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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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man feststellen, daß die Politischen und diplo¬
matischen Beziehungen am Anfang des 19.
Jahrhunderts eine radikale Änderung er¬
fahren haben. In der Tat läßt ein Hinblick
auf die Geschichte dieses Jahrhunderts die
folgenden Tatsachen klar werden:

1. Französische Intrigen gegen die Tür¬
ken, die Weis von Algier und die Beis von
Tunis, die der Annexion der beiden Länder
widerstrebt haben, der beiden Länder, deren
Bevölkerung bis heute unter ein eisernes
Regime gestellt wurde, französische Intrigen
Ägypten gegenüber beim großen Mehe-
med Ali, die den Zweck hatten, den letzteren
gegen die Türkei aufzuhetzen, um ihn zu
schwächen und dann einen Handstreich gegen
Ägypten zu unternehmen.

2. Die Rolle der französischen Diplo¬
matie in den Ereignissen, die dem Unab¬
hängigkeitskrieg Griechenlands gegen die
Türkei vorangingen, die der Türkei feindliche
Haltung der französischen Diplomatie wäh¬
rend der Emanzipation der Balkanbölker.

3. Die französischen Intrigen im Libanon
und in Syrien, die dahin zielten, eine feind¬
selige, separatistische Neigung hinsichtlich des
ottomanischen Reiches zu nähren und Wirren
zu erregen, um in diesem Teil der Türkei
das zu erleichtern, was in Algier und Tunis
eingetreten ist.

4. Der Vertrag von 1904 zwischen Frank¬
reich und England, der Ägypten dem letz¬
teren ausgeliefert hat.

6. Die Rolle, die Herr Poincarö gespielt
hat im Laufe des japanischen Krieges, nach¬
dem er den status quo proklamiert hatte
sich dann als Kämpfer für die Abtrennung,
der Türkei von Europa offenbarte, sobald
der Erfolg der Feinde der Türkei sich her¬
ausgestellt hatte.

6. Die Entfesselung deS offiziell hervor¬
gerufenen Hasses, der sich in der französi¬
schen Presse gegen die Türkei zeigte während
des Massakers der Türken in der europäischen
Türkei und ihrer Auswanderung auf astati¬
sches Gebiet. Es gibt tatsächlich kein Bei¬
spiel in der Geschichte dafür, daß ein be¬
siegtes Volk so feige von alten Freunden
beschimpft, gehetzt und verleumdet worden
sei, von alten Freunden, deren direkte oder
indirekte Interessen gar nicht in Frage stan¬

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den. Nach einigen französischen, von der
Regierung inspirierten Blättern sei der
Krieg der kleinen christlichen Staaten gegen
die Türkei ein richtiger heiliger Krieg, ein
Kreuzzug gewesen: das Kreuz gegen den
Halbmond. Man hatte in Frankreich Eile,
die türkischen Horden wieder auf die asiati¬
schen Hochebenen zurückzubringen und die
Hagia Sophia wieder ihrem alten Kultus
zurückzugeben. Wenn man zu dem allem
die skandalösen Enthüllungen nimmt, die aus
der Veröffentlichung der Geheimverträge
zwischen Frankreich und seinen Verbündeten
von heute sich ergeben, was die Teilung
der Türkei anbelangt, so wird der auch nur
mit dem geringsten Gerechtigkeitsgefühl aus¬
gestattete Leser, selbst wenn er Franzose ist,
mit uns darüber einig sein, zuzugeben, daß
die französische Diplomatie für die Türkei
höchst verhängnisvoll gewesen ist und daß sie
eines der schlimmsten Verhängnisse war, die
auf ihr lasten. Zu guterletzt wollen Wir
erwähnen, als genügenden Beweis gegen
das Bestreben der "traditionellen französisch¬
türkischen Freundschaft", die zynische Hal¬
tung, die die französische Presse während
des Weltkrieges eingenommen hat, wie auch
die immer wiederholten Lügen und Ver¬
leumdungen in den inspirierten Artikeln mit
Bezug auf die armenische und syrische Frage.
Die Völker dieser Länder wurden von der
französischen Diplomatie als die orientalischen
Kunden französischen Handels betrachtet.
Man sieht also, woraus die Freundschaft be¬
steht, die das Politische und diplomatische
Frankreich während des 19. Jahrhunderts
und später der Türkei gegenüber bewiesen
hat. Man könnte im Hinblick darauf das
berühmte Wort wiederholen: "Gott schütze
uns vor unseren Freunden I" Aber was
noch schwerer ins Gewicht fällt und worauf
wir die Aufmerksamkeit der öffentlichen Mei¬
nung hinlenken möchten, das ist die Tat¬
sache, daß diese Politik, daß alle Verstümm¬
lungen und Zermürbungen, die die Türkei
erlitten hat, unter der Ägide der französi¬
schen Diplomatie ins Werk gesetzt wurden,
in formellem Widerspruch mit den Ver¬
trägen, die die Unterschrift Frankreichs
tragen. Die französische Diplomatie hat
also in dieser Beziehung das Verbrechen der

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Drinnen und draußen

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man feststellen, daß die Politischen und diplo¬
matischen Beziehungen am Anfang des 19.
Jahrhunderts eine radikale Änderung er¬
fahren haben. In der Tat läßt ein Hinblick
auf die Geschichte dieses Jahrhunderts die
folgenden Tatsachen klar werden:

1. Französische Intrigen gegen die Tür¬
ken, die Weis von Algier und die Beis von
Tunis, die der Annexion der beiden Länder
widerstrebt haben, der beiden Länder, deren
Bevölkerung bis heute unter ein eisernes
Regime gestellt wurde, französische Intrigen
Ägypten gegenüber beim großen Mehe-
med Ali, die den Zweck hatten, den letzteren
gegen die Türkei aufzuhetzen, um ihn zu
schwächen und dann einen Handstreich gegen
Ägypten zu unternehmen.

2. Die Rolle der französischen Diplo¬
matie in den Ereignissen, die dem Unab¬
hängigkeitskrieg Griechenlands gegen die
Türkei vorangingen, die der Türkei feindliche
Haltung der französischen Diplomatie wäh¬
rend der Emanzipation der Balkanbölker.

3. Die französischen Intrigen im Libanon
und in Syrien, die dahin zielten, eine feind¬
selige, separatistische Neigung hinsichtlich des
ottomanischen Reiches zu nähren und Wirren
zu erregen, um in diesem Teil der Türkei
das zu erleichtern, was in Algier und Tunis
eingetreten ist.

4. Der Vertrag von 1904 zwischen Frank¬
reich und England, der Ägypten dem letz¬
teren ausgeliefert hat.

6. Die Rolle, die Herr Poincarö gespielt
hat im Laufe des japanischen Krieges, nach¬
dem er den status quo proklamiert hatte
sich dann als Kämpfer für die Abtrennung,
der Türkei von Europa offenbarte, sobald
der Erfolg der Feinde der Türkei sich her¬
ausgestellt hatte.

6. Die Entfesselung deS offiziell hervor¬
gerufenen Hasses, der sich in der französi¬
schen Presse gegen die Türkei zeigte während
des Massakers der Türken in der europäischen
Türkei und ihrer Auswanderung auf astati¬
sches Gebiet. Es gibt tatsächlich kein Bei¬
spiel in der Geschichte dafür, daß ein be¬
siegtes Volk so feige von alten Freunden
beschimpft, gehetzt und verleumdet worden
sei, von alten Freunden, deren direkte oder
indirekte Interessen gar nicht in Frage stan¬

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den. Nach einigen französischen, von der
Regierung inspirierten Blättern sei der
Krieg der kleinen christlichen Staaten gegen
die Türkei ein richtiger heiliger Krieg, ein
Kreuzzug gewesen: das Kreuz gegen den
Halbmond. Man hatte in Frankreich Eile,
die türkischen Horden wieder auf die asiati¬
schen Hochebenen zurückzubringen und die
Hagia Sophia wieder ihrem alten Kultus
zurückzugeben. Wenn man zu dem allem
die skandalösen Enthüllungen nimmt, die aus
der Veröffentlichung der Geheimverträge
zwischen Frankreich und seinen Verbündeten
von heute sich ergeben, was die Teilung
der Türkei anbelangt, so wird der auch nur
mit dem geringsten Gerechtigkeitsgefühl aus¬
gestattete Leser, selbst wenn er Franzose ist,
mit uns darüber einig sein, zuzugeben, daß
die französische Diplomatie für die Türkei
höchst verhängnisvoll gewesen ist und daß sie
eines der schlimmsten Verhängnisse war, die
auf ihr lasten. Zu guterletzt wollen Wir
erwähnen, als genügenden Beweis gegen
das Bestreben der „traditionellen französisch¬
türkischen Freundschaft", die zynische Hal¬
tung, die die französische Presse während
des Weltkrieges eingenommen hat, wie auch
die immer wiederholten Lügen und Ver¬
leumdungen in den inspirierten Artikeln mit
Bezug auf die armenische und syrische Frage.
Die Völker dieser Länder wurden von der
französischen Diplomatie als die orientalischen
Kunden französischen Handels betrachtet.
Man sieht also, woraus die Freundschaft be¬
steht, die das Politische und diplomatische
Frankreich während des 19. Jahrhunderts
und später der Türkei gegenüber bewiesen
hat. Man könnte im Hinblick darauf das
berühmte Wort wiederholen: „Gott schütze
uns vor unseren Freunden I" Aber was
noch schwerer ins Gewicht fällt und worauf
wir die Aufmerksamkeit der öffentlichen Mei¬
nung hinlenken möchten, das ist die Tat¬
sache, daß diese Politik, daß alle Verstümm¬
lungen und Zermürbungen, die die Türkei
erlitten hat, unter der Ägide der französi¬
schen Diplomatie ins Werk gesetzt wurden,
in formellem Widerspruch mit den Ver¬
trägen, die die Unterschrift Frankreichs
tragen. Die französische Diplomatie hat
also in dieser Beziehung das Verbrechen der

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[0238] Drinnen und draußen man feststellen, daß die Politischen und diplo¬ matischen Beziehungen am Anfang des 19. Jahrhunderts eine radikale Änderung er¬ fahren haben. In der Tat läßt ein Hinblick auf die Geschichte dieses Jahrhunderts die folgenden Tatsachen klar werden: 1. Französische Intrigen gegen die Tür¬ ken, die Weis von Algier und die Beis von Tunis, die der Annexion der beiden Länder widerstrebt haben, der beiden Länder, deren Bevölkerung bis heute unter ein eisernes Regime gestellt wurde, französische Intrigen Ägypten gegenüber beim großen Mehe- med Ali, die den Zweck hatten, den letzteren gegen die Türkei aufzuhetzen, um ihn zu schwächen und dann einen Handstreich gegen Ägypten zu unternehmen. 2. Die Rolle der französischen Diplo¬ matie in den Ereignissen, die dem Unab¬ hängigkeitskrieg Griechenlands gegen die Türkei vorangingen, die der Türkei feindliche Haltung der französischen Diplomatie wäh¬ rend der Emanzipation der Balkanbölker. 3. Die französischen Intrigen im Libanon und in Syrien, die dahin zielten, eine feind¬ selige, separatistische Neigung hinsichtlich des ottomanischen Reiches zu nähren und Wirren zu erregen, um in diesem Teil der Türkei das zu erleichtern, was in Algier und Tunis eingetreten ist. 4. Der Vertrag von 1904 zwischen Frank¬ reich und England, der Ägypten dem letz¬ teren ausgeliefert hat. 6. Die Rolle, die Herr Poincarö gespielt hat im Laufe des japanischen Krieges, nach¬ dem er den status quo proklamiert hatte sich dann als Kämpfer für die Abtrennung, der Türkei von Europa offenbarte, sobald der Erfolg der Feinde der Türkei sich her¬ ausgestellt hatte. 6. Die Entfesselung deS offiziell hervor¬ gerufenen Hasses, der sich in der französi¬ schen Presse gegen die Türkei zeigte während des Massakers der Türken in der europäischen Türkei und ihrer Auswanderung auf astati¬ sches Gebiet. Es gibt tatsächlich kein Bei¬ spiel in der Geschichte dafür, daß ein be¬ siegtes Volk so feige von alten Freunden beschimpft, gehetzt und verleumdet worden sei, von alten Freunden, deren direkte oder indirekte Interessen gar nicht in Frage stan¬ den. Nach einigen französischen, von der Regierung inspirierten Blättern sei der Krieg der kleinen christlichen Staaten gegen die Türkei ein richtiger heiliger Krieg, ein Kreuzzug gewesen: das Kreuz gegen den Halbmond. Man hatte in Frankreich Eile, die türkischen Horden wieder auf die asiati¬ schen Hochebenen zurückzubringen und die Hagia Sophia wieder ihrem alten Kultus zurückzugeben. Wenn man zu dem allem die skandalösen Enthüllungen nimmt, die aus der Veröffentlichung der Geheimverträge zwischen Frankreich und seinen Verbündeten von heute sich ergeben, was die Teilung der Türkei anbelangt, so wird der auch nur mit dem geringsten Gerechtigkeitsgefühl aus¬ gestattete Leser, selbst wenn er Franzose ist, mit uns darüber einig sein, zuzugeben, daß die französische Diplomatie für die Türkei höchst verhängnisvoll gewesen ist und daß sie eines der schlimmsten Verhängnisse war, die auf ihr lasten. Zu guterletzt wollen Wir erwähnen, als genügenden Beweis gegen das Bestreben der „traditionellen französisch¬ türkischen Freundschaft", die zynische Hal¬ tung, die die französische Presse während des Weltkrieges eingenommen hat, wie auch die immer wiederholten Lügen und Ver¬ leumdungen in den inspirierten Artikeln mit Bezug auf die armenische und syrische Frage. Die Völker dieser Länder wurden von der französischen Diplomatie als die orientalischen Kunden französischen Handels betrachtet. Man sieht also, woraus die Freundschaft be¬ steht, die das Politische und diplomatische Frankreich während des 19. Jahrhunderts und später der Türkei gegenüber bewiesen hat. Man könnte im Hinblick darauf das berühmte Wort wiederholen: „Gott schütze uns vor unseren Freunden I" Aber was noch schwerer ins Gewicht fällt und worauf wir die Aufmerksamkeit der öffentlichen Mei¬ nung hinlenken möchten, das ist die Tat¬ sache, daß diese Politik, daß alle Verstümm¬ lungen und Zermürbungen, die die Türkei erlitten hat, unter der Ägide der französi¬ schen Diplomatie ins Werk gesetzt wurden, in formellem Widerspruch mit den Ver¬ trägen, die die Unterschrift Frankreichs tragen. Die französische Diplomatie hat also in dieser Beziehung das Verbrechen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/238>, abgerufen am 24.08.2024.