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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das Raxxsche Abenteuer

glaubten den letzten Abend vor dem Kampf gekommen. Auch sie wollten
nicht zurück.

Neben diesen Verhandlungen, oder genauer Nichtverhandlungsgesprächen
von Stuttgart aus lief indes ein zweiter Besprechungsfaden in Berlin selbst.

Dort wurde die alte Negierung insbesondere durch den Vizekanzler
Dr. Schiffer vertreten. Du Sitzungen, welche die Vertreter der Länder mit den
Unterstaatssskretärcn und Ministerialdirektoren der Neichsömter und der
preußischen Ministerien täglich zweimal abhielten, um Abwehrmaßregeln
gegen Kapp zu beraten, gingen seit Montag im Reichstagsgebände ruhig
weiter und wurden durch die Militärdiktatur nicht behindert. Den Putschisten
war glücklicherweise keineswegs klar geworden, daß eine in ihrer Art gegründete
Gewalt sich nur halten kann, so lange sie Schrecken um sich verbreitet. Hinter ihrer
dröhnenden Macht verbarg sich viel gutmütige Hilflosigkeit, was dieses beispiellose
Weiterarbeiten vieler Organe der alten Negierung in Berlin selbst am deut¬
lichsten belegt. Einige Verhaftungen preußischer Minister, die am Sonnabend
vorgekommen waren, wurden rasch rückgängig gemacht. Zwar glaubte Pabst
Journalisten gegenüber seine unbeugsame Entschlossenheit auch zu etwaigem
Blutvergießen aussprechen zu müssen. Aber diesen Worten entsprach in keiner
Weise die Praxis der Kapp-Regierung.

Auch Herr Schiffer sprach sich am Dienstag vormittag scharf gegen jedes
Verhandeln mit den Kappleuten aus. Indes war gerade hier in der Haupt¬
stadt keine der beiden Regierungen so stark, daß sie die Verantwortung für
einen längeren Bürgerkrieg tragen konnte. Üverall kroch das Chaos h?ran.
züngelte die Anarchie empor. Pabst, der am Dienstag nachmittag zu Schiffer
ging, erfuhr auch von ihm unter Ablehnung der Kappschen sieben Be¬
dingungen die vier Stuttgarter Mindestforderungen. Jedoch fügte Schiffer hinzu,
daß allerdings baldige Neuwahlen stattfinden müßten, auch daß die Präsidenten¬
wahl durch das Volk verfassungsmäßig garantiert und die Umbildung des
Kabinetts im Gange wäre. Das entsprach so ziemlich dem, was Kapp verlangt
hatte, und war harmlos genug. Auch versprach Schiffer, sich persönlich und mit
seinem Portefeuille für die Amnestierung der Kappleute einzusetzen. Schiffer
schickte dieses Verhandlungsergebnis nach Stuttgart, damit das Kabinett dazu
Stellung nehmen könnte. Mit diesen geringen Zugeständnissen hoffte Schiffer
den Riß zwischen Bürgertum und Armee überbrücken zu können. Wie aber
jeder Vermittler sich zwischen den starrköpfigen Parteien zerrieb, zeigt anschau¬
lich der Bericht des "Vorwärts" über die hier folgenden Vorgänge.

"Am Dienstagabend wurde in der Berliner sozialdemokratischen Funktionär-
Versammlung bekannt, daß Schiffer mit den Putschisten auf der Grundlage ver¬
handelte, daß er sich verpflichten sollte, für vier ihrer Forderungen, darunter
ganz besonders die Amnestie, einzutreten. Darauf begab sich eine Kommission,
bestehend aus den Genossen Krüger, Lüdemann und Stampfer zu Herrn Schiffer,
um ihn vor weiteren Verhandlungen nachdrücklichst zu warnen.


Das Raxxsche Abenteuer

glaubten den letzten Abend vor dem Kampf gekommen. Auch sie wollten
nicht zurück.

Neben diesen Verhandlungen, oder genauer Nichtverhandlungsgesprächen
von Stuttgart aus lief indes ein zweiter Besprechungsfaden in Berlin selbst.

Dort wurde die alte Negierung insbesondere durch den Vizekanzler
Dr. Schiffer vertreten. Du Sitzungen, welche die Vertreter der Länder mit den
Unterstaatssskretärcn und Ministerialdirektoren der Neichsömter und der
preußischen Ministerien täglich zweimal abhielten, um Abwehrmaßregeln
gegen Kapp zu beraten, gingen seit Montag im Reichstagsgebände ruhig
weiter und wurden durch die Militärdiktatur nicht behindert. Den Putschisten
war glücklicherweise keineswegs klar geworden, daß eine in ihrer Art gegründete
Gewalt sich nur halten kann, so lange sie Schrecken um sich verbreitet. Hinter ihrer
dröhnenden Macht verbarg sich viel gutmütige Hilflosigkeit, was dieses beispiellose
Weiterarbeiten vieler Organe der alten Negierung in Berlin selbst am deut¬
lichsten belegt. Einige Verhaftungen preußischer Minister, die am Sonnabend
vorgekommen waren, wurden rasch rückgängig gemacht. Zwar glaubte Pabst
Journalisten gegenüber seine unbeugsame Entschlossenheit auch zu etwaigem
Blutvergießen aussprechen zu müssen. Aber diesen Worten entsprach in keiner
Weise die Praxis der Kapp-Regierung.

Auch Herr Schiffer sprach sich am Dienstag vormittag scharf gegen jedes
Verhandeln mit den Kappleuten aus. Indes war gerade hier in der Haupt¬
stadt keine der beiden Regierungen so stark, daß sie die Verantwortung für
einen längeren Bürgerkrieg tragen konnte. Üverall kroch das Chaos h?ran.
züngelte die Anarchie empor. Pabst, der am Dienstag nachmittag zu Schiffer
ging, erfuhr auch von ihm unter Ablehnung der Kappschen sieben Be¬
dingungen die vier Stuttgarter Mindestforderungen. Jedoch fügte Schiffer hinzu,
daß allerdings baldige Neuwahlen stattfinden müßten, auch daß die Präsidenten¬
wahl durch das Volk verfassungsmäßig garantiert und die Umbildung des
Kabinetts im Gange wäre. Das entsprach so ziemlich dem, was Kapp verlangt
hatte, und war harmlos genug. Auch versprach Schiffer, sich persönlich und mit
seinem Portefeuille für die Amnestierung der Kappleute einzusetzen. Schiffer
schickte dieses Verhandlungsergebnis nach Stuttgart, damit das Kabinett dazu
Stellung nehmen könnte. Mit diesen geringen Zugeständnissen hoffte Schiffer
den Riß zwischen Bürgertum und Armee überbrücken zu können. Wie aber
jeder Vermittler sich zwischen den starrköpfigen Parteien zerrieb, zeigt anschau¬
lich der Bericht des „Vorwärts" über die hier folgenden Vorgänge.

„Am Dienstagabend wurde in der Berliner sozialdemokratischen Funktionär-
Versammlung bekannt, daß Schiffer mit den Putschisten auf der Grundlage ver¬
handelte, daß er sich verpflichten sollte, für vier ihrer Forderungen, darunter
ganz besonders die Amnestie, einzutreten. Darauf begab sich eine Kommission,
bestehend aus den Genossen Krüger, Lüdemann und Stampfer zu Herrn Schiffer,
um ihn vor weiteren Verhandlungen nachdrücklichst zu warnen.


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[0356] Das Raxxsche Abenteuer glaubten den letzten Abend vor dem Kampf gekommen. Auch sie wollten nicht zurück. Neben diesen Verhandlungen, oder genauer Nichtverhandlungsgesprächen von Stuttgart aus lief indes ein zweiter Besprechungsfaden in Berlin selbst. Dort wurde die alte Negierung insbesondere durch den Vizekanzler Dr. Schiffer vertreten. Du Sitzungen, welche die Vertreter der Länder mit den Unterstaatssskretärcn und Ministerialdirektoren der Neichsömter und der preußischen Ministerien täglich zweimal abhielten, um Abwehrmaßregeln gegen Kapp zu beraten, gingen seit Montag im Reichstagsgebände ruhig weiter und wurden durch die Militärdiktatur nicht behindert. Den Putschisten war glücklicherweise keineswegs klar geworden, daß eine in ihrer Art gegründete Gewalt sich nur halten kann, so lange sie Schrecken um sich verbreitet. Hinter ihrer dröhnenden Macht verbarg sich viel gutmütige Hilflosigkeit, was dieses beispiellose Weiterarbeiten vieler Organe der alten Negierung in Berlin selbst am deut¬ lichsten belegt. Einige Verhaftungen preußischer Minister, die am Sonnabend vorgekommen waren, wurden rasch rückgängig gemacht. Zwar glaubte Pabst Journalisten gegenüber seine unbeugsame Entschlossenheit auch zu etwaigem Blutvergießen aussprechen zu müssen. Aber diesen Worten entsprach in keiner Weise die Praxis der Kapp-Regierung. Auch Herr Schiffer sprach sich am Dienstag vormittag scharf gegen jedes Verhandeln mit den Kappleuten aus. Indes war gerade hier in der Haupt¬ stadt keine der beiden Regierungen so stark, daß sie die Verantwortung für einen längeren Bürgerkrieg tragen konnte. Üverall kroch das Chaos h?ran. züngelte die Anarchie empor. Pabst, der am Dienstag nachmittag zu Schiffer ging, erfuhr auch von ihm unter Ablehnung der Kappschen sieben Be¬ dingungen die vier Stuttgarter Mindestforderungen. Jedoch fügte Schiffer hinzu, daß allerdings baldige Neuwahlen stattfinden müßten, auch daß die Präsidenten¬ wahl durch das Volk verfassungsmäßig garantiert und die Umbildung des Kabinetts im Gange wäre. Das entsprach so ziemlich dem, was Kapp verlangt hatte, und war harmlos genug. Auch versprach Schiffer, sich persönlich und mit seinem Portefeuille für die Amnestierung der Kappleute einzusetzen. Schiffer schickte dieses Verhandlungsergebnis nach Stuttgart, damit das Kabinett dazu Stellung nehmen könnte. Mit diesen geringen Zugeständnissen hoffte Schiffer den Riß zwischen Bürgertum und Armee überbrücken zu können. Wie aber jeder Vermittler sich zwischen den starrköpfigen Parteien zerrieb, zeigt anschau¬ lich der Bericht des „Vorwärts" über die hier folgenden Vorgänge. „Am Dienstagabend wurde in der Berliner sozialdemokratischen Funktionär- Versammlung bekannt, daß Schiffer mit den Putschisten auf der Grundlage ver¬ handelte, daß er sich verpflichten sollte, für vier ihrer Forderungen, darunter ganz besonders die Amnestie, einzutreten. Darauf begab sich eine Kommission, bestehend aus den Genossen Krüger, Lüdemann und Stampfer zu Herrn Schiffer, um ihn vor weiteren Verhandlungen nachdrücklichst zu warnen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/356>, abgerufen am 28.07.2024.