Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.Kommunismus und Syndikalismus in Deutschland Während der Kommunismus in Deutschland nicht nur seine materiellen Kommunismus und Syndikalismus in Deutschland Während der Kommunismus in Deutschland nicht nur seine materiellen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336938"/> <fw type="header" place="top"> Kommunismus und Syndikalismus in Deutschland</fw><lb/> <p xml:id="ID_270"> Während der Kommunismus in Deutschland nicht nur seine materiellen<lb/> Mittel, sondern auch die Richtlinien für seine politischen Handlungen aus Ru߬<lb/> land erhält, ist die zweite Bewegung, die in jüngster Zeit in der deutschen<lb/> Arbeiterschaft um sich greift, der Syndikalismus, französischen Ursprungs. Der<lb/> Syndikalismus hat bis zu unserem Zusammenbruche bei uns nie recht Fuß fassen<lb/> können, und die Zahl seiner Anhänger in Deutschland war stets sehr gering.<lb/> Das ist jetzt, trotz den widersprechenden Behauptungen der sozialistischen und<lb/> kommunistischen Blätter, die der syndikalistischen Bewegung begreiflicherweise<lb/> keinerlei Bedeutung beimessen wollen, anders geworden. Auf dem zwölften<lb/> Kongreß der Syndikalisten, der in den letzten Tagen des Dezember 1919 in<lb/> Berlin tagte, waren 112 000 Mitglieder durch Delegierte vertreten. Die meisten<lb/> Anhänger hat der Syndikalismus in Rheinland-Westfalen cmfzuweisea, aber auch<lb/> in Mitteldeutschland hat er viele Verfechter gefunden. So ist beispielsweise in<lb/> dem kleinen 7000 Einwohner zählenden thüringischen Städtchen Sömmerda die<lb/> gesamte Arbeiterschaft (2000 Mann) syndikalistisch organisiert. Die Syndikalisten<lb/> find — sie selbst heben dies stets hervor — keine politische Partei. „Wenn ein<lb/> Syndikalist dieser oder jener Partei angehört, — so erklärte der Syndikalist<lb/> Rocker auf dem letzten Kongreß — dann ist das seine Privatsache. Die wirt¬<lb/> schaftliche Organisation der Syndikalisten hat mit keiner politischen Partei etwas<lb/> zu tun." Es ist demgemäß durchaus folgerichtig, wenn die deutschen Syndikalisten<lb/> stets betonen, daß die Erlangung der politischen Macht nichts mit dem Syndika¬<lb/> lismus zu tun habe. Nur durch die politischen Parteien sei die Spaltung in die<lb/> Internationale hineingekommen. Das Streben nach politischer Macht, dieser<lb/> „Bourgeoisie-Bazillus", müsse entschieden bekämpft werden, denn mit der Erlangung<lb/> der wirtschaftlichen Macht werde auch die politische Macht von selbst dem Proletariat<lb/> zufallen. Die Syndikalisten sind auch Gegner der Diktatur des Proletariats, wie sie von<lb/> Marx gelehrt worden ist oder, richtiger gesagt, wie sie von den russischen Bolsche-<lb/> wisten und den deutschen Kommunisten auf Grund ihrer Auslegung der Schriften<lb/> von Marx verstanden wird. Die deutschen Syndikalisten, die sich übrigens seit<lb/> dem 12, Kongreß als „Freie Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten)" be¬<lb/> zeichnen, stehen jeder politisch-parlamentarischen Betätigung vollkommen ablehnend<lb/> gegenüber und erkennen eine solche Betätigung selbst aus taktischen Gründen<lb/> unter keinen Umstünden an. Sie unterscheiden sich insofern sowohl vom russischen<lb/> Bolschewismus, wie auch von seiner deutschen Nachahmung, der K. P. D,, die<lb/> aus takiischen Gründen eine Beteiligung an Parlamentswahlen befürworten. Am<lb/> nächsten kommt der Auffassung der Syndikalisten ein kleiner Teil der kommu¬<lb/> nistischen Opposition. Es sind dies die Leute, die zwar erklären, daß sie keine<lb/> prinzipiellen AntiParlamentarier seien, weil sie für die Vergangenheit die Not¬<lb/> wendigkeit des Parlamentarismus nicht bestreiten, daß aber in Deutschland mit dem<lb/> 9. November 1918 „die Massen den Kampf unmittelbar aufgenommen" hätten<lb/> und daher jetzt jegliche Beteiligung an den Parlamenten fortfallen müsse. Es<lb/> dürfte von Interesse sein, in diesem Zusammenhang noch auf den fraglos be¬<lb/> deutungsvollen Umstand aufmerksam zu machen, der in Deutschland oft übersehen<lb/> wird, daß die russischen Bolschewisten bis zum Jahre 1917 nie Gegner des<lb/> Parlaments waren, und wiederholt in Parteikundgebungen die demokratische Re¬<lb/> publik gefordert haben, die ohne Parlament nicht denkbar istl</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0093]
Kommunismus und Syndikalismus in Deutschland
Während der Kommunismus in Deutschland nicht nur seine materiellen
Mittel, sondern auch die Richtlinien für seine politischen Handlungen aus Ru߬
land erhält, ist die zweite Bewegung, die in jüngster Zeit in der deutschen
Arbeiterschaft um sich greift, der Syndikalismus, französischen Ursprungs. Der
Syndikalismus hat bis zu unserem Zusammenbruche bei uns nie recht Fuß fassen
können, und die Zahl seiner Anhänger in Deutschland war stets sehr gering.
Das ist jetzt, trotz den widersprechenden Behauptungen der sozialistischen und
kommunistischen Blätter, die der syndikalistischen Bewegung begreiflicherweise
keinerlei Bedeutung beimessen wollen, anders geworden. Auf dem zwölften
Kongreß der Syndikalisten, der in den letzten Tagen des Dezember 1919 in
Berlin tagte, waren 112 000 Mitglieder durch Delegierte vertreten. Die meisten
Anhänger hat der Syndikalismus in Rheinland-Westfalen cmfzuweisea, aber auch
in Mitteldeutschland hat er viele Verfechter gefunden. So ist beispielsweise in
dem kleinen 7000 Einwohner zählenden thüringischen Städtchen Sömmerda die
gesamte Arbeiterschaft (2000 Mann) syndikalistisch organisiert. Die Syndikalisten
find — sie selbst heben dies stets hervor — keine politische Partei. „Wenn ein
Syndikalist dieser oder jener Partei angehört, — so erklärte der Syndikalist
Rocker auf dem letzten Kongreß — dann ist das seine Privatsache. Die wirt¬
schaftliche Organisation der Syndikalisten hat mit keiner politischen Partei etwas
zu tun." Es ist demgemäß durchaus folgerichtig, wenn die deutschen Syndikalisten
stets betonen, daß die Erlangung der politischen Macht nichts mit dem Syndika¬
lismus zu tun habe. Nur durch die politischen Parteien sei die Spaltung in die
Internationale hineingekommen. Das Streben nach politischer Macht, dieser
„Bourgeoisie-Bazillus", müsse entschieden bekämpft werden, denn mit der Erlangung
der wirtschaftlichen Macht werde auch die politische Macht von selbst dem Proletariat
zufallen. Die Syndikalisten sind auch Gegner der Diktatur des Proletariats, wie sie von
Marx gelehrt worden ist oder, richtiger gesagt, wie sie von den russischen Bolsche-
wisten und den deutschen Kommunisten auf Grund ihrer Auslegung der Schriften
von Marx verstanden wird. Die deutschen Syndikalisten, die sich übrigens seit
dem 12, Kongreß als „Freie Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten)" be¬
zeichnen, stehen jeder politisch-parlamentarischen Betätigung vollkommen ablehnend
gegenüber und erkennen eine solche Betätigung selbst aus taktischen Gründen
unter keinen Umstünden an. Sie unterscheiden sich insofern sowohl vom russischen
Bolschewismus, wie auch von seiner deutschen Nachahmung, der K. P. D,, die
aus takiischen Gründen eine Beteiligung an Parlamentswahlen befürworten. Am
nächsten kommt der Auffassung der Syndikalisten ein kleiner Teil der kommu¬
nistischen Opposition. Es sind dies die Leute, die zwar erklären, daß sie keine
prinzipiellen AntiParlamentarier seien, weil sie für die Vergangenheit die Not¬
wendigkeit des Parlamentarismus nicht bestreiten, daß aber in Deutschland mit dem
9. November 1918 „die Massen den Kampf unmittelbar aufgenommen" hätten
und daher jetzt jegliche Beteiligung an den Parlamenten fortfallen müsse. Es
dürfte von Interesse sein, in diesem Zusammenhang noch auf den fraglos be¬
deutungsvollen Umstand aufmerksam zu machen, der in Deutschland oft übersehen
wird, daß die russischen Bolschewisten bis zum Jahre 1917 nie Gegner des
Parlaments waren, und wiederholt in Parteikundgebungen die demokratische Re¬
publik gefordert haben, die ohne Parlament nicht denkbar istl
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