Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.Bismarcks Entlassung in die achtziger Jahre zu. Dann aber wuchs Deutschlands Wirtschaftsleben unter Die ersten Schritte hat er 1884/86 auf diesem Wege selbst noch getan, und Freilich, er war nun 75 Jahre alt, und die alte Frische und Beweglichkeit Für ihn selbst war die Trennung von dem Amte bitterschwer, die Ruhe, Wie wirkte die Entlassung auf das Volk? Der Kaiser empfand wohl, daß Bismarcks Entlassung in die achtziger Jahre zu. Dann aber wuchs Deutschlands Wirtschaftsleben unter Die ersten Schritte hat er 1884/86 auf diesem Wege selbst noch getan, und Freilich, er war nun 75 Jahre alt, und die alte Frische und Beweglichkeit Für ihn selbst war die Trennung von dem Amte bitterschwer, die Ruhe, Wie wirkte die Entlassung auf das Volk? Der Kaiser empfand wohl, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337250"/> <fw type="header" place="top"> Bismarcks Entlassung</fw><lb/> <p xml:id="ID_24" prev="#ID_23"> in die achtziger Jahre zu. Dann aber wuchs Deutschlands Wirtschaftsleben unter<lb/> dem Schutz der Bismarckischen Politik immer mehr in die Weltwirtschaft hinein<lb/> und zwang zur Erweiterung der Kontinentalpolitik zur Weltpolitik.</p><lb/> <p xml:id="ID_25"> Die ersten Schritte hat er 1884/86 auf diesem Wege selbst noch getan, und<lb/> wenn er auch unter dem kontinentalen Druck, der seit 1886 wieder in voller<lb/> Schwere auf Deutschland lastete, sich vorsichtig zurückhielt, so ist damit doch<lb/> keineswegs gesagt, daß er nicht sein politisches Verfahren der Ausdehnung der<lb/> deutschen Interessen in der Welt noch weiter angepaßt haben würde. Überhaupt<lb/> ist der Reichtum seiner Natur immer so groß gewesen, daß man nicht mit Be¬<lb/> stimmtheit sagen kann, daß es ihm 1890 an Mitteln gefehlt habe, neue Auf¬<lb/> gaben zu bewältigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_26"> Freilich, er war nun 75 Jahre alt, und die alte Frische und Beweglichkeit<lb/> besaß er nicht mehr. Das Schicksal des Moses war auch ihm beschicken: er<lb/> hatte sein Volk durch die Wüste geführt, seine Augen waren nicht dunkel ge¬<lb/> worden und seine Kraft war nicht verfallen. Aber das gelobte Land der Zukunft<lb/> vermochte er nicht mehr zu betreten. Sein Zeitalter ging zu Ende.</p><lb/> <p xml:id="ID_27"> Für ihn selbst war die Trennung von dem Amte bitterschwer, die Ruhe,<lb/> die er so oft ersehnt hatte, wurde ihm nicht zuteil. Erschütternd litt er unter der<lb/> Tatenlosigkeit des Alters. Er hat es selbst H. Friedjung erzählt, wie er eines<lb/> Abends in den Räubern die ergreifende Stelle las, „wo Franz den alten Moor<lb/> ins Grab zurückschleudert mit den Worten: was? willst du denn ewig leben?<lb/> Und da stand mir mein eigenes Schicksal vor Augen." Und noch schwerer trug<lb/> er an der Sorge um die Zukunft des Reichs. Auch darin ist sein Schicksal dein<lb/> des Moses zu vergleichen: es stand hinfort kein Prophet auf wie Mose. Dein<lb/> neuen Kurs fehlte der Steuermann, der mit klarem Auge und fester Hand das<lb/> Schiff lenken konnte. Um so eindringlicher wurden Bismarcks Mahnungen, seine<lb/> Gespräche, seine Reden, die von ihm veranlaßten Zeitungsartikel. Und noch über<lb/> das Grab hinaus spricht er zu uns in seinen Gedanken und Erinnerungen, seinem<lb/> Politischen Vermächtnis, das in den heiteren Tagen politischer Entspannung und<lb/> wirtschaftlichen Fortschritts uns den Blick schärfen wollte für die Gefahren der<lb/> Luftdruckverteilung, aus denen die schweren Stürme herauswachsen konnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_28" next="#ID_29"> Wie wirkte die Entlassung auf das Volk? Der Kaiser empfand wohl, daß<lb/> ein großes Zeitalter abgeschlossen sei, daß erst jetzt Wilhelm der Erste endgültig<lb/> gestorben sei; aber er empfand es nicht als Verlust, sondern als Erleichterung,<lb/> und statt, des kundigen Steuermanns beraubt, mit doppelter Vorsicht zu fahren,<lb/> kommandierte er mutig: Volldampf voraus. Auch das Beamtentum fühlte die<lb/> Entlastung von dem Druck der schweren Persönlichkeit Bismarcks mehr als die<lb/> Belastung, die ihm mit der Verantwortlichkeit für den weiteren Gang der Politik<lb/> nun auferlegt wurde. Das behagliche Gefühl, daß der große Mann nicht mehr<lb/> zu fürchten sei, war vorherrschend, so erzählt Hohenlohe; und die allen Gegner<lb/> Bismarcks waren froh wie die Schneekönige, daß sie jetzt offen reden konnten.<lb/> Und je tiefer wir hinabsteigen, desto erbärmlicher ist der Eindruck. Schakale und<lb/> Hyänen, die längst auf den Tod des Löwen gelauert hatten, sie stürzten sich nun<lb/> auf ihn, da er zur Strecke gebracht schien; Haß und Verbitterung, lange Zeit<lb/> angesammelt, und dazu die schleichende Angst, er könne noch einmal zum Leben<lb/> erwachen, entluden sich so schamlos, daß selbst die Franzosen Einspruch erhoben.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0013]
Bismarcks Entlassung
in die achtziger Jahre zu. Dann aber wuchs Deutschlands Wirtschaftsleben unter
dem Schutz der Bismarckischen Politik immer mehr in die Weltwirtschaft hinein
und zwang zur Erweiterung der Kontinentalpolitik zur Weltpolitik.
Die ersten Schritte hat er 1884/86 auf diesem Wege selbst noch getan, und
wenn er auch unter dem kontinentalen Druck, der seit 1886 wieder in voller
Schwere auf Deutschland lastete, sich vorsichtig zurückhielt, so ist damit doch
keineswegs gesagt, daß er nicht sein politisches Verfahren der Ausdehnung der
deutschen Interessen in der Welt noch weiter angepaßt haben würde. Überhaupt
ist der Reichtum seiner Natur immer so groß gewesen, daß man nicht mit Be¬
stimmtheit sagen kann, daß es ihm 1890 an Mitteln gefehlt habe, neue Auf¬
gaben zu bewältigen.
Freilich, er war nun 75 Jahre alt, und die alte Frische und Beweglichkeit
besaß er nicht mehr. Das Schicksal des Moses war auch ihm beschicken: er
hatte sein Volk durch die Wüste geführt, seine Augen waren nicht dunkel ge¬
worden und seine Kraft war nicht verfallen. Aber das gelobte Land der Zukunft
vermochte er nicht mehr zu betreten. Sein Zeitalter ging zu Ende.
Für ihn selbst war die Trennung von dem Amte bitterschwer, die Ruhe,
die er so oft ersehnt hatte, wurde ihm nicht zuteil. Erschütternd litt er unter der
Tatenlosigkeit des Alters. Er hat es selbst H. Friedjung erzählt, wie er eines
Abends in den Räubern die ergreifende Stelle las, „wo Franz den alten Moor
ins Grab zurückschleudert mit den Worten: was? willst du denn ewig leben?
Und da stand mir mein eigenes Schicksal vor Augen." Und noch schwerer trug
er an der Sorge um die Zukunft des Reichs. Auch darin ist sein Schicksal dein
des Moses zu vergleichen: es stand hinfort kein Prophet auf wie Mose. Dein
neuen Kurs fehlte der Steuermann, der mit klarem Auge und fester Hand das
Schiff lenken konnte. Um so eindringlicher wurden Bismarcks Mahnungen, seine
Gespräche, seine Reden, die von ihm veranlaßten Zeitungsartikel. Und noch über
das Grab hinaus spricht er zu uns in seinen Gedanken und Erinnerungen, seinem
Politischen Vermächtnis, das in den heiteren Tagen politischer Entspannung und
wirtschaftlichen Fortschritts uns den Blick schärfen wollte für die Gefahren der
Luftdruckverteilung, aus denen die schweren Stürme herauswachsen konnten.
Wie wirkte die Entlassung auf das Volk? Der Kaiser empfand wohl, daß
ein großes Zeitalter abgeschlossen sei, daß erst jetzt Wilhelm der Erste endgültig
gestorben sei; aber er empfand es nicht als Verlust, sondern als Erleichterung,
und statt, des kundigen Steuermanns beraubt, mit doppelter Vorsicht zu fahren,
kommandierte er mutig: Volldampf voraus. Auch das Beamtentum fühlte die
Entlastung von dem Druck der schweren Persönlichkeit Bismarcks mehr als die
Belastung, die ihm mit der Verantwortlichkeit für den weiteren Gang der Politik
nun auferlegt wurde. Das behagliche Gefühl, daß der große Mann nicht mehr
zu fürchten sei, war vorherrschend, so erzählt Hohenlohe; und die allen Gegner
Bismarcks waren froh wie die Schneekönige, daß sie jetzt offen reden konnten.
Und je tiefer wir hinabsteigen, desto erbärmlicher ist der Eindruck. Schakale und
Hyänen, die längst auf den Tod des Löwen gelauert hatten, sie stürzten sich nun
auf ihn, da er zur Strecke gebracht schien; Haß und Verbitterung, lange Zeit
angesammelt, und dazu die schleichende Angst, er könne noch einmal zum Leben
erwachen, entluden sich so schamlos, daß selbst die Franzosen Einspruch erhoben.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |