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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Georg Lleinow und die Grenzboten

Konzession des tatsächlich dem deutschen Fürstenhaus der Holstein-Gotorp
entsprossenen Zaren an das Altrussentum, ein Symptom der Schwäche der
russischen Regierung und zugleich der endgültigen Abkehr von der preußisch-
russischen Politik eines Jahrhunderts -- "es gibt keine größere Bedrohung des
Friedens als schwache Regierungen, als Monarchen, die jeden Augenblick
gezwungen werden können, Handlungen zu tun, denen sie innerlich widerstreben,
lediglich, um sich dem Demos gegenüber zu halten". (Grenzboten 1913. I,
Nummer 11) Im Februar 1914 fand in Rußland ein Ministerwechsel Stall,
der in vielen die Hoffnung auf Erhaltung des Friedens neu erstehenAeß. Cleinow
warnte davor, Goremylin, den neuen russischen Ministerpräsidenten, für einen
Deutschenfreund zu halten. Er erläuterte zutreffend, daß die konservativen Kreise
des russischen Adels, denen Goremylin entstammte, unserer Zollpolitik feindlich
gegenüberstanden, nur solange Freunde Preußens waren, als dieses sich im
Gegensatz zu Österreich befand und die gesamte deutschfeindliche Politik gestärkt
haben, bis die Verbindung mit Frankreich hergestellt war. Er hielt es nicht
für ausgeschlossen, daß eine Reaktion im Innern Rußlands einsetzen würde,
begleitet von einer amtlich zunächst nicht öffentlich unterstützten nationalistischen
Agitation gegen die Habsburgische Monarchie, um dadurch die Unzufriedenheit
im Innern nach außen abzulenken. Allerdings, da für eine infolge der Agrar¬
reform sich vollziehende Erneuerung Rußlands, an der Goremykin wesentlichen
Anteil hatte. Anzeichen vorhanden waren, so fragte sich Cleinow, ob dieser die
mögliche Wiedergeburt der Heimat aufs Spiel setzen würde in einem großen
Krieg, dem die Revolution folgen mußte. Wollte er den Frieden, so war es
immerhin fraglich, ob er genügend Autorität besitzen würde, um der Kriegs¬
politik Suchomlinows entgegenzutreten. Es war auch nicht zu übersehen, daß
der Kampf gegen Deutschland in ganz Rußland wieder populär war, ja daß
in einem Teil der Diplomatie und in der gesamten Armee ungeheure Lust
bestand, sich mit den Deutschen zu messen, die auf so vielen Gebieten Rußlands
Lehrmeister gewesen waren. Im Februar und März 1914 fand im Anschluß
an den bekannten Artikel Ulrichs in der "Kölnischen Zeitung" ein Presseseld-
zug in Deutschland und Rußland statt, der auf das Nahen blutiger Aus¬
einandersetzungen zu deuten schien. Cleinow sah sich hierdurch veranlaßt, nach
Rü ßland zu gehen, um durch eigene Beobachtung und persönliche Aussprache mit
leitenden Staatsmännern und Politikern festzustellen, was hinter dem Zeitungskriege
steckte. Von dort aus schrieb er die bedeutsamen "Russischen Briefe", die die russischen
Verhältnisse dreiMonate vor Kriegsausbruch hell beleuchten. Wer sie damals gelesen
hat, wird schwerlich vom Kriege "völlig überrascht" worden sein. Die Stimmung
in Rußland forderte unter allen Umständen einen sichtbaren Sieg über den
deutschen Einfluß und sei es selbst um den Preis einer würdelosen Abhängigkeit
von Frankreich und England.

Als der Krieg ausbrach, stellte Cleinow seinen Lesern vor Augen, daß
er nicht durch unseren Flottenbau, sondern letzten Endes bedingt war durch


Georg Lleinow und die Grenzboten

Konzession des tatsächlich dem deutschen Fürstenhaus der Holstein-Gotorp
entsprossenen Zaren an das Altrussentum, ein Symptom der Schwäche der
russischen Regierung und zugleich der endgültigen Abkehr von der preußisch-
russischen Politik eines Jahrhunderts — „es gibt keine größere Bedrohung des
Friedens als schwache Regierungen, als Monarchen, die jeden Augenblick
gezwungen werden können, Handlungen zu tun, denen sie innerlich widerstreben,
lediglich, um sich dem Demos gegenüber zu halten". (Grenzboten 1913. I,
Nummer 11) Im Februar 1914 fand in Rußland ein Ministerwechsel Stall,
der in vielen die Hoffnung auf Erhaltung des Friedens neu erstehenAeß. Cleinow
warnte davor, Goremylin, den neuen russischen Ministerpräsidenten, für einen
Deutschenfreund zu halten. Er erläuterte zutreffend, daß die konservativen Kreise
des russischen Adels, denen Goremylin entstammte, unserer Zollpolitik feindlich
gegenüberstanden, nur solange Freunde Preußens waren, als dieses sich im
Gegensatz zu Österreich befand und die gesamte deutschfeindliche Politik gestärkt
haben, bis die Verbindung mit Frankreich hergestellt war. Er hielt es nicht
für ausgeschlossen, daß eine Reaktion im Innern Rußlands einsetzen würde,
begleitet von einer amtlich zunächst nicht öffentlich unterstützten nationalistischen
Agitation gegen die Habsburgische Monarchie, um dadurch die Unzufriedenheit
im Innern nach außen abzulenken. Allerdings, da für eine infolge der Agrar¬
reform sich vollziehende Erneuerung Rußlands, an der Goremykin wesentlichen
Anteil hatte. Anzeichen vorhanden waren, so fragte sich Cleinow, ob dieser die
mögliche Wiedergeburt der Heimat aufs Spiel setzen würde in einem großen
Krieg, dem die Revolution folgen mußte. Wollte er den Frieden, so war es
immerhin fraglich, ob er genügend Autorität besitzen würde, um der Kriegs¬
politik Suchomlinows entgegenzutreten. Es war auch nicht zu übersehen, daß
der Kampf gegen Deutschland in ganz Rußland wieder populär war, ja daß
in einem Teil der Diplomatie und in der gesamten Armee ungeheure Lust
bestand, sich mit den Deutschen zu messen, die auf so vielen Gebieten Rußlands
Lehrmeister gewesen waren. Im Februar und März 1914 fand im Anschluß
an den bekannten Artikel Ulrichs in der „Kölnischen Zeitung" ein Presseseld-
zug in Deutschland und Rußland statt, der auf das Nahen blutiger Aus¬
einandersetzungen zu deuten schien. Cleinow sah sich hierdurch veranlaßt, nach
Rü ßland zu gehen, um durch eigene Beobachtung und persönliche Aussprache mit
leitenden Staatsmännern und Politikern festzustellen, was hinter dem Zeitungskriege
steckte. Von dort aus schrieb er die bedeutsamen „Russischen Briefe", die die russischen
Verhältnisse dreiMonate vor Kriegsausbruch hell beleuchten. Wer sie damals gelesen
hat, wird schwerlich vom Kriege „völlig überrascht" worden sein. Die Stimmung
in Rußland forderte unter allen Umständen einen sichtbaren Sieg über den
deutschen Einfluß und sei es selbst um den Preis einer würdelosen Abhängigkeit
von Frankreich und England.

Als der Krieg ausbrach, stellte Cleinow seinen Lesern vor Augen, daß
er nicht durch unseren Flottenbau, sondern letzten Endes bedingt war durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/28>, abgerufen am 27.07.2024.