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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das Rriegsjahr ^9^? in Rußland und seine Folgen

Städte zur Veranstaltung von Feiern gelegentlich der zweihundertjährigen Wieder¬
kehr des Tages von Münster und Osnabrück, durch die bewiesen werden sollte,
"daß politische Sympathien mehr als Sprache und Abstammung vermögen".
Straßburg war natürlich an jenem 24. Oktober der Mittelpunkt der Festesfreude,
dem sich das damals wie heute zum Festefeiern stets bereite Volk das Elsasses
im allgemeinen willig hingab.

Ludwig Schneegans aber schrieb sich in jenen Tagen in diesem Briefe an
die "Deutsche Zeitung" den ganzen Jammer, der ihn über die Verfremdung seiner
Heimat erfüllte, von der Seele. Es ist eine ergreifende Klage; heute, wo die
Franzosen mit leidenschaftlichem Nachdruck das 1870 unterbrochene Werk der
Rommnsterung wieder aufgenommen haben, zeitgemäßer denn je.

So ertöne denn die Stimme dieses Elsässers auch heute wieder, die Heimat¬
genossen zu mahnen, der Verfremdung wacker zu begegnen, den Deutschen aber
zu zeigen, wie selbst in jenen Tagen, wo das Schicksal des e'.sässischsn Alemannen-
tums besiegelt schien, dort tapfere Männer standhaft den geistigen Zusammenhang
Lr. Aoeniz mit dem germanischen Kulturkreis pflegten.




Das Ariegsjahr in Rußland und seine Folgen
v Major G. Frantz on

as Jahr 1919 hat keineswegs den von der ganzen zivilisierten
Welt erwarteten Zusammenbruch der russischen Sowjetrepublik
gebracht. Es hatte nicht an Stimmen gefehlt, die immer wieder
das wirtschaftliche Ende des bolschewistischen Staates in nahe Aus¬
sicht stellten, und zeitweilig war auch die Hoffnung auf eine
baldige militärische Katastrophe berechtigt. Beide Erwartungen sind nicht ein¬
getroffen.

Die Hoffnung, die Sowjetregierung von außen mit Gewalt zu stürzen,
können wir wohl nunmehr endgültig begraben, nachdem zwei der Äegner,
Judenitsch und Koltschak, nicht nur geschlagen und weit zurückgedrückt, sondern
wohl fast völlig aufgerieben und selbst nach Reorganisation auch mit fremder
Hilfe zu keinem weiteren Widerstande mehr fähig sind. Nur von der dritten
Kampfgruppe bestehen noch Trümmer, die ohne jede Offensivkraft nur um die
eigne Existenz kämpfen.

Nach zwei mißlungenen Offensiven auf Petersburg, die ohne genügende
Vorbereitung, mit jammervoller Ausrüstung, ohne Zusammenhang mit den großen
Operationen aus Sibirien und in Südrußland und ohne Unterstützung der
zunächst interessierten Baltenländer dicht am Ziele vor den Toren Petersburgs
scheitern mußten, hat nunmehr die Nordwestarmee aufgehört zu existieren. Ihr
Führer, General Judenitsch, ist, anscheinend dank der Vermittlung der Franzosen,
mit knapper Not der Verhaftung und Auslieferung an die Bolschewiken entgangen.


Das Rriegsjahr ^9^? in Rußland und seine Folgen

Städte zur Veranstaltung von Feiern gelegentlich der zweihundertjährigen Wieder¬
kehr des Tages von Münster und Osnabrück, durch die bewiesen werden sollte,
„daß politische Sympathien mehr als Sprache und Abstammung vermögen".
Straßburg war natürlich an jenem 24. Oktober der Mittelpunkt der Festesfreude,
dem sich das damals wie heute zum Festefeiern stets bereite Volk das Elsasses
im allgemeinen willig hingab.

Ludwig Schneegans aber schrieb sich in jenen Tagen in diesem Briefe an
die „Deutsche Zeitung" den ganzen Jammer, der ihn über die Verfremdung seiner
Heimat erfüllte, von der Seele. Es ist eine ergreifende Klage; heute, wo die
Franzosen mit leidenschaftlichem Nachdruck das 1870 unterbrochene Werk der
Rommnsterung wieder aufgenommen haben, zeitgemäßer denn je.

So ertöne denn die Stimme dieses Elsässers auch heute wieder, die Heimat¬
genossen zu mahnen, der Verfremdung wacker zu begegnen, den Deutschen aber
zu zeigen, wie selbst in jenen Tagen, wo das Schicksal des e'.sässischsn Alemannen-
tums besiegelt schien, dort tapfere Männer standhaft den geistigen Zusammenhang
Lr. Aoeniz mit dem germanischen Kulturkreis pflegten.




Das Ariegsjahr in Rußland und seine Folgen
v Major G. Frantz on

as Jahr 1919 hat keineswegs den von der ganzen zivilisierten
Welt erwarteten Zusammenbruch der russischen Sowjetrepublik
gebracht. Es hatte nicht an Stimmen gefehlt, die immer wieder
das wirtschaftliche Ende des bolschewistischen Staates in nahe Aus¬
sicht stellten, und zeitweilig war auch die Hoffnung auf eine
baldige militärische Katastrophe berechtigt. Beide Erwartungen sind nicht ein¬
getroffen.

Die Hoffnung, die Sowjetregierung von außen mit Gewalt zu stürzen,
können wir wohl nunmehr endgültig begraben, nachdem zwei der Äegner,
Judenitsch und Koltschak, nicht nur geschlagen und weit zurückgedrückt, sondern
wohl fast völlig aufgerieben und selbst nach Reorganisation auch mit fremder
Hilfe zu keinem weiteren Widerstande mehr fähig sind. Nur von der dritten
Kampfgruppe bestehen noch Trümmer, die ohne jede Offensivkraft nur um die
eigne Existenz kämpfen.

Nach zwei mißlungenen Offensiven auf Petersburg, die ohne genügende
Vorbereitung, mit jammervoller Ausrüstung, ohne Zusammenhang mit den großen
Operationen aus Sibirien und in Südrußland und ohne Unterstützung der
zunächst interessierten Baltenländer dicht am Ziele vor den Toren Petersburgs
scheitern mußten, hat nunmehr die Nordwestarmee aufgehört zu existieren. Ihr
Führer, General Judenitsch, ist, anscheinend dank der Vermittlung der Franzosen,
mit knapper Not der Verhaftung und Auslieferung an die Bolschewiken entgangen.


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[0240] Das Rriegsjahr ^9^? in Rußland und seine Folgen Städte zur Veranstaltung von Feiern gelegentlich der zweihundertjährigen Wieder¬ kehr des Tages von Münster und Osnabrück, durch die bewiesen werden sollte, „daß politische Sympathien mehr als Sprache und Abstammung vermögen". Straßburg war natürlich an jenem 24. Oktober der Mittelpunkt der Festesfreude, dem sich das damals wie heute zum Festefeiern stets bereite Volk das Elsasses im allgemeinen willig hingab. Ludwig Schneegans aber schrieb sich in jenen Tagen in diesem Briefe an die „Deutsche Zeitung" den ganzen Jammer, der ihn über die Verfremdung seiner Heimat erfüllte, von der Seele. Es ist eine ergreifende Klage; heute, wo die Franzosen mit leidenschaftlichem Nachdruck das 1870 unterbrochene Werk der Rommnsterung wieder aufgenommen haben, zeitgemäßer denn je. So ertöne denn die Stimme dieses Elsässers auch heute wieder, die Heimat¬ genossen zu mahnen, der Verfremdung wacker zu begegnen, den Deutschen aber zu zeigen, wie selbst in jenen Tagen, wo das Schicksal des e'.sässischsn Alemannen- tums besiegelt schien, dort tapfere Männer standhaft den geistigen Zusammenhang Lr. Aoeniz mit dem germanischen Kulturkreis pflegten. Das Ariegsjahr in Rußland und seine Folgen v Major G. Frantz on as Jahr 1919 hat keineswegs den von der ganzen zivilisierten Welt erwarteten Zusammenbruch der russischen Sowjetrepublik gebracht. Es hatte nicht an Stimmen gefehlt, die immer wieder das wirtschaftliche Ende des bolschewistischen Staates in nahe Aus¬ sicht stellten, und zeitweilig war auch die Hoffnung auf eine baldige militärische Katastrophe berechtigt. Beide Erwartungen sind nicht ein¬ getroffen. Die Hoffnung, die Sowjetregierung von außen mit Gewalt zu stürzen, können wir wohl nunmehr endgültig begraben, nachdem zwei der Äegner, Judenitsch und Koltschak, nicht nur geschlagen und weit zurückgedrückt, sondern wohl fast völlig aufgerieben und selbst nach Reorganisation auch mit fremder Hilfe zu keinem weiteren Widerstande mehr fähig sind. Nur von der dritten Kampfgruppe bestehen noch Trümmer, die ohne jede Offensivkraft nur um die eigne Existenz kämpfen. Nach zwei mißlungenen Offensiven auf Petersburg, die ohne genügende Vorbereitung, mit jammervoller Ausrüstung, ohne Zusammenhang mit den großen Operationen aus Sibirien und in Südrußland und ohne Unterstützung der zunächst interessierten Baltenländer dicht am Ziele vor den Toren Petersburgs scheitern mußten, hat nunmehr die Nordwestarmee aufgehört zu existieren. Ihr Führer, General Judenitsch, ist, anscheinend dank der Vermittlung der Franzosen, mit knapper Not der Verhaftung und Auslieferung an die Bolschewiken entgangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/240>, abgerufen am 01.09.2024.