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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das Rappsche Abenteuer

eine oft zu weitgehende Treue gegen seine Mitarbeiter. Auf Grund der ihm
von Bauer gelieferten Angaben konnte er in jener Sitzung seinem ganzni
Temperament nach nichts anderes als das militärische Durchhalten empfehlen.
Der Mangel an politischem Augenmaß bei diesem großen Soldaten wurde ihm
wiederum verhängnisvoll. Indem er ans Portepee schlug, gab er für den
Augenblick den Desperados neue Kraft. Seine Autorität hielt die Wartenden
fest. Es war der Mut des Offiziers, der auf verlorenem Posten ausharrt,
an Stelle der Zivilcourage, die ein verfehltes Unternehmen möglichst rasch
glattstellt. Der militärische Gesichtspunkt verdrängte wieder einmal den poli¬
tischen. Auf diejenigen wurde nicht gehört, welche gerade im Interesse der Armee
das schleunigste Verschwinden der Kappregierung wünschten.

Der frühere Unterstaatssekretär von Falkenhausen aber, der in dieser
Sitzung als "Chef der Reichskanzlei" erschien, erklärte: AIs er am Sonnabend
von dem Einmarsch erfahren habe und von seinem alten Freund Kapp um
seine Unterstützung gebeten worden sei, da hätte er geglaubt, das persönliche
Opfer nicht verweigern zu dürfen. Er wäre sich aber schon gestern darüber
klar gewesen, daß unter den hundert Karten dieses Spieles sich höchstens eine
Glückskarte befände. Heute wüßte er, daß auch diese verspielt sei.

Unmittelbar nach der Kabinettssitzung betrat ich mit anderen Privat¬
personen die Reichskanzlei in der Hoffnung, einen Anhaltspunkt für den von
uns erstrebten Rückzug der Verschwörer zu finden. Dort trafen wir die Herren
Kapitän Humann und Hauptmann Karmann von der Nachrichtenstelle des
Reichswehrministeriums. Diese Herren haben mit das größte Verdienst daran,
Kapp zur Besinnung gebracht zu haben. Daß es ihnen erst einige Tage
zu spät gelang, ist nicht ihre Schuld. Anwesend waren bei der Szene, die
ich als Augenzeuge miterlebte, von der "Regierung" Offiziere des Lüttwitz¬
stabes, Dr. Schiele, v. Wangenheim und Traub, welch letzterer die gauzw
Tage über wie geistesabwesend in stillem Jammer umherging und jedem
leid tat. Hauptmann Karmann berichtete nach den im Neichswehrministerium
vorliegenden Nachrichten über die Lage im Reich. Er verstand es geschickt,
das Hoffnungslose des Kappschen Unternehmens aus zahlreichen Einzelzügen
überzeugend zu machen, und wer seinen Bericht vorurteilslos anhörte, den
mußte die vaterländische Pflicht, einen raschen Ausweg aus dem Chaos zu
suchen, im Innersten ergreifen. Wir anwesenden Privatpersonen wurden noch
tiefer erschüttert, als Karmanu sich gegenüber den etwas betretenen "Regicrnngs-
mitgliedern" beschwerte, daß der Kabinettsbeschluß gefaßt worden wäre, bevor
er zum Vortrag zugelassen worden war.

Wir Privatpersonen drängten nun auss stürmischste, daß Karmnnn un¬
verzüglich zu Kapp ginge. Schiele und andere suchten ihn. verlegen zurück¬
zuhalten. An dem Kabinettsbeschlnß ließe sich nun doch nichts mehr
ändern. Dr. Schiele betonte, daß doch soeben in der Sitzung von den höchsten
militärischen Autoritäten eine wesentlich andere Auffassung der Lage bekundet


Das Rappsche Abenteuer

eine oft zu weitgehende Treue gegen seine Mitarbeiter. Auf Grund der ihm
von Bauer gelieferten Angaben konnte er in jener Sitzung seinem ganzni
Temperament nach nichts anderes als das militärische Durchhalten empfehlen.
Der Mangel an politischem Augenmaß bei diesem großen Soldaten wurde ihm
wiederum verhängnisvoll. Indem er ans Portepee schlug, gab er für den
Augenblick den Desperados neue Kraft. Seine Autorität hielt die Wartenden
fest. Es war der Mut des Offiziers, der auf verlorenem Posten ausharrt,
an Stelle der Zivilcourage, die ein verfehltes Unternehmen möglichst rasch
glattstellt. Der militärische Gesichtspunkt verdrängte wieder einmal den poli¬
tischen. Auf diejenigen wurde nicht gehört, welche gerade im Interesse der Armee
das schleunigste Verschwinden der Kappregierung wünschten.

Der frühere Unterstaatssekretär von Falkenhausen aber, der in dieser
Sitzung als „Chef der Reichskanzlei" erschien, erklärte: AIs er am Sonnabend
von dem Einmarsch erfahren habe und von seinem alten Freund Kapp um
seine Unterstützung gebeten worden sei, da hätte er geglaubt, das persönliche
Opfer nicht verweigern zu dürfen. Er wäre sich aber schon gestern darüber
klar gewesen, daß unter den hundert Karten dieses Spieles sich höchstens eine
Glückskarte befände. Heute wüßte er, daß auch diese verspielt sei.

Unmittelbar nach der Kabinettssitzung betrat ich mit anderen Privat¬
personen die Reichskanzlei in der Hoffnung, einen Anhaltspunkt für den von
uns erstrebten Rückzug der Verschwörer zu finden. Dort trafen wir die Herren
Kapitän Humann und Hauptmann Karmann von der Nachrichtenstelle des
Reichswehrministeriums. Diese Herren haben mit das größte Verdienst daran,
Kapp zur Besinnung gebracht zu haben. Daß es ihnen erst einige Tage
zu spät gelang, ist nicht ihre Schuld. Anwesend waren bei der Szene, die
ich als Augenzeuge miterlebte, von der „Regierung" Offiziere des Lüttwitz¬
stabes, Dr. Schiele, v. Wangenheim und Traub, welch letzterer die gauzw
Tage über wie geistesabwesend in stillem Jammer umherging und jedem
leid tat. Hauptmann Karmann berichtete nach den im Neichswehrministerium
vorliegenden Nachrichten über die Lage im Reich. Er verstand es geschickt,
das Hoffnungslose des Kappschen Unternehmens aus zahlreichen Einzelzügen
überzeugend zu machen, und wer seinen Bericht vorurteilslos anhörte, den
mußte die vaterländische Pflicht, einen raschen Ausweg aus dem Chaos zu
suchen, im Innersten ergreifen. Wir anwesenden Privatpersonen wurden noch
tiefer erschüttert, als Karmanu sich gegenüber den etwas betretenen „Regicrnngs-
mitgliedern" beschwerte, daß der Kabinettsbeschluß gefaßt worden wäre, bevor
er zum Vortrag zugelassen worden war.

Wir Privatpersonen drängten nun auss stürmischste, daß Karmnnn un¬
verzüglich zu Kapp ginge. Schiele und andere suchten ihn. verlegen zurück¬
zuhalten. An dem Kabinettsbeschlnß ließe sich nun doch nichts mehr
ändern. Dr. Schiele betonte, daß doch soeben in der Sitzung von den höchsten
militärischen Autoritäten eine wesentlich andere Auffassung der Lage bekundet


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[0350] Das Rappsche Abenteuer eine oft zu weitgehende Treue gegen seine Mitarbeiter. Auf Grund der ihm von Bauer gelieferten Angaben konnte er in jener Sitzung seinem ganzni Temperament nach nichts anderes als das militärische Durchhalten empfehlen. Der Mangel an politischem Augenmaß bei diesem großen Soldaten wurde ihm wiederum verhängnisvoll. Indem er ans Portepee schlug, gab er für den Augenblick den Desperados neue Kraft. Seine Autorität hielt die Wartenden fest. Es war der Mut des Offiziers, der auf verlorenem Posten ausharrt, an Stelle der Zivilcourage, die ein verfehltes Unternehmen möglichst rasch glattstellt. Der militärische Gesichtspunkt verdrängte wieder einmal den poli¬ tischen. Auf diejenigen wurde nicht gehört, welche gerade im Interesse der Armee das schleunigste Verschwinden der Kappregierung wünschten. Der frühere Unterstaatssekretär von Falkenhausen aber, der in dieser Sitzung als „Chef der Reichskanzlei" erschien, erklärte: AIs er am Sonnabend von dem Einmarsch erfahren habe und von seinem alten Freund Kapp um seine Unterstützung gebeten worden sei, da hätte er geglaubt, das persönliche Opfer nicht verweigern zu dürfen. Er wäre sich aber schon gestern darüber klar gewesen, daß unter den hundert Karten dieses Spieles sich höchstens eine Glückskarte befände. Heute wüßte er, daß auch diese verspielt sei. Unmittelbar nach der Kabinettssitzung betrat ich mit anderen Privat¬ personen die Reichskanzlei in der Hoffnung, einen Anhaltspunkt für den von uns erstrebten Rückzug der Verschwörer zu finden. Dort trafen wir die Herren Kapitän Humann und Hauptmann Karmann von der Nachrichtenstelle des Reichswehrministeriums. Diese Herren haben mit das größte Verdienst daran, Kapp zur Besinnung gebracht zu haben. Daß es ihnen erst einige Tage zu spät gelang, ist nicht ihre Schuld. Anwesend waren bei der Szene, die ich als Augenzeuge miterlebte, von der „Regierung" Offiziere des Lüttwitz¬ stabes, Dr. Schiele, v. Wangenheim und Traub, welch letzterer die gauzw Tage über wie geistesabwesend in stillem Jammer umherging und jedem leid tat. Hauptmann Karmann berichtete nach den im Neichswehrministerium vorliegenden Nachrichten über die Lage im Reich. Er verstand es geschickt, das Hoffnungslose des Kappschen Unternehmens aus zahlreichen Einzelzügen überzeugend zu machen, und wer seinen Bericht vorurteilslos anhörte, den mußte die vaterländische Pflicht, einen raschen Ausweg aus dem Chaos zu suchen, im Innersten ergreifen. Wir anwesenden Privatpersonen wurden noch tiefer erschüttert, als Karmanu sich gegenüber den etwas betretenen „Regicrnngs- mitgliedern" beschwerte, daß der Kabinettsbeschluß gefaßt worden wäre, bevor er zum Vortrag zugelassen worden war. Wir Privatpersonen drängten nun auss stürmischste, daß Karmnnn un¬ verzüglich zu Kapp ginge. Schiele und andere suchten ihn. verlegen zurück¬ zuhalten. An dem Kabinettsbeschlnß ließe sich nun doch nichts mehr ändern. Dr. Schiele betonte, daß doch soeben in der Sitzung von den höchsten militärischen Autoritäten eine wesentlich andere Auffassung der Lage bekundet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/350>, abgerufen am 27.07.2024.