Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.Die Reichsfinanzreform -l 9 59-20 Es Wird sich später zu erweisen haben, ob tatsächlich hier ein Weg in die Für diesen Versuch sprach insbesondere, daß alle modernen Großstaaten Die Reichsfinanzreform -l 9 59-20 Es Wird sich später zu erweisen haben, ob tatsächlich hier ein Weg in die Für diesen Versuch sprach insbesondere, daß alle modernen Großstaaten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337495"/> <fw type="header" place="top"> Die Reichsfinanzreform -l 9 59-20</fw><lb/> <p xml:id="ID_878"> Es Wird sich später zu erweisen haben, ob tatsächlich hier ein Weg in die<lb/> Zukunft gefunden wurde. Zeigt es sich, daß dem so ist, und man kann es nur<lb/> wünschen, daß es so kommt, auch wenn man gern andere Wege eingeschlagen<lb/> gesehen hätte — dann werden auch die Gesichtspunkte in den Hintergrund treten,<lb/> die seither in dem Kampf der Meinungen und Parteiungen allzusehr vernachlässigt<lb/> wurden. Ich meine hier vor allem und gerade die Tatsache, daß diese wirkliche<lb/> echte Neichssincmzreform nicht blindlings ins Blaue hinein neue Wege eingeschlagen<lb/> und, trotz Revolution und Versailles, darauf verzichtet hat, sozusagen über Nacht<lb/> ein neues Deutschland aus dem Boden zu stampfen. Es sollte auch den Gegner<lb/> sympathisch berühren, daß statt dessen vorsichtig — vielleicht sogar allzu vor¬<lb/> sichtig — in Anknüpfung an Gewesenes, durch den Ausbau vorhandener Ein¬<lb/> richtungen und den Weiterbau in bereits längst bestimmt vorgezeichneten Richt¬<lb/> linien aus den Trümmern der Vergangenheit ein neues Gebäude zu fundieren<lb/> unternommen wurde. Die der Reform so oft vorgeworfene Ökonomie des<lb/> politischen Denkens hat sehr ihre Berechtigung. Fehlt es doch heute fast ganz<lb/> an den beiden wichtigsten Dingen: Steuermoral und, was dasselbe ist, Staats¬<lb/> gesinnung; von dieser Erwägung aus hatte ich meine anderweiten Gedanken<lb/> entwickelt, die an, sagen wir ruhig, letzten Endes syndikalistische Tendenzen und<lb/> an Vereinbarungen anknüpfen wollten, da diese meines Einesteils heute an Stelle der<lb/> Staatsgllsimnmg herrschen. Wollte man sich diesem Vorschlag nicht anschließen, so<lb/> blieb nur die Möglichkeit des Versuchs, an das seither Gewesene anzuknüpfen,<lb/> um darüber vielleicht eine straffe und zentralistische Finanzorganisatiou als das<lb/> Fundament eines neuen Gebäudes aufzurichten, in dem dann auch Staats-<lb/> gesinnung und Steuermoral wieder erwachsen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_879" next="#ID_880"> Für diesen Versuch sprach insbesondere, daß alle modernen Großstaaten<lb/> aus einer an früher Gewesenes' anknüpfenden zentralistischen Finanzorganisation<lb/> heraus erwachsen sind. Eine solche allein ermöglicht es, einen Flächenstaat auf¬<lb/> zurichten, in dem Raum ist für Dezentralisation und für Selbstverwaltung der<lb/> örtlichen Sonderinteressen — ein Gedanke, den sich schon die Stein-Hardenbergsche<lb/> Neformgesetzgebung zu eigen gemacht hatte und namentlich in deren Finanzreform<lb/> von 1818—1820 deutlich zu erkennen ist. Sind über eine allen berechtigten<lb/> Sonderinteressen Rechnung tragende, nicht mehr „gemeinschaftliche", sondern ge¬<lb/> samtheitliche, das heißt staatliche Finanzorgamsation die verselbständigten örtlichen<lb/> Interessen auf Gedeih und Verderb verbunden, dann ist der allmähliche Ausgleich<lb/> möglich, der den Einzelnen sich im großen Ganzen und sein Interesse im Gesamtinteresse<lb/> wiederfinden läßt. Ich habe 1916 zu zeigen versucht, daß schon in der seitherigen Reichs-<lb/> stnanzgeschichte, trotz des späteren Abgchens von diesem ursprünglichen Programm<lb/> der Reichsverfassung von 1871 und aller zum Teil sehr unerfreulichen Erscheinungen<lb/> ungeachtet, ein solcher Zug auf den Einheitstaat hin nachweisbar ist. In der<lb/> Verbindung zum Reiche lag der Grund für die Erstarkung der örtlichen Sonder¬<lb/> entwicklung in den letzten Jahrzehnten, und das Aufgeben immer weiterer Stücke<lb/> der örtlichen Finanzgewalten zugunsten des Reichs war nicht der Schaden der<lb/> örtlichen Sonderiuteressen. Wenn auch die örtliche Finanzverwaltung immer<lb/> schwieriger geworden sein mag, so hat man doch innerhalb der umfassenderen<lb/> staatlichen Gemeinschaft Reich — also durch den Zusammenhalt mit seinesgleichen<lb/> und durch gemeinschaftliche Arbeit am größeren Ganzen auf gemeinsame Rech-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0258]
Die Reichsfinanzreform -l 9 59-20
Es Wird sich später zu erweisen haben, ob tatsächlich hier ein Weg in die
Zukunft gefunden wurde. Zeigt es sich, daß dem so ist, und man kann es nur
wünschen, daß es so kommt, auch wenn man gern andere Wege eingeschlagen
gesehen hätte — dann werden auch die Gesichtspunkte in den Hintergrund treten,
die seither in dem Kampf der Meinungen und Parteiungen allzusehr vernachlässigt
wurden. Ich meine hier vor allem und gerade die Tatsache, daß diese wirkliche
echte Neichssincmzreform nicht blindlings ins Blaue hinein neue Wege eingeschlagen
und, trotz Revolution und Versailles, darauf verzichtet hat, sozusagen über Nacht
ein neues Deutschland aus dem Boden zu stampfen. Es sollte auch den Gegner
sympathisch berühren, daß statt dessen vorsichtig — vielleicht sogar allzu vor¬
sichtig — in Anknüpfung an Gewesenes, durch den Ausbau vorhandener Ein¬
richtungen und den Weiterbau in bereits längst bestimmt vorgezeichneten Richt¬
linien aus den Trümmern der Vergangenheit ein neues Gebäude zu fundieren
unternommen wurde. Die der Reform so oft vorgeworfene Ökonomie des
politischen Denkens hat sehr ihre Berechtigung. Fehlt es doch heute fast ganz
an den beiden wichtigsten Dingen: Steuermoral und, was dasselbe ist, Staats¬
gesinnung; von dieser Erwägung aus hatte ich meine anderweiten Gedanken
entwickelt, die an, sagen wir ruhig, letzten Endes syndikalistische Tendenzen und
an Vereinbarungen anknüpfen wollten, da diese meines Einesteils heute an Stelle der
Staatsgllsimnmg herrschen. Wollte man sich diesem Vorschlag nicht anschließen, so
blieb nur die Möglichkeit des Versuchs, an das seither Gewesene anzuknüpfen,
um darüber vielleicht eine straffe und zentralistische Finanzorganisatiou als das
Fundament eines neuen Gebäudes aufzurichten, in dem dann auch Staats-
gesinnung und Steuermoral wieder erwachsen können.
Für diesen Versuch sprach insbesondere, daß alle modernen Großstaaten
aus einer an früher Gewesenes' anknüpfenden zentralistischen Finanzorganisation
heraus erwachsen sind. Eine solche allein ermöglicht es, einen Flächenstaat auf¬
zurichten, in dem Raum ist für Dezentralisation und für Selbstverwaltung der
örtlichen Sonderinteressen — ein Gedanke, den sich schon die Stein-Hardenbergsche
Neformgesetzgebung zu eigen gemacht hatte und namentlich in deren Finanzreform
von 1818—1820 deutlich zu erkennen ist. Sind über eine allen berechtigten
Sonderinteressen Rechnung tragende, nicht mehr „gemeinschaftliche", sondern ge¬
samtheitliche, das heißt staatliche Finanzorgamsation die verselbständigten örtlichen
Interessen auf Gedeih und Verderb verbunden, dann ist der allmähliche Ausgleich
möglich, der den Einzelnen sich im großen Ganzen und sein Interesse im Gesamtinteresse
wiederfinden läßt. Ich habe 1916 zu zeigen versucht, daß schon in der seitherigen Reichs-
stnanzgeschichte, trotz des späteren Abgchens von diesem ursprünglichen Programm
der Reichsverfassung von 1871 und aller zum Teil sehr unerfreulichen Erscheinungen
ungeachtet, ein solcher Zug auf den Einheitstaat hin nachweisbar ist. In der
Verbindung zum Reiche lag der Grund für die Erstarkung der örtlichen Sonder¬
entwicklung in den letzten Jahrzehnten, und das Aufgeben immer weiterer Stücke
der örtlichen Finanzgewalten zugunsten des Reichs war nicht der Schaden der
örtlichen Sonderiuteressen. Wenn auch die örtliche Finanzverwaltung immer
schwieriger geworden sein mag, so hat man doch innerhalb der umfassenderen
staatlichen Gemeinschaft Reich — also durch den Zusammenhalt mit seinesgleichen
und durch gemeinschaftliche Arbeit am größeren Ganzen auf gemeinsame Rech-
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