See a> D. von Waldeyer-Hartz von

Nachstehenden Artikel unsere? geschätzten Mitarbeiter" geben wir
Wieder al! ein Spiegelbild der Auffassungen, die sich um das Scheer'sche
Buch gruppieren. Uns scheint in dieser Auffassung ein Widerspruch
enthalten. Einerseits hebt u"ser Mitarbeiter mit guten Gründen
hervor, daß Politische Trugschlüsse der damaligen NeichSleitung, nament¬
lich der Glaube an eine Verständigungsmözlichkeit mit England den
rechtzeitigen Einsatz der Hochseeflotte verhindert haben. Auf der anderen
Seite geht aber der Verfasser in dem begreiflichen Bestreben, begangene
Unterlassungen noch lebender Persönlichkeiten milde zu behandeln,
entschieden zu weit, wenn er auch marinetechnische Gründe für das
Nichtcinsetzen der Schlachtflotte im Jahre 1914 anführt. Die Rücksicht
auf die russische Flotte durft" uns niemals verhindern, ein Skagerrak
schon 1914 zu suchen. Das Fazit der durch Vethmann Hollweg und
seine Parteigänger betriebenen Marinestrategie ist Scapa Flow, Es
handelt sich doch heute nur um die Alternative Scapa Flow oder
grundsätzliches Drängen nach einer Seeschlacht. Daß die zweit- Mög-

*) Verlag Aug. schert, Bevlin 1920.
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Deutschlands Hochseeflotte im Weltkrieg

politische Umwälzung und durch die Weigerung der verantwortlichen Stellen, vom
deutschen Volk eine letzte Kraftanstrengung zu verlangen.

So konnte die O, H. L. und der deutsche Generalstab nur noch einmal ein
Meisterwerk in der Organisierung des Rückzuges leisten, welcher die Heere in
der unmöglich scheinenden kurzen Zeit umgeschlagen in die vereinbarten Linien
zurückführte.

Soweit die Knappheit des Raumes gestattete, sind vorstehend die Gedanken
des Verfassers auszugsweise wiedergegeben worden. DaS kurze Schlußwort seines
Werkes muß aber jeder selber Ksen, den der Stoff fesselt.

Nur eins muß noch erwähnt werden als Kern aller Ausführungen. Der
deutsche Operatioiisplcm, den Graf Schliessen erdachte, ragt hoch hinaus als
Meisterwerk über alle Dilettantentritik. Da er ein Kunstwerk war, fügte er sich
nur der Hand des Künstlers. Die Künstler im deutschen Heere ließ das
Schicksal 1914 aber nicht an der leitenden Stelle erscheinen, und demi handwerks¬
mäßigen Betriebe gelang die Durchführung des Werkes nicht. Als im Wechsel
des Krieges der Künstler auf deutscher Seite endlich zu Worte kam, da war der
Augenblick verpaßt.

Nichts aber ist ewig in der Geschichte der Welt. Was heute unten ist, steigt
morgen zur Höhe von gestern.




Deutschlands Hochseeflotte im Weltkrieg
Betrachtungen zum gleichnamigen Werk des Admiral» Scheer*) Kapitän z. See a> D. von Waldeyer-Hartz von

Nachstehenden Artikel unsere? geschätzten Mitarbeiter» geben wir
Wieder al! ein Spiegelbild der Auffassungen, die sich um das Scheer'sche
Buch gruppieren. Uns scheint in dieser Auffassung ein Widerspruch
enthalten. Einerseits hebt u«ser Mitarbeiter mit guten Gründen
hervor, daß Politische Trugschlüsse der damaligen NeichSleitung, nament¬
lich der Glaube an eine Verständigungsmözlichkeit mit England den
rechtzeitigen Einsatz der Hochseeflotte verhindert haben. Auf der anderen
Seite geht aber der Verfasser in dem begreiflichen Bestreben, begangene
Unterlassungen noch lebender Persönlichkeiten milde zu behandeln,
entschieden zu weit, wenn er auch marinetechnische Gründe für das
Nichtcinsetzen der Schlachtflotte im Jahre 1914 anführt. Die Rücksicht
auf die russische Flotte durft« uns niemals verhindern, ein Skagerrak
schon 1914 zu suchen. Das Fazit der durch Vethmann Hollweg und
seine Parteigänger betriebenen Marinestrategie ist Scapa Flow, Es
handelt sich doch heute nur um die Alternative Scapa Flow oder
grundsätzliches Drängen nach einer Seeschlacht. Daß die zweit- Mög-

*) Verlag Aug. schert, Bevlin 1920.
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[0321] Deutschlands Hochseeflotte im Weltkrieg politische Umwälzung und durch die Weigerung der verantwortlichen Stellen, vom deutschen Volk eine letzte Kraftanstrengung zu verlangen. So konnte die O, H. L. und der deutsche Generalstab nur noch einmal ein Meisterwerk in der Organisierung des Rückzuges leisten, welcher die Heere in der unmöglich scheinenden kurzen Zeit umgeschlagen in die vereinbarten Linien zurückführte. Soweit die Knappheit des Raumes gestattete, sind vorstehend die Gedanken des Verfassers auszugsweise wiedergegeben worden. DaS kurze Schlußwort seines Werkes muß aber jeder selber Ksen, den der Stoff fesselt. Nur eins muß noch erwähnt werden als Kern aller Ausführungen. Der deutsche Operatioiisplcm, den Graf Schliessen erdachte, ragt hoch hinaus als Meisterwerk über alle Dilettantentritik. Da er ein Kunstwerk war, fügte er sich nur der Hand des Künstlers. Die Künstler im deutschen Heere ließ das Schicksal 1914 aber nicht an der leitenden Stelle erscheinen, und demi handwerks¬ mäßigen Betriebe gelang die Durchführung des Werkes nicht. Als im Wechsel des Krieges der Künstler auf deutscher Seite endlich zu Worte kam, da war der Augenblick verpaßt. Nichts aber ist ewig in der Geschichte der Welt. Was heute unten ist, steigt morgen zur Höhe von gestern. Deutschlands Hochseeflotte im Weltkrieg Betrachtungen zum gleichnamigen Werk des Admiral» Scheer*) Kapitän z. See a> D. von Waldeyer-Hartz von Nachstehenden Artikel unsere? geschätzten Mitarbeiter» geben wir Wieder al! ein Spiegelbild der Auffassungen, die sich um das Scheer'sche Buch gruppieren. Uns scheint in dieser Auffassung ein Widerspruch enthalten. Einerseits hebt u«ser Mitarbeiter mit guten Gründen hervor, daß Politische Trugschlüsse der damaligen NeichSleitung, nament¬ lich der Glaube an eine Verständigungsmözlichkeit mit England den rechtzeitigen Einsatz der Hochseeflotte verhindert haben. Auf der anderen Seite geht aber der Verfasser in dem begreiflichen Bestreben, begangene Unterlassungen noch lebender Persönlichkeiten milde zu behandeln, entschieden zu weit, wenn er auch marinetechnische Gründe für das Nichtcinsetzen der Schlachtflotte im Jahre 1914 anführt. Die Rücksicht auf die russische Flotte durft« uns niemals verhindern, ein Skagerrak schon 1914 zu suchen. Das Fazit der durch Vethmann Hollweg und seine Parteigänger betriebenen Marinestrategie ist Scapa Flow, Es handelt sich doch heute nur um die Alternative Scapa Flow oder grundsätzliches Drängen nach einer Seeschlacht. Daß die zweit- Mög- *) Verlag Aug. schert, Bevlin 1920. 21*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/321>, abgerufen am 27.08.2024.