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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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an Ort und Stelle befindlichen Personen korrigiert werden dnrch eine mehr
zcntiale Auffassung, die den großen Perspektiven Rechnung trägt." Daß man
dabei natürlich geneigt war, die großen Perspektiven auf feiten des mecr-
beherrschmden Englands mit seinen großen russischen und türkischen Interessen zu
sehen, verschweigt das Blatt, doch wird "die Moral hiervon" deutlicher, wenn es
fortfährt: "Das Problem des Wiederaufbaues Frankreichs wird niemals von uns
als eine ausschließlich französische Frage benachtet werden (man beachte die
Doppelsinnigkeit des Ausdrucks!), ebenso wenig wie die Sicherheit der Zukunft
Frankreichs. Wir möchten unsere französischen Freunde nur bitten, nicht zu ver¬
gessen, daß wir ebenfalls schwer gelitten haben usw." Noch deutlicher drückte sich
die "Times" aus: "Ohne den nationalen Gefühlen zu nahe treten zu wollen,
muß gesagt werden, daß Frankreich und Großbritannien Gefahr laufen, wieder
zu ihrer insularen Abgeschlossenheit wie vor dem Kriege zurückzukehren. Der
Ausdruck paßt besonders auf Frankreich . . . Der Besuch Poincares ist der klare
Beweis für Frankreichs Bestreben, seine alten Verbindungen mit Großbritannien
aufrecht zu erhalten. Das Ergebnis dieser Besprechungen wird die Festigung der
Freundschaft und die Sicherung des Weltfriedens sein." Was von diesen Aus¬
lassungen, die deutlich den Zweck verfolgten. Frankreich als Bittflehenden hinzu¬
stellen, zu halten ist, beweisen die Ergebnisse der letzten Londoner Besprechungen.
Im Großen wie im Kleinen ist das Bestreben Englands bemerkbar, seine alte
Selbständigkeit, die ihm ein ungebundenes Beherrschen der europäischen Verhält¬
nisse gestattet, zurückzugewinnen. Ein militärisches Bündnis mit Frankreich wird,
wem/man auch einer gemeinsamen militärischen Kommission unter dem Vorsitz
von Fons zustimmt unter Hinweis auf die noch unklare Lage in Amerika und
den Text des Garantievertrages (vergl. Grenzboten Heft 33) abgelehnt. Die
französische Anleihe wird zum Handel in England nicht zugelassen. Das englische
Kohlenausfuhrverbot trifft Frankreich am schwersten. Die Kanaltunnel-Frage ist
noch innmr nicht geklärt. Belgien soll nach Möglichkeit auch weiterhin neu¬
tralisiert werden, weil England, das sich mehr und mehr in Antwerpen festsetzt,
fürchtet, daß ein zu enges belgisch-französisches Militärbündnis eine mehr oder
minder versteckte Annexion Belgiens durch Frankreich bedeuten könnte. Gleichzeitig
brechen in Syrien in den von den Engländern geräumten und durch die Franzosen
abredegemäß zu besetzenden Gebieten nicht ungefährliche Aufstände aus. Vor
allem aber schickt England sich an. sich endgültig Konstantinopel zu sichern.

Die oft hinausgeschobene Regelung der Konstantinopelfrage ist durch die
anatolische Nationalistenbewegung wieder akut geworden. Die Franzosen treten
für eine internationale Kommission ein, die die Meerengen in ihre Verwaltung
nehmen soll und sich auf türkisches Militär stützen kann. Aus diesem Grunde
will man französischerseits auch, daß der Sitz der türkischen Regierung in Kon¬
stantinopel bleibt. ..Zur See", schreibt der "Temps", "werden freilich die Alliierten
diesen Schutz verbürgen, aber nicht alle Alliierten sind zur See gleich stark.
Wird nicht die Ungleichheit der Mittel, mit welcher Loyalität man immer vorgehen
will, schließlich eine Ungleichheit der errungenen Vorteile nach sich ziehen?" Mit
allen möglichen Argumenten bombardiert der "Temps", besonders eifrig vom
"Journal" unterstützt, die Engländer, damit sie auf eine rein englische Lösung
verzichten: man muß auf Rußland Rücksicht nehmen, es ist unklug, die Mo¬
hammedaner zu verstimmen, die Bulgaren könnten einen Handstreich versuchen usw.
Das Ergebnis dieses Hin und Her wird anscheinend äußerlich ein Kompromiß
sein, der die tatsächliche Lösung zugunsten Englands verschleiert. Daß Elcineuceau
sich, wahrend in Kopenhagen verhandelt wird, in seiner letzten großen Rede so
offen und unbedingt gegen die russischen Bolschewisten festlegen durfte, kann nur
dadurch erklärt werden, daß er im Begriff ist. in der Meerengenfrage nachzugeben.
Tatsächlich rst es ja auch die höchste Zeit, daß in Konstantinopel Ordnung und
Ruhe geschaffen wird. Die Nachrichten, daß die Bolschewisten beabsichtigen,
Konstantinopel zu einem Propagandazentrum zu machen, mögen tendenziös über-
trieben sem, aber Berichte ans Konstantinopel lassen doch erkennen, daß die gegen-


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an Ort und Stelle befindlichen Personen korrigiert werden dnrch eine mehr
zcntiale Auffassung, die den großen Perspektiven Rechnung trägt." Daß man
dabei natürlich geneigt war, die großen Perspektiven auf feiten des mecr-
beherrschmden Englands mit seinen großen russischen und türkischen Interessen zu
sehen, verschweigt das Blatt, doch wird „die Moral hiervon" deutlicher, wenn es
fortfährt: „Das Problem des Wiederaufbaues Frankreichs wird niemals von uns
als eine ausschließlich französische Frage benachtet werden (man beachte die
Doppelsinnigkeit des Ausdrucks!), ebenso wenig wie die Sicherheit der Zukunft
Frankreichs. Wir möchten unsere französischen Freunde nur bitten, nicht zu ver¬
gessen, daß wir ebenfalls schwer gelitten haben usw." Noch deutlicher drückte sich
die „Times" aus: „Ohne den nationalen Gefühlen zu nahe treten zu wollen,
muß gesagt werden, daß Frankreich und Großbritannien Gefahr laufen, wieder
zu ihrer insularen Abgeschlossenheit wie vor dem Kriege zurückzukehren. Der
Ausdruck paßt besonders auf Frankreich . . . Der Besuch Poincares ist der klare
Beweis für Frankreichs Bestreben, seine alten Verbindungen mit Großbritannien
aufrecht zu erhalten. Das Ergebnis dieser Besprechungen wird die Festigung der
Freundschaft und die Sicherung des Weltfriedens sein." Was von diesen Aus¬
lassungen, die deutlich den Zweck verfolgten. Frankreich als Bittflehenden hinzu¬
stellen, zu halten ist, beweisen die Ergebnisse der letzten Londoner Besprechungen.
Im Großen wie im Kleinen ist das Bestreben Englands bemerkbar, seine alte
Selbständigkeit, die ihm ein ungebundenes Beherrschen der europäischen Verhält¬
nisse gestattet, zurückzugewinnen. Ein militärisches Bündnis mit Frankreich wird,
wem/man auch einer gemeinsamen militärischen Kommission unter dem Vorsitz
von Fons zustimmt unter Hinweis auf die noch unklare Lage in Amerika und
den Text des Garantievertrages (vergl. Grenzboten Heft 33) abgelehnt. Die
französische Anleihe wird zum Handel in England nicht zugelassen. Das englische
Kohlenausfuhrverbot trifft Frankreich am schwersten. Die Kanaltunnel-Frage ist
noch innmr nicht geklärt. Belgien soll nach Möglichkeit auch weiterhin neu¬
tralisiert werden, weil England, das sich mehr und mehr in Antwerpen festsetzt,
fürchtet, daß ein zu enges belgisch-französisches Militärbündnis eine mehr oder
minder versteckte Annexion Belgiens durch Frankreich bedeuten könnte. Gleichzeitig
brechen in Syrien in den von den Engländern geräumten und durch die Franzosen
abredegemäß zu besetzenden Gebieten nicht ungefährliche Aufstände aus. Vor
allem aber schickt England sich an. sich endgültig Konstantinopel zu sichern.

Die oft hinausgeschobene Regelung der Konstantinopelfrage ist durch die
anatolische Nationalistenbewegung wieder akut geworden. Die Franzosen treten
für eine internationale Kommission ein, die die Meerengen in ihre Verwaltung
nehmen soll und sich auf türkisches Militär stützen kann. Aus diesem Grunde
will man französischerseits auch, daß der Sitz der türkischen Regierung in Kon¬
stantinopel bleibt. ..Zur See", schreibt der „Temps", „werden freilich die Alliierten
diesen Schutz verbürgen, aber nicht alle Alliierten sind zur See gleich stark.
Wird nicht die Ungleichheit der Mittel, mit welcher Loyalität man immer vorgehen
will, schließlich eine Ungleichheit der errungenen Vorteile nach sich ziehen?" Mit
allen möglichen Argumenten bombardiert der „Temps", besonders eifrig vom
„Journal" unterstützt, die Engländer, damit sie auf eine rein englische Lösung
verzichten: man muß auf Rußland Rücksicht nehmen, es ist unklug, die Mo¬
hammedaner zu verstimmen, die Bulgaren könnten einen Handstreich versuchen usw.
Das Ergebnis dieses Hin und Her wird anscheinend äußerlich ein Kompromiß
sein, der die tatsächliche Lösung zugunsten Englands verschleiert. Daß Elcineuceau
sich, wahrend in Kopenhagen verhandelt wird, in seiner letzten großen Rede so
offen und unbedingt gegen die russischen Bolschewisten festlegen durfte, kann nur
dadurch erklärt werden, daß er im Begriff ist. in der Meerengenfrage nachzugeben.
Tatsächlich rst es ja auch die höchste Zeit, daß in Konstantinopel Ordnung und
Ruhe geschaffen wird. Die Nachrichten, daß die Bolschewisten beabsichtigen,
Konstantinopel zu einem Propagandazentrum zu machen, mögen tendenziös über-
trieben sem, aber Berichte ans Konstantinopel lassen doch erkennen, daß die gegen-


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[0072] Weltspiegel an Ort und Stelle befindlichen Personen korrigiert werden dnrch eine mehr zcntiale Auffassung, die den großen Perspektiven Rechnung trägt." Daß man dabei natürlich geneigt war, die großen Perspektiven auf feiten des mecr- beherrschmden Englands mit seinen großen russischen und türkischen Interessen zu sehen, verschweigt das Blatt, doch wird „die Moral hiervon" deutlicher, wenn es fortfährt: „Das Problem des Wiederaufbaues Frankreichs wird niemals von uns als eine ausschließlich französische Frage benachtet werden (man beachte die Doppelsinnigkeit des Ausdrucks!), ebenso wenig wie die Sicherheit der Zukunft Frankreichs. Wir möchten unsere französischen Freunde nur bitten, nicht zu ver¬ gessen, daß wir ebenfalls schwer gelitten haben usw." Noch deutlicher drückte sich die „Times" aus: „Ohne den nationalen Gefühlen zu nahe treten zu wollen, muß gesagt werden, daß Frankreich und Großbritannien Gefahr laufen, wieder zu ihrer insularen Abgeschlossenheit wie vor dem Kriege zurückzukehren. Der Ausdruck paßt besonders auf Frankreich . . . Der Besuch Poincares ist der klare Beweis für Frankreichs Bestreben, seine alten Verbindungen mit Großbritannien aufrecht zu erhalten. Das Ergebnis dieser Besprechungen wird die Festigung der Freundschaft und die Sicherung des Weltfriedens sein." Was von diesen Aus¬ lassungen, die deutlich den Zweck verfolgten. Frankreich als Bittflehenden hinzu¬ stellen, zu halten ist, beweisen die Ergebnisse der letzten Londoner Besprechungen. Im Großen wie im Kleinen ist das Bestreben Englands bemerkbar, seine alte Selbständigkeit, die ihm ein ungebundenes Beherrschen der europäischen Verhält¬ nisse gestattet, zurückzugewinnen. Ein militärisches Bündnis mit Frankreich wird, wem/man auch einer gemeinsamen militärischen Kommission unter dem Vorsitz von Fons zustimmt unter Hinweis auf die noch unklare Lage in Amerika und den Text des Garantievertrages (vergl. Grenzboten Heft 33) abgelehnt. Die französische Anleihe wird zum Handel in England nicht zugelassen. Das englische Kohlenausfuhrverbot trifft Frankreich am schwersten. Die Kanaltunnel-Frage ist noch innmr nicht geklärt. Belgien soll nach Möglichkeit auch weiterhin neu¬ tralisiert werden, weil England, das sich mehr und mehr in Antwerpen festsetzt, fürchtet, daß ein zu enges belgisch-französisches Militärbündnis eine mehr oder minder versteckte Annexion Belgiens durch Frankreich bedeuten könnte. Gleichzeitig brechen in Syrien in den von den Engländern geräumten und durch die Franzosen abredegemäß zu besetzenden Gebieten nicht ungefährliche Aufstände aus. Vor allem aber schickt England sich an. sich endgültig Konstantinopel zu sichern. Die oft hinausgeschobene Regelung der Konstantinopelfrage ist durch die anatolische Nationalistenbewegung wieder akut geworden. Die Franzosen treten für eine internationale Kommission ein, die die Meerengen in ihre Verwaltung nehmen soll und sich auf türkisches Militär stützen kann. Aus diesem Grunde will man französischerseits auch, daß der Sitz der türkischen Regierung in Kon¬ stantinopel bleibt. ..Zur See", schreibt der „Temps", „werden freilich die Alliierten diesen Schutz verbürgen, aber nicht alle Alliierten sind zur See gleich stark. Wird nicht die Ungleichheit der Mittel, mit welcher Loyalität man immer vorgehen will, schließlich eine Ungleichheit der errungenen Vorteile nach sich ziehen?" Mit allen möglichen Argumenten bombardiert der „Temps", besonders eifrig vom „Journal" unterstützt, die Engländer, damit sie auf eine rein englische Lösung verzichten: man muß auf Rußland Rücksicht nehmen, es ist unklug, die Mo¬ hammedaner zu verstimmen, die Bulgaren könnten einen Handstreich versuchen usw. Das Ergebnis dieses Hin und Her wird anscheinend äußerlich ein Kompromiß sein, der die tatsächliche Lösung zugunsten Englands verschleiert. Daß Elcineuceau sich, wahrend in Kopenhagen verhandelt wird, in seiner letzten großen Rede so offen und unbedingt gegen die russischen Bolschewisten festlegen durfte, kann nur dadurch erklärt werden, daß er im Begriff ist. in der Meerengenfrage nachzugeben. Tatsächlich rst es ja auch die höchste Zeit, daß in Konstantinopel Ordnung und Ruhe geschaffen wird. Die Nachrichten, daß die Bolschewisten beabsichtigen, Konstantinopel zu einem Propagandazentrum zu machen, mögen tendenziös über- trieben sem, aber Berichte ans Konstantinopel lassen doch erkennen, daß die gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/72>, abgerufen am 22.12.2024.