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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Deutsches Volk und Donauföderation

Deutsches Volk und Donauföderation
prost Dr. Benno Jmendörffer von

er Weltkrieg hat das stolze Gebäude, das Habsburgische Familien¬
politik und Habsburgische Staatskunst -- eine solche hat Jahr¬
hunderte lang bestanden -- in unermüdlicher Arbeit aufgerichtet
hatte, dem Anscheine nach gründlich und für alle Zeiten vernichtet.
Auf dem Boden der einstigen österreichisch-ungarischen Monarchie
erwuchsen, soweit er nicht an bereits bestehende Fremdstaaten fiel, neue politische
Gebilde, die dem brennenden Nationalgefühle der einzelnen Volksstämme des
großen Donaureiches ihre Entstehung verdanken. Tschechen, Polen und Südslawen,
Italiener und Rumänen scheinen ihre letzten nationalen und politischen Ziele
erreicht zu haben, deren Kosten Deutsche und Magyaren zu tragen haben. Eine
völlig neue Staatenwelt ist im östlichen Flügel Mitteleuropas entstanden und der
oberflächliche Beobachter mochte sich in der Hoffnung wiegen, daß nun endlich an
die Stelle zerstörender aufbauende Arbeit, an die Stelle ewiger Unruhe stetige
Entwicklung treten werde.

Das Wort des tschechischen Geschichtsforschers Palacky: "Wir (Tschechen)
waren vor Österreich da und wir werden nach ihm da sein", hat sich zunächst
erfüllt. Mit innerer Genugtuung mag der Pole sein "Noch ist Polen nicht ver¬
loren" singen und die kühnsten Hoffnungen der Slowenen, Kroaten und Serben
sind durch die Gegenwart übertroffen worden. Italiens Jrredentisten feiern
Siegesfeste, deren äußere Berechtigung nicht zu bestücken ist, und Rumänien hat
seinen glühenden Rachedurst an dem Magymentum, das Millionen Walachen
durch Jahrhunderte geknechtet hat, reichlich kühlen dürfen. Magyaren und Deutsche
sind zu völliger Ohnmacht verurteilt. So stellt sich zunächst die Lage dar. Sie
stellt sich so dar. aber wir dürfen fragen: ist sie damit ihrer vollen Bedeutung
nach erkannt, sind hier wirklich die Bürgschaften für ein Bleibendes und in
Hinkunft friedlich Werdendes gegeben? Schalten wir dabei vorerst alle Rücksicht
auf die Lebensinteressen des deutschen Volkes aus. Dann gibt es vor allem zu
denken, daß sogleich nach dem Zusammenbruche des Habsburgerreiches -- ob man
es mit historischer Pedanterie lieber das Lothringerreich nennt, ist völlig belanglos --
bei den Siegern im Westen der Gedanke auftritt, die eben erst auseinandergerissenen
Teile unter einem neuen Titel wieder zusammenzuschweißen. Frankreich war es
das den Plan aufdeckte, die einstigen Provinzen der Monarchie in einer "Donau-
öderation" zusammenzufassen. Damit tritt das bekannte Wort, wenn es kein
Osterreich gäbe, müßte eines geschaffen werden, in völlig neue Beleuchtung.
Offenbar hatte und hat die Entente ein lebhaftes Interesse daran, daß auf dem
Boden der vormaligen Donaugroßmacht ein politisches Gebilde erwachse, das in
irgend einer Form den Gedanken dieser Großmacht wiederum zum Ausdrucke
bringe. An einem freilich hielt und hält man fest: daß es sich nicht mehr um
ein einheitliches Staatswesen handeln dürfe; an seine Stelle soll vielmehr ein
lockerer Bund treten, dessen Zwecke allein wirtschaftlicher Natur sein dürfen-
Angesichts der völligen wirtschaftlichen Hilflosigkeit jenes sonderbaren "Deutsch-
Österreichs", dem der Friede von Samt Germain sogar einen anderen Namen
aufgezwungen hat und daS im internationalen Verkehre nur mehr als "Republik


Deutsches Volk und Donauföderation

Deutsches Volk und Donauföderation
prost Dr. Benno Jmendörffer von

er Weltkrieg hat das stolze Gebäude, das Habsburgische Familien¬
politik und Habsburgische Staatskunst — eine solche hat Jahr¬
hunderte lang bestanden — in unermüdlicher Arbeit aufgerichtet
hatte, dem Anscheine nach gründlich und für alle Zeiten vernichtet.
Auf dem Boden der einstigen österreichisch-ungarischen Monarchie
erwuchsen, soweit er nicht an bereits bestehende Fremdstaaten fiel, neue politische
Gebilde, die dem brennenden Nationalgefühle der einzelnen Volksstämme des
großen Donaureiches ihre Entstehung verdanken. Tschechen, Polen und Südslawen,
Italiener und Rumänen scheinen ihre letzten nationalen und politischen Ziele
erreicht zu haben, deren Kosten Deutsche und Magyaren zu tragen haben. Eine
völlig neue Staatenwelt ist im östlichen Flügel Mitteleuropas entstanden und der
oberflächliche Beobachter mochte sich in der Hoffnung wiegen, daß nun endlich an
die Stelle zerstörender aufbauende Arbeit, an die Stelle ewiger Unruhe stetige
Entwicklung treten werde.

Das Wort des tschechischen Geschichtsforschers Palacky: „Wir (Tschechen)
waren vor Österreich da und wir werden nach ihm da sein", hat sich zunächst
erfüllt. Mit innerer Genugtuung mag der Pole sein „Noch ist Polen nicht ver¬
loren" singen und die kühnsten Hoffnungen der Slowenen, Kroaten und Serben
sind durch die Gegenwart übertroffen worden. Italiens Jrredentisten feiern
Siegesfeste, deren äußere Berechtigung nicht zu bestücken ist, und Rumänien hat
seinen glühenden Rachedurst an dem Magymentum, das Millionen Walachen
durch Jahrhunderte geknechtet hat, reichlich kühlen dürfen. Magyaren und Deutsche
sind zu völliger Ohnmacht verurteilt. So stellt sich zunächst die Lage dar. Sie
stellt sich so dar. aber wir dürfen fragen: ist sie damit ihrer vollen Bedeutung
nach erkannt, sind hier wirklich die Bürgschaften für ein Bleibendes und in
Hinkunft friedlich Werdendes gegeben? Schalten wir dabei vorerst alle Rücksicht
auf die Lebensinteressen des deutschen Volkes aus. Dann gibt es vor allem zu
denken, daß sogleich nach dem Zusammenbruche des Habsburgerreiches — ob man
es mit historischer Pedanterie lieber das Lothringerreich nennt, ist völlig belanglos —
bei den Siegern im Westen der Gedanke auftritt, die eben erst auseinandergerissenen
Teile unter einem neuen Titel wieder zusammenzuschweißen. Frankreich war es
das den Plan aufdeckte, die einstigen Provinzen der Monarchie in einer „Donau-
öderation" zusammenzufassen. Damit tritt das bekannte Wort, wenn es kein
Osterreich gäbe, müßte eines geschaffen werden, in völlig neue Beleuchtung.
Offenbar hatte und hat die Entente ein lebhaftes Interesse daran, daß auf dem
Boden der vormaligen Donaugroßmacht ein politisches Gebilde erwachse, das in
irgend einer Form den Gedanken dieser Großmacht wiederum zum Ausdrucke
bringe. An einem freilich hielt und hält man fest: daß es sich nicht mehr um
ein einheitliches Staatswesen handeln dürfe; an seine Stelle soll vielmehr ein
lockerer Bund treten, dessen Zwecke allein wirtschaftlicher Natur sein dürfen-
Angesichts der völligen wirtschaftlichen Hilflosigkeit jenes sonderbaren „Deutsch-
Österreichs", dem der Friede von Samt Germain sogar einen anderen Namen
aufgezwungen hat und daS im internationalen Verkehre nur mehr als „Republik


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[0037] Deutsches Volk und Donauföderation Deutsches Volk und Donauföderation prost Dr. Benno Jmendörffer von er Weltkrieg hat das stolze Gebäude, das Habsburgische Familien¬ politik und Habsburgische Staatskunst — eine solche hat Jahr¬ hunderte lang bestanden — in unermüdlicher Arbeit aufgerichtet hatte, dem Anscheine nach gründlich und für alle Zeiten vernichtet. Auf dem Boden der einstigen österreichisch-ungarischen Monarchie erwuchsen, soweit er nicht an bereits bestehende Fremdstaaten fiel, neue politische Gebilde, die dem brennenden Nationalgefühle der einzelnen Volksstämme des großen Donaureiches ihre Entstehung verdanken. Tschechen, Polen und Südslawen, Italiener und Rumänen scheinen ihre letzten nationalen und politischen Ziele erreicht zu haben, deren Kosten Deutsche und Magyaren zu tragen haben. Eine völlig neue Staatenwelt ist im östlichen Flügel Mitteleuropas entstanden und der oberflächliche Beobachter mochte sich in der Hoffnung wiegen, daß nun endlich an die Stelle zerstörender aufbauende Arbeit, an die Stelle ewiger Unruhe stetige Entwicklung treten werde. Das Wort des tschechischen Geschichtsforschers Palacky: „Wir (Tschechen) waren vor Österreich da und wir werden nach ihm da sein", hat sich zunächst erfüllt. Mit innerer Genugtuung mag der Pole sein „Noch ist Polen nicht ver¬ loren" singen und die kühnsten Hoffnungen der Slowenen, Kroaten und Serben sind durch die Gegenwart übertroffen worden. Italiens Jrredentisten feiern Siegesfeste, deren äußere Berechtigung nicht zu bestücken ist, und Rumänien hat seinen glühenden Rachedurst an dem Magymentum, das Millionen Walachen durch Jahrhunderte geknechtet hat, reichlich kühlen dürfen. Magyaren und Deutsche sind zu völliger Ohnmacht verurteilt. So stellt sich zunächst die Lage dar. Sie stellt sich so dar. aber wir dürfen fragen: ist sie damit ihrer vollen Bedeutung nach erkannt, sind hier wirklich die Bürgschaften für ein Bleibendes und in Hinkunft friedlich Werdendes gegeben? Schalten wir dabei vorerst alle Rücksicht auf die Lebensinteressen des deutschen Volkes aus. Dann gibt es vor allem zu denken, daß sogleich nach dem Zusammenbruche des Habsburgerreiches — ob man es mit historischer Pedanterie lieber das Lothringerreich nennt, ist völlig belanglos — bei den Siegern im Westen der Gedanke auftritt, die eben erst auseinandergerissenen Teile unter einem neuen Titel wieder zusammenzuschweißen. Frankreich war es das den Plan aufdeckte, die einstigen Provinzen der Monarchie in einer „Donau- öderation" zusammenzufassen. Damit tritt das bekannte Wort, wenn es kein Osterreich gäbe, müßte eines geschaffen werden, in völlig neue Beleuchtung. Offenbar hatte und hat die Entente ein lebhaftes Interesse daran, daß auf dem Boden der vormaligen Donaugroßmacht ein politisches Gebilde erwachse, das in irgend einer Form den Gedanken dieser Großmacht wiederum zum Ausdrucke bringe. An einem freilich hielt und hält man fest: daß es sich nicht mehr um ein einheitliches Staatswesen handeln dürfe; an seine Stelle soll vielmehr ein lockerer Bund treten, dessen Zwecke allein wirtschaftlicher Natur sein dürfen- Angesichts der völligen wirtschaftlichen Hilflosigkeit jenes sonderbaren „Deutsch- Österreichs", dem der Friede von Samt Germain sogar einen anderen Namen aufgezwungen hat und daS im internationalen Verkehre nur mehr als „Republik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/37>, abgerufen am 22.12.2024.