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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

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unter 250 000 Meilen herabgesetzt werden.
Deshalb müsse man unverzüglich handeln.
Man müsse den Deutschen beweisen, daß
man der Se iirkere sei.

Auguste Gauvnin betrachtet ick "Journal
des Debats" die Lage etwas ruhiger:

Bevor mau Pläne ausstelle, müsse man
Tatsachen in Betracht ziehen. Für den
Augenblick wolle man auf dem Veobachtungs-
postcn bleiben, bereit, auch zu Handlungen
überzugehen, wenn eS notwendig wäre.
Vielleicht werde der Staatsstreich von Kapp
interessante Folgen nach sich ziehen, die die
Reaktionäre nicht vorausgesehen hätten.
Vielleicht Würden sich die anderen Staaten
des Reiches gegen Preußen erheben. Viel¬
leicht würde die antiberlinische Bewegung,
die sich nach dem Waffenstillstand gezeigt
habe, wieder erstehen. Vielleicht auch würde
sich die Spaltung, die gewisse Fran¬
zosen Deutsch land hätten aufzwingen
wollen, ganz natürlich vollziehen.
Man dürfe deshalb die Kaltblütigkeit nicht
verlieren und müsse wachsam bleiben.

Der "Jntransigeant" sagt, das alte
Deutschland habe sich weder gebessert, noch
sei es entwaffnet. Die französische Garantie
am Rhein, limitiert auf Is Jahrs, beun¬
ruhige die Zukunft, denn die Gegenwart
zeige sieh sehr unsicher. Die Lasten dieser
Wacht am Rhein kämen fast ausschließlich
Frankreich zu. Deutschland zeige wieder
seinen unverbesserlichen Eroberungsgeist.
Man spricht dort fortgesetzt vom Nevanche-
krieg, den man aus Prahlerei für ein nahes
Datum festsetzt. Die Entente dürfe nicht
still bleiben. Man müsse die Gelegenheit
ergreifen, um Deutschland auf der Basis,
die der Kriegsminister Ambin Lesöbre vor¬
sehen habe, zu entwaffnen.

Der Genfer Berichterstatter des "Berliner
Tageblatts" telegraphiert unter dem 14. März:

Die französische Presse scheint eine Art
Genugtuung über die Vorgänge zu empfinden.
Das Gefühl der Erleichterung ist um so
deutlicher, als in der letzten Zeit alle Nach¬
richten aus Berlin von einer unverkennbaren
wirtschaftlichen und nationalen Wieder-
erstarkung Deutschlands sprachen und man
diese Wiedergeburt durch die jetzigen Er¬
eignisse gehemmt sieht. Die nationalistische

[Spaltenumbruch]

Presse wiederholt die alte Forderung, daß
die Entente das einheitliche Reich nicht mehr
anerkenne, sondern nur mit den einzelnen
Staaten verhandeln dürfe.

Zweierlei Maß -- Berfassmlgsvruch von

rechts und von links.

Wie erbarmungslos
die Negierung, gehetzt von "Vorwärts" und
"Frankfurter Zeitung", die Urheber des
Döberitzer Frevels, mit ihnen aber auch
viele Unschuldige verfolgt und wie sie dabei
ihre eigene einzige Stütze, die Armee, unter¬
gräbt, ist bekannt. Sie verhandelte nicht
mit Kapp und gab alle Vermittler Preis, so
loyal auch diese wirkten? sie erfüllte nicht
einmal deren verfassungsmäßige An¬
regungen. Es wird nun interessant zu er¬
leben, worauf sie sich nach der Nieder¬
beugung der Armee stützen wird, um Hoch"
verrät, Verfassungsbrüche und bewaffnete
Ultimatums von links ebenso unbeugsam
niederzuschlagen. Danach erst wird man er¬
messen können, ob ihre Stärke gegen rechts
nicht in Wahrheit schon nervöse Schwäche
war. Vorläufig ist es nötig, einmal die
Sprache festzuhalten, mit welcher die Linke,
durch Kapvs Wahnsinnstat aufgeputscht und
durch die Regierung ermutigt, zur Regie¬
rung redet.

In der Brauerei Bötzow zu Berlin traten
am 26. März nachmittag etwa tausend Be¬
triebsräte der U. S. P. D. und K. P- D-
zu einer Generalversammlung zusammen,
um zu der gegenwärtigen Lage und zu der
Einberufung eines Reichs - Nätekongresses
Stellung zu nehmen.

Der Vorsitzende der U. S. P. D. Dnumig
berichtete über die gegenwärtige politische
Lage. "Die bürgerliche Koalition", so führte
der Redner aus, "ist durch den letzten
Stoß, den ihr die organisierte Ar¬
beiterschaft versetzte, so erschüttert, daß
sie nicht mehr das moralisch-politische
Übergewicht besitzt und sich lediglich auf
die Verfassung stützen kann. Die
Ministerernennungcn überstürzen sich. Eben
ist Bauer zurückgetreten, und Hermann
Müller, der die Kabinettsbildung übernehmen
soll, wird schwerlich dieser Aufgabe Herr
werden. Angesichts dieser verworrenen Lage

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Drinnen und draußen

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unter 250 000 Meilen herabgesetzt werden.
Deshalb müsse man unverzüglich handeln.
Man müsse den Deutschen beweisen, daß
man der Se iirkere sei.

Auguste Gauvnin betrachtet ick „Journal
des Debats" die Lage etwas ruhiger:

Bevor mau Pläne ausstelle, müsse man
Tatsachen in Betracht ziehen. Für den
Augenblick wolle man auf dem Veobachtungs-
postcn bleiben, bereit, auch zu Handlungen
überzugehen, wenn eS notwendig wäre.
Vielleicht werde der Staatsstreich von Kapp
interessante Folgen nach sich ziehen, die die
Reaktionäre nicht vorausgesehen hätten.
Vielleicht Würden sich die anderen Staaten
des Reiches gegen Preußen erheben. Viel¬
leicht würde die antiberlinische Bewegung,
die sich nach dem Waffenstillstand gezeigt
habe, wieder erstehen. Vielleicht auch würde
sich die Spaltung, die gewisse Fran¬
zosen Deutsch land hätten aufzwingen
wollen, ganz natürlich vollziehen.
Man dürfe deshalb die Kaltblütigkeit nicht
verlieren und müsse wachsam bleiben.

Der „Jntransigeant" sagt, das alte
Deutschland habe sich weder gebessert, noch
sei es entwaffnet. Die französische Garantie
am Rhein, limitiert auf Is Jahrs, beun¬
ruhige die Zukunft, denn die Gegenwart
zeige sieh sehr unsicher. Die Lasten dieser
Wacht am Rhein kämen fast ausschließlich
Frankreich zu. Deutschland zeige wieder
seinen unverbesserlichen Eroberungsgeist.
Man spricht dort fortgesetzt vom Nevanche-
krieg, den man aus Prahlerei für ein nahes
Datum festsetzt. Die Entente dürfe nicht
still bleiben. Man müsse die Gelegenheit
ergreifen, um Deutschland auf der Basis,
die der Kriegsminister Ambin Lesöbre vor¬
sehen habe, zu entwaffnen.

Der Genfer Berichterstatter des „Berliner
Tageblatts" telegraphiert unter dem 14. März:

Die französische Presse scheint eine Art
Genugtuung über die Vorgänge zu empfinden.
Das Gefühl der Erleichterung ist um so
deutlicher, als in der letzten Zeit alle Nach¬
richten aus Berlin von einer unverkennbaren
wirtschaftlichen und nationalen Wieder-
erstarkung Deutschlands sprachen und man
diese Wiedergeburt durch die jetzigen Er¬
eignisse gehemmt sieht. Die nationalistische

[Spaltenumbruch]

Presse wiederholt die alte Forderung, daß
die Entente das einheitliche Reich nicht mehr
anerkenne, sondern nur mit den einzelnen
Staaten verhandeln dürfe.

Zweierlei Maß — Berfassmlgsvruch von

rechts und von links.

Wie erbarmungslos
die Negierung, gehetzt von „Vorwärts" und
„Frankfurter Zeitung", die Urheber des
Döberitzer Frevels, mit ihnen aber auch
viele Unschuldige verfolgt und wie sie dabei
ihre eigene einzige Stütze, die Armee, unter¬
gräbt, ist bekannt. Sie verhandelte nicht
mit Kapp und gab alle Vermittler Preis, so
loyal auch diese wirkten? sie erfüllte nicht
einmal deren verfassungsmäßige An¬
regungen. Es wird nun interessant zu er¬
leben, worauf sie sich nach der Nieder¬
beugung der Armee stützen wird, um Hoch"
verrät, Verfassungsbrüche und bewaffnete
Ultimatums von links ebenso unbeugsam
niederzuschlagen. Danach erst wird man er¬
messen können, ob ihre Stärke gegen rechts
nicht in Wahrheit schon nervöse Schwäche
war. Vorläufig ist es nötig, einmal die
Sprache festzuhalten, mit welcher die Linke,
durch Kapvs Wahnsinnstat aufgeputscht und
durch die Regierung ermutigt, zur Regie¬
rung redet.

In der Brauerei Bötzow zu Berlin traten
am 26. März nachmittag etwa tausend Be¬
triebsräte der U. S. P. D. und K. P- D-
zu einer Generalversammlung zusammen,
um zu der gegenwärtigen Lage und zu der
Einberufung eines Reichs - Nätekongresses
Stellung zu nehmen.

Der Vorsitzende der U. S. P. D. Dnumig
berichtete über die gegenwärtige politische
Lage. „Die bürgerliche Koalition", so führte
der Redner aus, „ist durch den letzten
Stoß, den ihr die organisierte Ar¬
beiterschaft versetzte, so erschüttert, daß
sie nicht mehr das moralisch-politische
Übergewicht besitzt und sich lediglich auf
die Verfassung stützen kann. Die
Ministerernennungcn überstürzen sich. Eben
ist Bauer zurückgetreten, und Hermann
Müller, der die Kabinettsbildung übernehmen
soll, wird schwerlich dieser Aufgabe Herr
werden. Angesichts dieser verworrenen Lage

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[0384] Drinnen und draußen unter 250 000 Meilen herabgesetzt werden. Deshalb müsse man unverzüglich handeln. Man müsse den Deutschen beweisen, daß man der Se iirkere sei. Auguste Gauvnin betrachtet ick „Journal des Debats" die Lage etwas ruhiger: Bevor mau Pläne ausstelle, müsse man Tatsachen in Betracht ziehen. Für den Augenblick wolle man auf dem Veobachtungs- postcn bleiben, bereit, auch zu Handlungen überzugehen, wenn eS notwendig wäre. Vielleicht werde der Staatsstreich von Kapp interessante Folgen nach sich ziehen, die die Reaktionäre nicht vorausgesehen hätten. Vielleicht Würden sich die anderen Staaten des Reiches gegen Preußen erheben. Viel¬ leicht würde die antiberlinische Bewegung, die sich nach dem Waffenstillstand gezeigt habe, wieder erstehen. Vielleicht auch würde sich die Spaltung, die gewisse Fran¬ zosen Deutsch land hätten aufzwingen wollen, ganz natürlich vollziehen. Man dürfe deshalb die Kaltblütigkeit nicht verlieren und müsse wachsam bleiben. Der „Jntransigeant" sagt, das alte Deutschland habe sich weder gebessert, noch sei es entwaffnet. Die französische Garantie am Rhein, limitiert auf Is Jahrs, beun¬ ruhige die Zukunft, denn die Gegenwart zeige sieh sehr unsicher. Die Lasten dieser Wacht am Rhein kämen fast ausschließlich Frankreich zu. Deutschland zeige wieder seinen unverbesserlichen Eroberungsgeist. Man spricht dort fortgesetzt vom Nevanche- krieg, den man aus Prahlerei für ein nahes Datum festsetzt. Die Entente dürfe nicht still bleiben. Man müsse die Gelegenheit ergreifen, um Deutschland auf der Basis, die der Kriegsminister Ambin Lesöbre vor¬ sehen habe, zu entwaffnen. Der Genfer Berichterstatter des „Berliner Tageblatts" telegraphiert unter dem 14. März: Die französische Presse scheint eine Art Genugtuung über die Vorgänge zu empfinden. Das Gefühl der Erleichterung ist um so deutlicher, als in der letzten Zeit alle Nach¬ richten aus Berlin von einer unverkennbaren wirtschaftlichen und nationalen Wieder- erstarkung Deutschlands sprachen und man diese Wiedergeburt durch die jetzigen Er¬ eignisse gehemmt sieht. Die nationalistische Presse wiederholt die alte Forderung, daß die Entente das einheitliche Reich nicht mehr anerkenne, sondern nur mit den einzelnen Staaten verhandeln dürfe. Zweierlei Maß — Berfassmlgsvruch von rechts und von links. Wie erbarmungslos die Negierung, gehetzt von „Vorwärts" und „Frankfurter Zeitung", die Urheber des Döberitzer Frevels, mit ihnen aber auch viele Unschuldige verfolgt und wie sie dabei ihre eigene einzige Stütze, die Armee, unter¬ gräbt, ist bekannt. Sie verhandelte nicht mit Kapp und gab alle Vermittler Preis, so loyal auch diese wirkten? sie erfüllte nicht einmal deren verfassungsmäßige An¬ regungen. Es wird nun interessant zu er¬ leben, worauf sie sich nach der Nieder¬ beugung der Armee stützen wird, um Hoch" verrät, Verfassungsbrüche und bewaffnete Ultimatums von links ebenso unbeugsam niederzuschlagen. Danach erst wird man er¬ messen können, ob ihre Stärke gegen rechts nicht in Wahrheit schon nervöse Schwäche war. Vorläufig ist es nötig, einmal die Sprache festzuhalten, mit welcher die Linke, durch Kapvs Wahnsinnstat aufgeputscht und durch die Regierung ermutigt, zur Regie¬ rung redet. In der Brauerei Bötzow zu Berlin traten am 26. März nachmittag etwa tausend Be¬ triebsräte der U. S. P. D. und K. P- D- zu einer Generalversammlung zusammen, um zu der gegenwärtigen Lage und zu der Einberufung eines Reichs - Nätekongresses Stellung zu nehmen. Der Vorsitzende der U. S. P. D. Dnumig berichtete über die gegenwärtige politische Lage. „Die bürgerliche Koalition", so führte der Redner aus, „ist durch den letzten Stoß, den ihr die organisierte Ar¬ beiterschaft versetzte, so erschüttert, daß sie nicht mehr das moralisch-politische Übergewicht besitzt und sich lediglich auf die Verfassung stützen kann. Die Ministerernennungcn überstürzen sich. Eben ist Bauer zurückgetreten, und Hermann Müller, der die Kabinettsbildung übernehmen soll, wird schwerlich dieser Aufgabe Herr werden. Angesichts dieser verworrenen Lage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/384>, abgerufen am 27.07.2024.