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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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IVelispiegel

Auch der Balkan wird ivon jetzt an zu "den HaichtangriffSPunkten der roten
Truppen gehören. Der vite russische Wunsch: Macht über Konstantinopel zu
gewinnen, ist sicher auch jetzt noch lebendig, lebendig auch in dem Herzen Lenens
und Trotzkis, die trotz ihrer Abstammung, trotz ihrer Ideologie doch Russen
sind Der ungarische Nätezauber hatte nur zu früh begonnen, als daß er von
Moskau ausgenutzt werden konnte. Denn damals mußte man sich noch der
Generallie erwehren. Jetzt wäre ein derartiger Umsturz aus dem Balkan hoch¬
willkomner. Er würde vielleicht zur Eroberung des ganzen Balban führen und
damit zur Uniklammerung Mitteleuropas von Süden. Welche Aussichten bieten
sich jetzt dem Bolschewismus in Südosteuropa? Ohne Zweifel sind bereits auch
hier .Keime vorhanden, die unter Umständen zu Weiterungen führen werden.

Am bedenklichsten stellt sich die Lage inBulgarien dar. Das Land hat
sich seit 1912 fast ununterbrochen im Kriege befunden. Der Friede von Neuilly,
der an 28 November 1919 abgeschlossen wurde, bediietet das Ende selbständigen
staatlichen und wirtschaftlichen Lebens. Das Unglück der letzten Jahre hat die
wlgarische Bauernschaft stark radikalisiert. Die kommunistische Partei besitzt ein
Fünftel aller Mandate der Sobranje, annähernd ebensoviel die gemäßigteren
Socialisten. Die regierende agravsozialistische Bauernpartei steht dieser Gruppe
nicht allzu fern. Diese Porteivechültnisse, besonders bemerkenswert in einem
Agrarlande, geben ein ungefähres Bild von der sozialen Gärung. Fortwährende
Unruhen kennzeichnen deshalb auch die jüngste Entwicklung der inneren Ver¬
hältnisse: Bulgarien kann jederzeit ein gefährlicher Brandherd werden, von
dem aus Südosteuvopa in Flammen gerät!

Ganz anders liegen die Dinge in I n g o s l a w i e n. Wahrend Bulgarien
die tiefe Not der besiegten, geknebelten Nation durchlebt, sieht das südslawische
Brudervolk fast alle seine nationalen Wünsche erfüllt. Die Adriafroge, die allein
die restlose Einigung aller Serben, Kroaten und Slowenen bedroht und wahr-
cheinlich unmöglich macht, läßt den Nationalismus hell auflodern. Die wirt-
'chaftliche Lage ist zwar durchaus nicht als glänzend zu 'bezeichnen. Doch finden
osialistische Ideen in einer Bevölkerung, die zu vier Fünfteln aus Bauern besteht
und soeben das größte nationale Erlebnis -- die Einigung der Volksteile zu
einem Staatswesen -- gehabt hat, unfruchtbaren Boden. Die Gebiete, die bisher
Kur österveich>i.sah-.ungarischen Doppvlmonarchie gehört haben, sind vom Kriege fast
naz verschont geblieben. Ali dem Wiederaufbau des gänzlich verwüsteten Alt-
^vier wird eifrig gearbeitet. Noch ist allerdings die Agrarfrage ungelöst.
A'°e ist das Problem der inneren Politik Jugoslawiens. Der Landhunger der
Bouvvnbevölkerung ist groß. Die bisherigen Maßnahmen der Regierung haben
schon manchen Wunsch der kleinen Bauern erfüllt. Insbesondere sind die bisher
geknechteten Kneten Bosniens durch eine Verfügung der Negierung bereits im
Januar 1919 von der Unterdrückung durch die Großgrundbesitzer befreit worden.
Eine großzügige Agrarreform, wie sie bereits im Frühjahr 1919 von Koratschausgearbeitet wurde, könnte die letzten Spuren einer Gefahr beseitigen. Die
sozialistische Partei hat nur Anhänger in dM, Städten, ist sehr schwach und jeder
MationÄleii Tendenz abhold. Ähnlich steht es mit den an Zahl noch schwächeren
Kommunisten. Sie haben sogar im Verein mit den bürgerlichen Parteien an
"en großen Demonstrationen gegen Italien teilgenommen und damit ihren
Nationalismus bekundet. Eine gesunde Entwicklung hat es gefügt, daß die
Sozialdemokraten an der Regierung beteiligt sind und nicht in unfruchtbaren
Radikalismus verfallen können. Beachtenswert sind allerdings die Streiknnruhen
in den Bergwerken, doch muß man die allgemeine wirtschaftliche Lage in Betracht
lieben und darf ihre Bedeutung nicht überschätzen. Daß in der Zeit der ungari¬
schen Räterepublik gegen wirkliche und angebliche Bolschewisten scharf vor¬
gegangen wurde, ist vielleicht nicht ganz klug und taktvoll gewesen, hat aber
seinen weiteren Schaden gestiftet. Ter bolsch"wistische Gedanke dürfte sich als"
in Jiigoslawien kaum ausbreiten können, nur von außen mit Waffengewalt
könnte wahrscheinlich diesem Volke der Bolschewismus aufgezwunaen werden.


IVelispiegel

Auch der Balkan wird ivon jetzt an zu "den HaichtangriffSPunkten der roten
Truppen gehören. Der vite russische Wunsch: Macht über Konstantinopel zu
gewinnen, ist sicher auch jetzt noch lebendig, lebendig auch in dem Herzen Lenens
und Trotzkis, die trotz ihrer Abstammung, trotz ihrer Ideologie doch Russen
sind Der ungarische Nätezauber hatte nur zu früh begonnen, als daß er von
Moskau ausgenutzt werden konnte. Denn damals mußte man sich noch der
Generallie erwehren. Jetzt wäre ein derartiger Umsturz aus dem Balkan hoch¬
willkomner. Er würde vielleicht zur Eroberung des ganzen Balban führen und
damit zur Uniklammerung Mitteleuropas von Süden. Welche Aussichten bieten
sich jetzt dem Bolschewismus in Südosteuropa? Ohne Zweifel sind bereits auch
hier .Keime vorhanden, die unter Umständen zu Weiterungen führen werden.

Am bedenklichsten stellt sich die Lage inBulgarien dar. Das Land hat
sich seit 1912 fast ununterbrochen im Kriege befunden. Der Friede von Neuilly,
der an 28 November 1919 abgeschlossen wurde, bediietet das Ende selbständigen
staatlichen und wirtschaftlichen Lebens. Das Unglück der letzten Jahre hat die
wlgarische Bauernschaft stark radikalisiert. Die kommunistische Partei besitzt ein
Fünftel aller Mandate der Sobranje, annähernd ebensoviel die gemäßigteren
Socialisten. Die regierende agravsozialistische Bauernpartei steht dieser Gruppe
nicht allzu fern. Diese Porteivechültnisse, besonders bemerkenswert in einem
Agrarlande, geben ein ungefähres Bild von der sozialen Gärung. Fortwährende
Unruhen kennzeichnen deshalb auch die jüngste Entwicklung der inneren Ver¬
hältnisse: Bulgarien kann jederzeit ein gefährlicher Brandherd werden, von
dem aus Südosteuvopa in Flammen gerät!

Ganz anders liegen die Dinge in I n g o s l a w i e n. Wahrend Bulgarien
die tiefe Not der besiegten, geknebelten Nation durchlebt, sieht das südslawische
Brudervolk fast alle seine nationalen Wünsche erfüllt. Die Adriafroge, die allein
die restlose Einigung aller Serben, Kroaten und Slowenen bedroht und wahr-
cheinlich unmöglich macht, läßt den Nationalismus hell auflodern. Die wirt-
'chaftliche Lage ist zwar durchaus nicht als glänzend zu 'bezeichnen. Doch finden
osialistische Ideen in einer Bevölkerung, die zu vier Fünfteln aus Bauern besteht
und soeben das größte nationale Erlebnis — die Einigung der Volksteile zu
einem Staatswesen — gehabt hat, unfruchtbaren Boden. Die Gebiete, die bisher
Kur österveich>i.sah-.ungarischen Doppvlmonarchie gehört haben, sind vom Kriege fast
naz verschont geblieben. Ali dem Wiederaufbau des gänzlich verwüsteten Alt-
^vier wird eifrig gearbeitet. Noch ist allerdings die Agrarfrage ungelöst.
A'°e ist das Problem der inneren Politik Jugoslawiens. Der Landhunger der
Bouvvnbevölkerung ist groß. Die bisherigen Maßnahmen der Regierung haben
schon manchen Wunsch der kleinen Bauern erfüllt. Insbesondere sind die bisher
geknechteten Kneten Bosniens durch eine Verfügung der Negierung bereits im
Januar 1919 von der Unterdrückung durch die Großgrundbesitzer befreit worden.
Eine großzügige Agrarreform, wie sie bereits im Frühjahr 1919 von Koratschausgearbeitet wurde, könnte die letzten Spuren einer Gefahr beseitigen. Die
sozialistische Partei hat nur Anhänger in dM, Städten, ist sehr schwach und jeder
MationÄleii Tendenz abhold. Ähnlich steht es mit den an Zahl noch schwächeren
Kommunisten. Sie haben sogar im Verein mit den bürgerlichen Parteien an
»en großen Demonstrationen gegen Italien teilgenommen und damit ihren
Nationalismus bekundet. Eine gesunde Entwicklung hat es gefügt, daß die
Sozialdemokraten an der Regierung beteiligt sind und nicht in unfruchtbaren
Radikalismus verfallen können. Beachtenswert sind allerdings die Streiknnruhen
in den Bergwerken, doch muß man die allgemeine wirtschaftliche Lage in Betracht
lieben und darf ihre Bedeutung nicht überschätzen. Daß in der Zeit der ungari¬
schen Räterepublik gegen wirkliche und angebliche Bolschewisten scharf vor¬
gegangen wurde, ist vielleicht nicht ganz klug und taktvoll gewesen, hat aber
seinen weiteren Schaden gestiftet. Ter bolsch«wistische Gedanke dürfte sich als»
in Jiigoslawien kaum ausbreiten können, nur von außen mit Waffengewalt
könnte wahrscheinlich diesem Volke der Bolschewismus aufgezwunaen werden.


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[0253] IVelispiegel Auch der Balkan wird ivon jetzt an zu "den HaichtangriffSPunkten der roten Truppen gehören. Der vite russische Wunsch: Macht über Konstantinopel zu gewinnen, ist sicher auch jetzt noch lebendig, lebendig auch in dem Herzen Lenens und Trotzkis, die trotz ihrer Abstammung, trotz ihrer Ideologie doch Russen sind Der ungarische Nätezauber hatte nur zu früh begonnen, als daß er von Moskau ausgenutzt werden konnte. Denn damals mußte man sich noch der Generallie erwehren. Jetzt wäre ein derartiger Umsturz aus dem Balkan hoch¬ willkomner. Er würde vielleicht zur Eroberung des ganzen Balban führen und damit zur Uniklammerung Mitteleuropas von Süden. Welche Aussichten bieten sich jetzt dem Bolschewismus in Südosteuropa? Ohne Zweifel sind bereits auch hier .Keime vorhanden, die unter Umständen zu Weiterungen führen werden. Am bedenklichsten stellt sich die Lage inBulgarien dar. Das Land hat sich seit 1912 fast ununterbrochen im Kriege befunden. Der Friede von Neuilly, der an 28 November 1919 abgeschlossen wurde, bediietet das Ende selbständigen staatlichen und wirtschaftlichen Lebens. Das Unglück der letzten Jahre hat die wlgarische Bauernschaft stark radikalisiert. Die kommunistische Partei besitzt ein Fünftel aller Mandate der Sobranje, annähernd ebensoviel die gemäßigteren Socialisten. Die regierende agravsozialistische Bauernpartei steht dieser Gruppe nicht allzu fern. Diese Porteivechültnisse, besonders bemerkenswert in einem Agrarlande, geben ein ungefähres Bild von der sozialen Gärung. Fortwährende Unruhen kennzeichnen deshalb auch die jüngste Entwicklung der inneren Ver¬ hältnisse: Bulgarien kann jederzeit ein gefährlicher Brandherd werden, von dem aus Südosteuvopa in Flammen gerät! Ganz anders liegen die Dinge in I n g o s l a w i e n. Wahrend Bulgarien die tiefe Not der besiegten, geknebelten Nation durchlebt, sieht das südslawische Brudervolk fast alle seine nationalen Wünsche erfüllt. Die Adriafroge, die allein die restlose Einigung aller Serben, Kroaten und Slowenen bedroht und wahr- cheinlich unmöglich macht, läßt den Nationalismus hell auflodern. Die wirt- 'chaftliche Lage ist zwar durchaus nicht als glänzend zu 'bezeichnen. Doch finden osialistische Ideen in einer Bevölkerung, die zu vier Fünfteln aus Bauern besteht und soeben das größte nationale Erlebnis — die Einigung der Volksteile zu einem Staatswesen — gehabt hat, unfruchtbaren Boden. Die Gebiete, die bisher Kur österveich>i.sah-.ungarischen Doppvlmonarchie gehört haben, sind vom Kriege fast naz verschont geblieben. Ali dem Wiederaufbau des gänzlich verwüsteten Alt- ^vier wird eifrig gearbeitet. Noch ist allerdings die Agrarfrage ungelöst. A'°e ist das Problem der inneren Politik Jugoslawiens. Der Landhunger der Bouvvnbevölkerung ist groß. Die bisherigen Maßnahmen der Regierung haben schon manchen Wunsch der kleinen Bauern erfüllt. Insbesondere sind die bisher geknechteten Kneten Bosniens durch eine Verfügung der Negierung bereits im Januar 1919 von der Unterdrückung durch die Großgrundbesitzer befreit worden. Eine großzügige Agrarreform, wie sie bereits im Frühjahr 1919 von Koratschausgearbeitet wurde, könnte die letzten Spuren einer Gefahr beseitigen. Die sozialistische Partei hat nur Anhänger in dM, Städten, ist sehr schwach und jeder MationÄleii Tendenz abhold. Ähnlich steht es mit den an Zahl noch schwächeren Kommunisten. Sie haben sogar im Verein mit den bürgerlichen Parteien an »en großen Demonstrationen gegen Italien teilgenommen und damit ihren Nationalismus bekundet. Eine gesunde Entwicklung hat es gefügt, daß die Sozialdemokraten an der Regierung beteiligt sind und nicht in unfruchtbaren Radikalismus verfallen können. Beachtenswert sind allerdings die Streiknnruhen in den Bergwerken, doch muß man die allgemeine wirtschaftliche Lage in Betracht lieben und darf ihre Bedeutung nicht überschätzen. Daß in der Zeit der ungari¬ schen Räterepublik gegen wirkliche und angebliche Bolschewisten scharf vor¬ gegangen wurde, ist vielleicht nicht ganz klug und taktvoll gewesen, hat aber seinen weiteren Schaden gestiftet. Ter bolsch«wistische Gedanke dürfte sich als» in Jiigoslawien kaum ausbreiten können, nur von außen mit Waffengewalt könnte wahrscheinlich diesem Volke der Bolschewismus aufgezwunaen werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/253>, abgerufen am 01.09.2024.