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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Die bolschewistische Gefahr

beiderlei Geschlechts in der übrigen Wohnung die ganze Nacht hindurch seine
Orgien feierte. Einzelne Wohnungseinrichtungen sind nach der Ukraine gegen
Lebensmittel verkauft worden.

Auf den Straßen durfte man nur mit ältesten Sachen gehen, um "icht nackt
ausgezogen zu werden. Schnellebig zeigte sich nach unserem Einzuge das schöne
Geschlecht wieder in seinen besten Gewändern.

Die Banken waren alle geplündert und geleert, so daß die Besitzer dort
alles verloren haben. Dagegen wurden die Millionen in besonderen Bolschewiti-
knssen vorgefunden, aber ohne daß der einzelne Besitzer sein Recht nachweisen
konnte.

Das ist das wahrheitsgetreue Schicksal der bürgerlichen Gesellschaft in den
Gegenden gewesen, in denen ich anderthalb Jahre lang mit dem Bolschewismus
in Berührung gekommen bin, und das nach den Erfahrungen in München auch
dem deutschen Bürger bevorsteht, wenn er nicht vorausschauend alles tut, um die
Gefahr abzuwenden.

Was kann also geschehen?

1. Die dauernde Beibehaltung mindestens des 200 000 Mann-Heeres, die
Ausgestaltung der Sicherheitswehr auch gegen alle Entente-Einsprüche und
Widerstände ist einfache Pflicht der Selbsterhaltung. Ich wiederhole, daß eine
Regierung, die hier aus Schwäche versagt, sich nicht halten kann. Diese Frage
ist keine der Parteien, sondern eine der gesamten bürgerlichen Gesellschaft. Alles,
was die Entente androhen könnte, wiegt gering gegenüber den Gefahren völliger
bolschewistischer Zertrümmerung von innen und außen.

2. Die Einwohnerwehren müssen nach finnischen Muster verbessert und ihr
Dienst ernster genommen werden. Nachtwächterdienst in ruhigen Zeiten genügt
nicht. Wichtiger sind Belehrungsznsammenkünfte, um Interesse, politisches und
militärisches Verständnis zu heben, Alarm- und Schießübungen. Gefechts¬
übungen sind bei den ausgebildeten Leuten nach dem langen Kriege in den Städten
Wohl um so weniger nötig, als es sich hier meist um Straßenkampfe handeln wird,
die man schwer üben kann. Da der Fall eintreten kann, daß eine noch radikalere
Regierung in den Einwohnerwehren ihren Feind sieht, wird es für diese meines
Erachtens nötig sein, auf eigenen Füßen zu stehen und eigenes Geld und eigene
Waffen zu haben. In Finnland fordert die Linke die Auflösung der Schutzkorps.
Diese aber werden sich nicht auflösen lassen. Es kann also zum Bürgerkriege
kommen. Besser aber, daß in ihm das Bürgertum bewaffnet und einheitlich
organisiert ist, als daß es wie 1918 in Osteuropa wehrlos dem macht- und besitz¬
lüsternen Mob zum Opfer fällt. Die finnischen Schutzkorps sind bei etwas mehr
"is drei Millionen Einwohnern 130 000 Mann stark. Übersetzen wir diese Zahl
"uf Deutschland, so müßte unsere Einwohnerwehr 2V- Millionen Mann betragen,
um Ruhe und Ordnung im Innern des Landes zu gewährleisten.

3. Da ein großer Teil der Einwohnerwehren nur einen örtlichen Wert hat,
so müssen in ihnen Stoßtrupps der jüngeren zuverlässigen beweglichen Leute
bereitgehalten werden, welche auch an anderen Stellen operativ verwendet werden
können. In den Städten muß hierfür möglichst die gesamte Intelligenz gewonnen
werden. Nur die unbelehrbarer, echten deutschen Michel mögen bei ihren
Büchern bleiben.


Die bolschewistische Gefahr

beiderlei Geschlechts in der übrigen Wohnung die ganze Nacht hindurch seine
Orgien feierte. Einzelne Wohnungseinrichtungen sind nach der Ukraine gegen
Lebensmittel verkauft worden.

Auf den Straßen durfte man nur mit ältesten Sachen gehen, um «icht nackt
ausgezogen zu werden. Schnellebig zeigte sich nach unserem Einzuge das schöne
Geschlecht wieder in seinen besten Gewändern.

Die Banken waren alle geplündert und geleert, so daß die Besitzer dort
alles verloren haben. Dagegen wurden die Millionen in besonderen Bolschewiti-
knssen vorgefunden, aber ohne daß der einzelne Besitzer sein Recht nachweisen
konnte.

Das ist das wahrheitsgetreue Schicksal der bürgerlichen Gesellschaft in den
Gegenden gewesen, in denen ich anderthalb Jahre lang mit dem Bolschewismus
in Berührung gekommen bin, und das nach den Erfahrungen in München auch
dem deutschen Bürger bevorsteht, wenn er nicht vorausschauend alles tut, um die
Gefahr abzuwenden.

Was kann also geschehen?

1. Die dauernde Beibehaltung mindestens des 200 000 Mann-Heeres, die
Ausgestaltung der Sicherheitswehr auch gegen alle Entente-Einsprüche und
Widerstände ist einfache Pflicht der Selbsterhaltung. Ich wiederhole, daß eine
Regierung, die hier aus Schwäche versagt, sich nicht halten kann. Diese Frage
ist keine der Parteien, sondern eine der gesamten bürgerlichen Gesellschaft. Alles,
was die Entente androhen könnte, wiegt gering gegenüber den Gefahren völliger
bolschewistischer Zertrümmerung von innen und außen.

2. Die Einwohnerwehren müssen nach finnischen Muster verbessert und ihr
Dienst ernster genommen werden. Nachtwächterdienst in ruhigen Zeiten genügt
nicht. Wichtiger sind Belehrungsznsammenkünfte, um Interesse, politisches und
militärisches Verständnis zu heben, Alarm- und Schießübungen. Gefechts¬
übungen sind bei den ausgebildeten Leuten nach dem langen Kriege in den Städten
Wohl um so weniger nötig, als es sich hier meist um Straßenkampfe handeln wird,
die man schwer üben kann. Da der Fall eintreten kann, daß eine noch radikalere
Regierung in den Einwohnerwehren ihren Feind sieht, wird es für diese meines
Erachtens nötig sein, auf eigenen Füßen zu stehen und eigenes Geld und eigene
Waffen zu haben. In Finnland fordert die Linke die Auflösung der Schutzkorps.
Diese aber werden sich nicht auflösen lassen. Es kann also zum Bürgerkriege
kommen. Besser aber, daß in ihm das Bürgertum bewaffnet und einheitlich
organisiert ist, als daß es wie 1918 in Osteuropa wehrlos dem macht- und besitz¬
lüsternen Mob zum Opfer fällt. Die finnischen Schutzkorps sind bei etwas mehr
"is drei Millionen Einwohnern 130 000 Mann stark. Übersetzen wir diese Zahl
"uf Deutschland, so müßte unsere Einwohnerwehr 2V- Millionen Mann betragen,
um Ruhe und Ordnung im Innern des Landes zu gewährleisten.

3. Da ein großer Teil der Einwohnerwehren nur einen örtlichen Wert hat,
so müssen in ihnen Stoßtrupps der jüngeren zuverlässigen beweglichen Leute
bereitgehalten werden, welche auch an anderen Stellen operativ verwendet werden
können. In den Städten muß hierfür möglichst die gesamte Intelligenz gewonnen
werden. Nur die unbelehrbarer, echten deutschen Michel mögen bei ihren
Büchern bleiben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/273>, abgerufen am 01.09.2024.