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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Hetzpolitik -- Aufbaupolitik

ohne eine Regierung! In das Vakuum springt Generallandschaftsdirektor Kapp
ein. unterstützt von den Herren von Jagow, Traub, Dr. med. Schiele; die
militärischen Geschäfte führen General von Lüttwitz. Oberst Bauer, Hauptmann
Pabst. Die Wilhelmstraße wird militärisch abgesperrt. Damit aber ist die
Weisheit der "Regierung der Tat" erschöpft! Der Gewalthaber Kapp unter-
nimmt nichts! Er ist mit seinem Latein fertig, ehe er angefangen hat. Die
Reichsbank bleibt unbesetzt. Post. Telegraphenamt. Eisenbahnministerium bleiben
frei! Eugen Ernst bleibt unbehelligt Polizeipräsident! Einige Treiber bei dein
Pulses verlassen das führerlose Schiff. Generalstreik. Die Straße wird mit
Maschinengewehren im Zaum gehalten. Die Bevölkerung kommt zum Bewußt
sein, einer ungeheuren frechen Provokation ausgesetzt worden zu sein. Daher
der Zwiespalt im Militär. Kapp weiß sich nicht anders zu helfen als durch
Verhandlungen. General Märker und Geheimrat von Berger übernehmen die
Mission bei der ge flüchteten Negierung. Einige Publizisten und Politiker helfen
in Berlin, um das ärgste, die Vereinigung erboster Truppenteile mit den
Kommunisten zu verhindern. Schiffer, Südckum. Stresemcmn finden endlich den
achten Weg. Sie haben die große politische Arbeit geleistet, für die ihnen
einmal das ganze deutsche Volk wird hoffentlich danken können, denn sie waren
es. die die verfahrene Angelegenheit in verfassungsmäßige Bahnen lenkten
und somit die Autorität einer Staatsgewalt, der parlamentarischen Staatsgewalt
wiederherstellten.

Das vorläufige Ergebnis des Putsches ist heillose Verwirrung im ganzen
Reich. Eine Entwicklung, die friedliche Ablösung der gegenwärtigen Verhält¬
nisse durch gesündere versprach, ist unterbrochen. Die Armee, das Offizierskorps
sind auf das schwerste kompromittiert und völlig unschuldige Offiziere fallen in
vielen Orten der Wut der Menge zum Opfer. Herr Kapp ist geflüchtet.
General von Lüttwitz hält sich zur Verfügung der wiedergekehrten Negierung.
Herr Dciumig und die Kommunisten wittern Morgenluft. Sie. die seit Monaten
auf den günstigen Augenblick passen, rüsten zum Kampf ums Ganze, mir die
Rütediktatur. Das Bürgertum hat den Kopf verloren; es bangt um seinen
Besitz. Von Mißtrauen erfüllt, weiß es nicht, wohin es sich wenden soll; so
steht es untätig zur Seite, während die organisierten Arbeiter handeln.

Die Gefahr für die Städte ist in der Tat ungeheuer groß. Gelingt es
der Regierung Ebert-Bauer nicht, die Kommunistenaufstände niederzuschlagen,
wozu sie die Truppe mit energischen Führern braucht, so werden wenige
Wochen genügen, um den Bolschewismus zum herrschenden Prinzip in Deutsch¬
land zu erheben. Bolschewismus aber bedeutet: Lahmlegung der Prodnktious-
und Verkehrsmittel zunächst in der Industrie, in einem späteren Entwicklung?-
Stadium auch auf dem Lande. -- bedeutet: Preissteigerung und Hunger:
gegenwärtig erhält man in Moskau für 10 000 Rubel soviel Lebensmittel, wie
"um im Jahre 1914 für zwei Rubel und 20 Kopeken erhielt! Der Lebens-
wittel erzeugende Landwirt wird ebenso wie in Rußland auch in einem bolsche-


Hetzpolitik — Aufbaupolitik

ohne eine Regierung! In das Vakuum springt Generallandschaftsdirektor Kapp
ein. unterstützt von den Herren von Jagow, Traub, Dr. med. Schiele; die
militärischen Geschäfte führen General von Lüttwitz. Oberst Bauer, Hauptmann
Pabst. Die Wilhelmstraße wird militärisch abgesperrt. Damit aber ist die
Weisheit der „Regierung der Tat" erschöpft! Der Gewalthaber Kapp unter-
nimmt nichts! Er ist mit seinem Latein fertig, ehe er angefangen hat. Die
Reichsbank bleibt unbesetzt. Post. Telegraphenamt. Eisenbahnministerium bleiben
frei! Eugen Ernst bleibt unbehelligt Polizeipräsident! Einige Treiber bei dein
Pulses verlassen das führerlose Schiff. Generalstreik. Die Straße wird mit
Maschinengewehren im Zaum gehalten. Die Bevölkerung kommt zum Bewußt
sein, einer ungeheuren frechen Provokation ausgesetzt worden zu sein. Daher
der Zwiespalt im Militär. Kapp weiß sich nicht anders zu helfen als durch
Verhandlungen. General Märker und Geheimrat von Berger übernehmen die
Mission bei der ge flüchteten Negierung. Einige Publizisten und Politiker helfen
in Berlin, um das ärgste, die Vereinigung erboster Truppenteile mit den
Kommunisten zu verhindern. Schiffer, Südckum. Stresemcmn finden endlich den
achten Weg. Sie haben die große politische Arbeit geleistet, für die ihnen
einmal das ganze deutsche Volk wird hoffentlich danken können, denn sie waren
es. die die verfahrene Angelegenheit in verfassungsmäßige Bahnen lenkten
und somit die Autorität einer Staatsgewalt, der parlamentarischen Staatsgewalt
wiederherstellten.

Das vorläufige Ergebnis des Putsches ist heillose Verwirrung im ganzen
Reich. Eine Entwicklung, die friedliche Ablösung der gegenwärtigen Verhält¬
nisse durch gesündere versprach, ist unterbrochen. Die Armee, das Offizierskorps
sind auf das schwerste kompromittiert und völlig unschuldige Offiziere fallen in
vielen Orten der Wut der Menge zum Opfer. Herr Kapp ist geflüchtet.
General von Lüttwitz hält sich zur Verfügung der wiedergekehrten Negierung.
Herr Dciumig und die Kommunisten wittern Morgenluft. Sie. die seit Monaten
auf den günstigen Augenblick passen, rüsten zum Kampf ums Ganze, mir die
Rütediktatur. Das Bürgertum hat den Kopf verloren; es bangt um seinen
Besitz. Von Mißtrauen erfüllt, weiß es nicht, wohin es sich wenden soll; so
steht es untätig zur Seite, während die organisierten Arbeiter handeln.

Die Gefahr für die Städte ist in der Tat ungeheuer groß. Gelingt es
der Regierung Ebert-Bauer nicht, die Kommunistenaufstände niederzuschlagen,
wozu sie die Truppe mit energischen Führern braucht, so werden wenige
Wochen genügen, um den Bolschewismus zum herrschenden Prinzip in Deutsch¬
land zu erheben. Bolschewismus aber bedeutet: Lahmlegung der Prodnktious-
und Verkehrsmittel zunächst in der Industrie, in einem späteren Entwicklung?-
Stadium auch auf dem Lande. — bedeutet: Preissteigerung und Hunger:
gegenwärtig erhält man in Moskau für 10 000 Rubel soviel Lebensmittel, wie
"um im Jahre 1914 für zwei Rubel und 20 Kopeken erhielt! Der Lebens-
wittel erzeugende Landwirt wird ebenso wie in Rußland auch in einem bolsche-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/329>, abgerufen am 01.09.2024.