Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.Aus Geheimberichten an den Grufcn Zeitung Für Graf Hertling stand hingegen die Frage im Vordergrund, ob Wien Jede Reise nach Berlin oder München bestätigte dem ans neutralem Lande Aus Geheimberichten an den Grufcn Zeitung Für Graf Hertling stand hingegen die Frage im Vordergrund, ob Wien Jede Reise nach Berlin oder München bestätigte dem ans neutralem Lande <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0297" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337534"/> <fw type="header" place="top"> Aus Geheimberichten an den Grufcn Zeitung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1002"> Für Graf Hertling stand hingegen die Frage im Vordergrund, ob Wien<lb/> ein Opfer überhaupt zugemutet werden könne, eine Frage, die er unbedingt ver¬<lb/> neinte. Die Abneigung gegen den Fürsten Bülow, die in Wien herrschte, fand<lb/> beim Grafen Hertling Widerhall, wobei nicht verschwiegen werden darf, daß dieser<lb/> Wiener Abneigung von Berlin ans verständnisvoll dadurch nachgeholfen wurde,<lb/> daß «us Berichten und Briefen des Fürsten dies oder jenes, was nicht gerade<lb/> schmeichelhaft für die Wiener Politik war, von der Spree in die Donau geleitet<lb/> wurde. So wurde erreicht, daß bei jeder Berliner Kauzlerkrisis Wien gegen eine<lb/> etwaige Wiederberufung des Fürsten Bülow Widerspruch erhob, was sich in der<lb/> Zeit des Friedens von Brest-Litowsk bis zu jenem Artikel des offiziösen „Wiener<lb/> Fremdenblattes" steigerte, der sich für den Fall der Rückkehr des Fürsten in<lb/> geradezu dreisten Drohungen 'erging. Hierbei ist nicht zu vergessen, daß seit<lb/> dein Bestehen des deutsch-österreichischen Bündnisses, das heißt, während fast<lb/> 40 Jahren, Deutschland sich sorgsam jeder Einmischung in österreichische Personal¬<lb/> fragen enthalte» und nie auch nur andeutungsweise diesen oder jenen öster¬<lb/> reichischen Ministerkandidaten als persons. minus xra,ta bezeichnet hatte. Kaum<lb/> ein Jahr nachdem das Reich Bismarcks sich eine solche Jngerenz hatte gefallen<lb/> lassen, brach Osterreich zusammen und wir, Gott sei es geklagt, mit ihm. Ju<lb/> späteren.Jahren, wenn über diese Vorgänge freier gesprochen werden kann, wird<lb/> über dieses Kapitel noch manches zu sagen sein. Es waren an Idiosynkrasie ge¬<lb/> mahnende Erregungszustände, in die mau sowohl in der Berliner Wilhelmstraße<lb/> wie auf dem Wiener Ballhausplatz geriet, wenn der Name des Fürsten Bülow<lb/> in der Auslandspresse etwa mit der Unternote austauchte, der Fürst werde Deutsch¬<lb/> land bei den seinerzeitigen Friedensverhandlungen vertreten. Daß Fürst Bülow<lb/> in der Schweiz sich in vornehmster Weise von jeder politischen Betätigung zurück¬<lb/> hielt, daß er keinen fremden Diplomaten, nie einen fremden Journalisten sah,<lb/> wurde ignoriert. Es offenbarte sich in diesem Punkt zwischen Wien, Berlin<lb/> und München eine Eintracht und Herzlichkeit, eine Nückhaltslosigkeit des Ver¬<lb/> trauens und eine Entschlossenheit zu gemeinsamer Abwehr, von der man nur<lb/> hätte wünschen können, daß sie in Lebensfragen der Nation sich ähnlich aktiv<lb/> manifestiert hätte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1003" next="#ID_1004"> Jede Reise nach Berlin oder München bestätigte dem ans neutralem Lande<lb/> Kommenden auss neue deu Unterschied, der zwischen dem Nebelmeer von<lb/> Illusionen, das über dem Reiche lagerte und der klaren, scharfen Luft nüchterner<lb/> Kritik bestand, wie sie in Bern und anderen Orten der Schweiz wehte, wo sich<lb/> Diplomaten und Nachrichten aus alleu Ländern des kämpfenden Erdkreises<lb/> kreuzten. Der stärkste Eindruck, den ich in dieser Hinsicht empfing, war die an<lb/> einen Jubelrausch gemahnende Stimmung, die ich am 13. Dezember tolle<lb/> in Berlin antraf, wo man eben das seit Monaten vorbereitete, in der<lb/> Schweiz bereits signalisierte Friedensangebot der Zentvalmächte bekannt gegeben<lb/> hatte. Zwei Herren aus der nächsten Umgebung des Reichskanzlers von Beth<lb/> wann Hollweg, zu denen mich mein dienstlicher Weg führte, gaben ihrer strahlen¬<lb/> den Zuversicht auf das unmittelbare Bevorstehen des Friedensschlusses einen so<lb/> treuherzigen Ausdruck, daß man versucht war, zu glauben, die Entente habe<lb/> Deutschland deu Frieden angeboten, und man komme aus einem Land der Träume</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0297]
Aus Geheimberichten an den Grufcn Zeitung
Für Graf Hertling stand hingegen die Frage im Vordergrund, ob Wien
ein Opfer überhaupt zugemutet werden könne, eine Frage, die er unbedingt ver¬
neinte. Die Abneigung gegen den Fürsten Bülow, die in Wien herrschte, fand
beim Grafen Hertling Widerhall, wobei nicht verschwiegen werden darf, daß dieser
Wiener Abneigung von Berlin ans verständnisvoll dadurch nachgeholfen wurde,
daß «us Berichten und Briefen des Fürsten dies oder jenes, was nicht gerade
schmeichelhaft für die Wiener Politik war, von der Spree in die Donau geleitet
wurde. So wurde erreicht, daß bei jeder Berliner Kauzlerkrisis Wien gegen eine
etwaige Wiederberufung des Fürsten Bülow Widerspruch erhob, was sich in der
Zeit des Friedens von Brest-Litowsk bis zu jenem Artikel des offiziösen „Wiener
Fremdenblattes" steigerte, der sich für den Fall der Rückkehr des Fürsten in
geradezu dreisten Drohungen 'erging. Hierbei ist nicht zu vergessen, daß seit
dein Bestehen des deutsch-österreichischen Bündnisses, das heißt, während fast
40 Jahren, Deutschland sich sorgsam jeder Einmischung in österreichische Personal¬
fragen enthalte» und nie auch nur andeutungsweise diesen oder jenen öster¬
reichischen Ministerkandidaten als persons. minus xra,ta bezeichnet hatte. Kaum
ein Jahr nachdem das Reich Bismarcks sich eine solche Jngerenz hatte gefallen
lassen, brach Osterreich zusammen und wir, Gott sei es geklagt, mit ihm. Ju
späteren.Jahren, wenn über diese Vorgänge freier gesprochen werden kann, wird
über dieses Kapitel noch manches zu sagen sein. Es waren an Idiosynkrasie ge¬
mahnende Erregungszustände, in die mau sowohl in der Berliner Wilhelmstraße
wie auf dem Wiener Ballhausplatz geriet, wenn der Name des Fürsten Bülow
in der Auslandspresse etwa mit der Unternote austauchte, der Fürst werde Deutsch¬
land bei den seinerzeitigen Friedensverhandlungen vertreten. Daß Fürst Bülow
in der Schweiz sich in vornehmster Weise von jeder politischen Betätigung zurück¬
hielt, daß er keinen fremden Diplomaten, nie einen fremden Journalisten sah,
wurde ignoriert. Es offenbarte sich in diesem Punkt zwischen Wien, Berlin
und München eine Eintracht und Herzlichkeit, eine Nückhaltslosigkeit des Ver¬
trauens und eine Entschlossenheit zu gemeinsamer Abwehr, von der man nur
hätte wünschen können, daß sie in Lebensfragen der Nation sich ähnlich aktiv
manifestiert hätte.
Jede Reise nach Berlin oder München bestätigte dem ans neutralem Lande
Kommenden auss neue deu Unterschied, der zwischen dem Nebelmeer von
Illusionen, das über dem Reiche lagerte und der klaren, scharfen Luft nüchterner
Kritik bestand, wie sie in Bern und anderen Orten der Schweiz wehte, wo sich
Diplomaten und Nachrichten aus alleu Ländern des kämpfenden Erdkreises
kreuzten. Der stärkste Eindruck, den ich in dieser Hinsicht empfing, war die an
einen Jubelrausch gemahnende Stimmung, die ich am 13. Dezember tolle
in Berlin antraf, wo man eben das seit Monaten vorbereitete, in der
Schweiz bereits signalisierte Friedensangebot der Zentvalmächte bekannt gegeben
hatte. Zwei Herren aus der nächsten Umgebung des Reichskanzlers von Beth
wann Hollweg, zu denen mich mein dienstlicher Weg führte, gaben ihrer strahlen¬
den Zuversicht auf das unmittelbare Bevorstehen des Friedensschlusses einen so
treuherzigen Ausdruck, daß man versucht war, zu glauben, die Entente habe
Deutschland deu Frieden angeboten, und man komme aus einem Land der Träume
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |