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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Georg Cleinow und die Grenzboten

Entwicklung der Nation dahin drängte und daß es unklug ist, sich
den natürlichen Folgen dieser Entwicklung entgegenzuwerfen, statt sie
zum Heile der Gesamtheit umzubiegen. Bülow hatte danach ge¬
strebt, den Übergang möglichst wenig schroff zu gestalten und möglichst viele
autoritative Momente, die Mit der preußisch-deutschen Tradition verknüpft waren,
zu erhalten, unter anderem durch Errichtung eines Neichsoberhauses, das
namentlich die Werte der Bildung in der Verfassung fest verankern sollte. Seine
Pläne scheiterten an den mannigfachen Unzulänglichkeiten der rechtsgerichteten Kreise.
Die Folge war, daß nun von den demokratischen Parteien der Parlamentarismus
in Reinkultur propagiert und gefördert wurde. Bethmann Hollweg war nicht der
Mann, der ihnen die Zügel aus der Hand nehmen konnte. Im Grunde war es die
Schwäche der Regierung, die nach Cleinows Auffassung das Volk zur Selbst¬
hilfe trieb. Die im Lande herrschende Mißstimmung erwuchs nicht um wenigsten
aus der Erkenntnis, daß die guten Traditionen der Beamtenschaft in der
Personalpolitik des führenden Bundesstaates erschüttert und Parteieinflüsse sich
dieses Machtbereichs des Königs zu bemächtigen schienen. "Wie", fragte Cleinow,
"wenn sich die Beamtenschule nicht mehr fähig erweist, Staatsmänner heran¬
zubilden, obwohl auf ihr nicht die Schwere eines Dämons wie Bismarck lastet?!
Dann bleibt uns Patrioten nur übrig, auf jenes gewaltige Kraftreservoir hinzu¬
weisen, aus dem schon vor hundert Jahren der Freiherr vom Stein die Elemente
herangezogen hat, die die Hohenzollernmonarchie und den preußischen Staat
vor dem völligen Zusammenbruche erretteten und sie befähigten, zum Eckpfeiler
eines neuen deutschen Reiches zu werden..... Gibt es noch eine Gelegen¬
heit für den preußischen Staat, die in seiner Tradition schlummernden Kräfte
für die Gesamtheit nutzbar zu machen, so liegt diese in den Arbeiten der
Immediatkommission zur Reform der preußischen Verwaltung. scheitert auch
diese Hoffnung, so bleibt eben nichts anderes übrig, als sich jener anderen
Institution zu bedienen, durch die die Kräfte der Nationen in den Dienst des
Staatsganzen gestellt werden, der Parlamente. ... Ist das System unserer
Behördenorganisation zur Gewinnung und Heranbildung dieser besonders
Tüchtigen aus irgendwelchen Gründen, die nicht beseitigt werden können, nicht
imstande, dann wird die Ausbildung durch etwas anderes, eben durch die
Parlamente, durch den Parlamentarismus geschehen." (Grenzboten 1914,1, Ur. 3)

Die Sozialdemokratie faßte Cleinow als eine in ihrem Wesenskern wirt¬
schaftliche Erscheinung auf. Er war daher der Überzeugung, daß sie nicht mit
politischen, sondern mit wirtschaftlichen. Mitteln überwunden werden müßte.
Solange lediglich das Geld zum Ausgleich aller wirtschaftlichen ,Nöte heran¬
gezogen wird, glaubte er freilich, auch einer noch so weit reichenden sozialen
Gesetzgebung keinen Erfolg in ihrer Bekämpfung voraussagen zu können. Ge¬
rechte Verteilung der durch den Außenhandel erzielten Gewinne unter Arbeit¬
geber und Arbeitnehmer war seine allgemeine Parole. Er sah in der Stabili¬
sierung des Bodenpreises, die ihn der Konjunktur auf dem Warenmarkt ent-


Georg Cleinow und die Grenzboten

Entwicklung der Nation dahin drängte und daß es unklug ist, sich
den natürlichen Folgen dieser Entwicklung entgegenzuwerfen, statt sie
zum Heile der Gesamtheit umzubiegen. Bülow hatte danach ge¬
strebt, den Übergang möglichst wenig schroff zu gestalten und möglichst viele
autoritative Momente, die Mit der preußisch-deutschen Tradition verknüpft waren,
zu erhalten, unter anderem durch Errichtung eines Neichsoberhauses, das
namentlich die Werte der Bildung in der Verfassung fest verankern sollte. Seine
Pläne scheiterten an den mannigfachen Unzulänglichkeiten der rechtsgerichteten Kreise.
Die Folge war, daß nun von den demokratischen Parteien der Parlamentarismus
in Reinkultur propagiert und gefördert wurde. Bethmann Hollweg war nicht der
Mann, der ihnen die Zügel aus der Hand nehmen konnte. Im Grunde war es die
Schwäche der Regierung, die nach Cleinows Auffassung das Volk zur Selbst¬
hilfe trieb. Die im Lande herrschende Mißstimmung erwuchs nicht um wenigsten
aus der Erkenntnis, daß die guten Traditionen der Beamtenschaft in der
Personalpolitik des führenden Bundesstaates erschüttert und Parteieinflüsse sich
dieses Machtbereichs des Königs zu bemächtigen schienen. „Wie", fragte Cleinow,
„wenn sich die Beamtenschule nicht mehr fähig erweist, Staatsmänner heran¬
zubilden, obwohl auf ihr nicht die Schwere eines Dämons wie Bismarck lastet?!
Dann bleibt uns Patrioten nur übrig, auf jenes gewaltige Kraftreservoir hinzu¬
weisen, aus dem schon vor hundert Jahren der Freiherr vom Stein die Elemente
herangezogen hat, die die Hohenzollernmonarchie und den preußischen Staat
vor dem völligen Zusammenbruche erretteten und sie befähigten, zum Eckpfeiler
eines neuen deutschen Reiches zu werden..... Gibt es noch eine Gelegen¬
heit für den preußischen Staat, die in seiner Tradition schlummernden Kräfte
für die Gesamtheit nutzbar zu machen, so liegt diese in den Arbeiten der
Immediatkommission zur Reform der preußischen Verwaltung. scheitert auch
diese Hoffnung, so bleibt eben nichts anderes übrig, als sich jener anderen
Institution zu bedienen, durch die die Kräfte der Nationen in den Dienst des
Staatsganzen gestellt werden, der Parlamente. ... Ist das System unserer
Behördenorganisation zur Gewinnung und Heranbildung dieser besonders
Tüchtigen aus irgendwelchen Gründen, die nicht beseitigt werden können, nicht
imstande, dann wird die Ausbildung durch etwas anderes, eben durch die
Parlamente, durch den Parlamentarismus geschehen." (Grenzboten 1914,1, Ur. 3)

Die Sozialdemokratie faßte Cleinow als eine in ihrem Wesenskern wirt¬
schaftliche Erscheinung auf. Er war daher der Überzeugung, daß sie nicht mit
politischen, sondern mit wirtschaftlichen. Mitteln überwunden werden müßte.
Solange lediglich das Geld zum Ausgleich aller wirtschaftlichen ,Nöte heran¬
gezogen wird, glaubte er freilich, auch einer noch so weit reichenden sozialen
Gesetzgebung keinen Erfolg in ihrer Bekämpfung voraussagen zu können. Ge¬
rechte Verteilung der durch den Außenhandel erzielten Gewinne unter Arbeit¬
geber und Arbeitnehmer war seine allgemeine Parole. Er sah in der Stabili¬
sierung des Bodenpreises, die ihn der Konjunktur auf dem Warenmarkt ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/23>, abgerufen am 01.09.2024.