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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das llriegsjahr 59^9 in Rußland und seine Folgen

scheidungskampfes mit den in jeder Beziehung überlegenen roten Armeen erfolg-
reich zu bestehen vermögen. Darin eben liegt der starke Anreiz für die Bolsche¬
wiken, mit dem Kampf gegen Polen nicht zu warten.

Ganz anders liegen die Verhältnisse für einen Feldzug in Asien? er stellt
eines der schwierigsten militärischen Probleme dar, dessen erfolgreiche Lösung zu^
nächst eine gut ausgebildete und in der taktischen Verwendung auch der kleinsten
Verbände voll leistungsfähige Truppe schon deshalb erfordert, weil sie einen modern
ausgerüsteten und ausgebildeten Gegner finden wird, bei dem Truppe und Führer
unschwer mit kriegserfahrenem Personal ergänzt werden können. Nachschub und
Heeresversorgung durch die verkehrsarmen und tropenartigen Gegenden Turkestans
und Afghanistans, in denen die Wasserarmut schon im Frieden für Bebauung
auf große künstliche Anlagen angewiesen war, ferner die operative Anlage des
Feldzuges über die Hochgebirge an Indiens Grenze stellen die oberste Führung
strategisch und organisatorisch vor Aufgaben, über deren ungeheure Schwierig
leiten sich Generale wie Ewert. Brnssilow und Klembowski, denen diese Probleme
nicht ganz neu sein werden, nicht im unklaren sein dürften. Deshalb glauben
wir, daß eine bolschewistische Gefahr für Indien, deren Größe und Nähe in der
englischen Presse aus verständlichen Gründen stark übertrieben erscheint, vorläufig
nicht so akut ist wie für Polen, wo die Näteregierung mit einem leichteren und
sichereren Erfolge zu rechnen begründete Aussicht hat; hierbei wird nicht in
Rechnung gezogen die Macht der bolschewistischen Propaganda, ihre Bedeutung
bei der Vorbereitung eines Feldzuges und ihr Wert als Kampfmittel bei der
Durchführung der Operationen.

Wir vermögen nicht hinter den dichten Schleier zu schauen, den eine Mangel
hafte Nachrichtsnversorgung um die Zustände in Sowjetrußland legt. Im be¬
sonderen kann bie Auffassung über die militärische Leistungsfähigkeit durch un¬
berechenbare Einflüsse namentlich in einem so unruhigen und wenig konsolidierten
Staatswesen, wie es das russische jetzt noch ist, sehr leicht einer Änderung unter¬
worfen bleiben. Der Bolschewismus ist bereits manchem seiner Grundsätze untreu
geworden. Vielleicht opfert er auch seine aggressive Tendenz und den Gedanken
an die Weltrevolution. Wenn aber in dem Neujahrsgruß der Regierung an das
russische Volk die Einsetzung des Rätesystems in Paris, London und Berlin, sowie
die Macht der Sowjets über die ganze Welt prophezeit wird, ist es schwer, an
eine Friedenspolitik der Räteregierung in Moskau zu glauben, die ihre nächste
Aufgabe in dem inneren Aufbau sucht.




Das llriegsjahr 59^9 in Rußland und seine Folgen

scheidungskampfes mit den in jeder Beziehung überlegenen roten Armeen erfolg-
reich zu bestehen vermögen. Darin eben liegt der starke Anreiz für die Bolsche¬
wiken, mit dem Kampf gegen Polen nicht zu warten.

Ganz anders liegen die Verhältnisse für einen Feldzug in Asien? er stellt
eines der schwierigsten militärischen Probleme dar, dessen erfolgreiche Lösung zu^
nächst eine gut ausgebildete und in der taktischen Verwendung auch der kleinsten
Verbände voll leistungsfähige Truppe schon deshalb erfordert, weil sie einen modern
ausgerüsteten und ausgebildeten Gegner finden wird, bei dem Truppe und Führer
unschwer mit kriegserfahrenem Personal ergänzt werden können. Nachschub und
Heeresversorgung durch die verkehrsarmen und tropenartigen Gegenden Turkestans
und Afghanistans, in denen die Wasserarmut schon im Frieden für Bebauung
auf große künstliche Anlagen angewiesen war, ferner die operative Anlage des
Feldzuges über die Hochgebirge an Indiens Grenze stellen die oberste Führung
strategisch und organisatorisch vor Aufgaben, über deren ungeheure Schwierig
leiten sich Generale wie Ewert. Brnssilow und Klembowski, denen diese Probleme
nicht ganz neu sein werden, nicht im unklaren sein dürften. Deshalb glauben
wir, daß eine bolschewistische Gefahr für Indien, deren Größe und Nähe in der
englischen Presse aus verständlichen Gründen stark übertrieben erscheint, vorläufig
nicht so akut ist wie für Polen, wo die Näteregierung mit einem leichteren und
sichereren Erfolge zu rechnen begründete Aussicht hat; hierbei wird nicht in
Rechnung gezogen die Macht der bolschewistischen Propaganda, ihre Bedeutung
bei der Vorbereitung eines Feldzuges und ihr Wert als Kampfmittel bei der
Durchführung der Operationen.

Wir vermögen nicht hinter den dichten Schleier zu schauen, den eine Mangel
hafte Nachrichtsnversorgung um die Zustände in Sowjetrußland legt. Im be¬
sonderen kann bie Auffassung über die militärische Leistungsfähigkeit durch un¬
berechenbare Einflüsse namentlich in einem so unruhigen und wenig konsolidierten
Staatswesen, wie es das russische jetzt noch ist, sehr leicht einer Änderung unter¬
worfen bleiben. Der Bolschewismus ist bereits manchem seiner Grundsätze untreu
geworden. Vielleicht opfert er auch seine aggressive Tendenz und den Gedanken
an die Weltrevolution. Wenn aber in dem Neujahrsgruß der Regierung an das
russische Volk die Einsetzung des Rätesystems in Paris, London und Berlin, sowie
die Macht der Sowjets über die ganze Welt prophezeit wird, ist es schwer, an
eine Friedenspolitik der Räteregierung in Moskau zu glauben, die ihre nächste
Aufgabe in dem inneren Aufbau sucht.




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[0248] Das llriegsjahr 59^9 in Rußland und seine Folgen scheidungskampfes mit den in jeder Beziehung überlegenen roten Armeen erfolg- reich zu bestehen vermögen. Darin eben liegt der starke Anreiz für die Bolsche¬ wiken, mit dem Kampf gegen Polen nicht zu warten. Ganz anders liegen die Verhältnisse für einen Feldzug in Asien? er stellt eines der schwierigsten militärischen Probleme dar, dessen erfolgreiche Lösung zu^ nächst eine gut ausgebildete und in der taktischen Verwendung auch der kleinsten Verbände voll leistungsfähige Truppe schon deshalb erfordert, weil sie einen modern ausgerüsteten und ausgebildeten Gegner finden wird, bei dem Truppe und Führer unschwer mit kriegserfahrenem Personal ergänzt werden können. Nachschub und Heeresversorgung durch die verkehrsarmen und tropenartigen Gegenden Turkestans und Afghanistans, in denen die Wasserarmut schon im Frieden für Bebauung auf große künstliche Anlagen angewiesen war, ferner die operative Anlage des Feldzuges über die Hochgebirge an Indiens Grenze stellen die oberste Führung strategisch und organisatorisch vor Aufgaben, über deren ungeheure Schwierig leiten sich Generale wie Ewert. Brnssilow und Klembowski, denen diese Probleme nicht ganz neu sein werden, nicht im unklaren sein dürften. Deshalb glauben wir, daß eine bolschewistische Gefahr für Indien, deren Größe und Nähe in der englischen Presse aus verständlichen Gründen stark übertrieben erscheint, vorläufig nicht so akut ist wie für Polen, wo die Näteregierung mit einem leichteren und sichereren Erfolge zu rechnen begründete Aussicht hat; hierbei wird nicht in Rechnung gezogen die Macht der bolschewistischen Propaganda, ihre Bedeutung bei der Vorbereitung eines Feldzuges und ihr Wert als Kampfmittel bei der Durchführung der Operationen. Wir vermögen nicht hinter den dichten Schleier zu schauen, den eine Mangel hafte Nachrichtsnversorgung um die Zustände in Sowjetrußland legt. Im be¬ sonderen kann bie Auffassung über die militärische Leistungsfähigkeit durch un¬ berechenbare Einflüsse namentlich in einem so unruhigen und wenig konsolidierten Staatswesen, wie es das russische jetzt noch ist, sehr leicht einer Änderung unter¬ worfen bleiben. Der Bolschewismus ist bereits manchem seiner Grundsätze untreu geworden. Vielleicht opfert er auch seine aggressive Tendenz und den Gedanken an die Weltrevolution. Wenn aber in dem Neujahrsgruß der Regierung an das russische Volk die Einsetzung des Rätesystems in Paris, London und Berlin, sowie die Macht der Sowjets über die ganze Welt prophezeit wird, ist es schwer, an eine Friedenspolitik der Räteregierung in Moskau zu glauben, die ihre nächste Aufgabe in dem inneren Aufbau sucht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/248>, abgerufen am 01.09.2024.