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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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wirtschciftsdiktatur

fahrungen die führenden Wirtschaftsweise der siegreichen Völker gar nicht von dem
Ernst der Lage zu überzeugen. Die amtliche Desperato-Berichterstattung muß in
Paris und London deswegen unwahr erscheinen,, weil sie nur als taktisches Hilfs¬
mittel einer feige ausweichenden Politik zur Erpressung von Milderungen, zur
Umgehung des Friedensvertrages wirkt.

All diese Zusammenhänge müssen jeden intuitio veranlagten Wirtschaftler
und Politiker zu der Schlußfolgerung drängen, daß es so nicht weitergehen kann.
Ohne ganz radikale Eingriffe muß aus der jetzigen Gesamtlage eine noch größere
Katastrophe entstehen als die im November 1918. Ich sehe für mein Teil nur
einen Ausweg. Es gilt in letzter Stunde die diktatorische Führung des Eisen¬
bahnwesens, der Kohlenwirtschaft, des Finanzsysteins und der Ernährungsfrage
in einer Persönlichkeit zu konzentrieren, die als solche eine zielsichere und geradezu
willensbrutale Bewältigung der Hauptprobleme unserer Wirtschaftspolitik verbürgt,
die zugleich auch gegenüber dem Ausland als Persönlichkeit eine so gewaltige
Autorität darstellt, daß ihre Diktatur gleichzeitig als Rettung im Innern, wie als
Bürgschaft nach außen wirkt. Das gegenwärtige System hat drinnen und draußen
auf wirtschaftspolitischen Gebiet das letzte Vertrauen verwirkt und wirtschaftliche
Führung selber schon in Verruf gebracht. Nicht bureaukratischer Dilettantismus: ein
Wirtschaftsdiktator aus den führenden Köpfen der deutschen Wirtschaft, in denen
klarer Blick und energische Entschlußkraft noch nicht so ausgestorben sind wie in
den offiziellen Sphären unserer Politik, vermag allein in dieser letzten Stunde
vielleicht noch die Katastrophe zu bannen.

Voraussetzung für ein Gelingen ist freilich, daß diese Diktatur auch von
der Arbeiterschaft wirklich als Rettung aus einer heillosen Notlage und nicht als
ein irgendwie verkappter Vergewaltigungsversuch einer Unternehmerklasse aufgefaßt
wird, die nichts vergessen und nichts zugelernt hat. Tatsächlich sind für einen
solchen Umschwung in der Gesinnung der bislang Partei- und klassenpolitisch ver¬
setzten Arbeiterschaft Anzeichen vorhanden, die sich jedem aufdrängen, der mit
diesen Schichten wirklich in lebendige Berührung tritt. Eine monatelange Vortrags¬
tätigkeit im "roten" Sachsen, die mich mit Zuhörern aller Parteien und Klassen
in persönlichen und vertrauensvollen Meinungsaustausch brachte, hat in mir die
sichere Überzeugung geweckt, daß die innere Bereitschaft der deutschen Arbeiter für
eine starke, aber innerlich unabhängige und wahrhaft sachliche Führung in der
Tat vorhanden ist. Gefährdet ist dieser Gesundungsprozeß durch das impotente
Zögern der Regierung in der Bekämpfung der unverkennbaren Auswüchse des
Schieberkapitalismus und durch die Parteikämpfe, die sich an den öffentlichen
Mißständen wieder neu entzünden. Der gute Erfolg einer solchen Aktion hängt
also durchaus von der Art der Ausführung und vom sicheren Instinkt für den
psychologisch richtigen Augenblick ab. Wird dieser verpaßt, dann bricht die Kata¬
strophe auf Grund aller Erfahrungen der bisherigen Revolutionsgeschichte unrettbar
über uns herein.




wirtschciftsdiktatur

fahrungen die führenden Wirtschaftsweise der siegreichen Völker gar nicht von dem
Ernst der Lage zu überzeugen. Die amtliche Desperato-Berichterstattung muß in
Paris und London deswegen unwahr erscheinen,, weil sie nur als taktisches Hilfs¬
mittel einer feige ausweichenden Politik zur Erpressung von Milderungen, zur
Umgehung des Friedensvertrages wirkt.

All diese Zusammenhänge müssen jeden intuitio veranlagten Wirtschaftler
und Politiker zu der Schlußfolgerung drängen, daß es so nicht weitergehen kann.
Ohne ganz radikale Eingriffe muß aus der jetzigen Gesamtlage eine noch größere
Katastrophe entstehen als die im November 1918. Ich sehe für mein Teil nur
einen Ausweg. Es gilt in letzter Stunde die diktatorische Führung des Eisen¬
bahnwesens, der Kohlenwirtschaft, des Finanzsysteins und der Ernährungsfrage
in einer Persönlichkeit zu konzentrieren, die als solche eine zielsichere und geradezu
willensbrutale Bewältigung der Hauptprobleme unserer Wirtschaftspolitik verbürgt,
die zugleich auch gegenüber dem Ausland als Persönlichkeit eine so gewaltige
Autorität darstellt, daß ihre Diktatur gleichzeitig als Rettung im Innern, wie als
Bürgschaft nach außen wirkt. Das gegenwärtige System hat drinnen und draußen
auf wirtschaftspolitischen Gebiet das letzte Vertrauen verwirkt und wirtschaftliche
Führung selber schon in Verruf gebracht. Nicht bureaukratischer Dilettantismus: ein
Wirtschaftsdiktator aus den führenden Köpfen der deutschen Wirtschaft, in denen
klarer Blick und energische Entschlußkraft noch nicht so ausgestorben sind wie in
den offiziellen Sphären unserer Politik, vermag allein in dieser letzten Stunde
vielleicht noch die Katastrophe zu bannen.

Voraussetzung für ein Gelingen ist freilich, daß diese Diktatur auch von
der Arbeiterschaft wirklich als Rettung aus einer heillosen Notlage und nicht als
ein irgendwie verkappter Vergewaltigungsversuch einer Unternehmerklasse aufgefaßt
wird, die nichts vergessen und nichts zugelernt hat. Tatsächlich sind für einen
solchen Umschwung in der Gesinnung der bislang Partei- und klassenpolitisch ver¬
setzten Arbeiterschaft Anzeichen vorhanden, die sich jedem aufdrängen, der mit
diesen Schichten wirklich in lebendige Berührung tritt. Eine monatelange Vortrags¬
tätigkeit im „roten" Sachsen, die mich mit Zuhörern aller Parteien und Klassen
in persönlichen und vertrauensvollen Meinungsaustausch brachte, hat in mir die
sichere Überzeugung geweckt, daß die innere Bereitschaft der deutschen Arbeiter für
eine starke, aber innerlich unabhängige und wahrhaft sachliche Führung in der
Tat vorhanden ist. Gefährdet ist dieser Gesundungsprozeß durch das impotente
Zögern der Regierung in der Bekämpfung der unverkennbaren Auswüchse des
Schieberkapitalismus und durch die Parteikämpfe, die sich an den öffentlichen
Mißständen wieder neu entzünden. Der gute Erfolg einer solchen Aktion hängt
also durchaus von der Art der Ausführung und vom sicheren Instinkt für den
psychologisch richtigen Augenblick ab. Wird dieser verpaßt, dann bricht die Kata¬
strophe auf Grund aller Erfahrungen der bisherigen Revolutionsgeschichte unrettbar
über uns herein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/89>, abgerufen am 27.07.2024.